Flexible Sensorsysteme sind ohne Innovationen in der Software undenkbar. Wie Bosch Sensortec mit Hardware-Software-Codesign neue Sensormärkte anvisiert und wie sich das Geschäft angesichts der geopolitischen Spannungen entwickeln wird, erklärt CEO Stefan Finkbeiner im Interview mit Markt&Technik.
Bosch Sensortec hat vor 12 Jahren einen Beschleunigungssensor auf den Markt gebracht, der eine Fläche von nur 2 mm x 2 mm einnimmt. Anfang des Jahres sind nun die Nachfolger auf den Markt gekommen, der BMA530 und der BMA580, die nur noch 1 mm x 1 mm groß sind. Selbst wenn es auf eine möglichst kleine Bauform ankommt, etwa für Wearables und Hearables – lohnt sich der Aufwand?
Stefan Finkbeiner: Schon der 2 mm x 2 mm große BMA253 wurde vom Markt sehr gut aufgenommen und es wurde klar, dass die Anwender eine weitere Miniaturisierung sehr schätzen würden. Denn sie wollen so viele Funktionen wie möglich in ihre winzigen Geräte packen. Deshalb haben wir die Entwicklung weiter vorangetrieben. Immerhin konnten wir die Fläche jetzt noch einmal halbieren. Was aber mindestens ebenso wichtig ist: wir konnten die Höhe auf 0,55 mm reduzieren. Ob in Wearables, Hearables, Uhren oder Kopfhörergehäusen, die Anwender wollen möglichst flache Gehäuse. Deshalb haben sie die neuen Beschleunigungssensoren auch sehr gut angenommen.
Obwohl Bosch Sensortec der einzige Hersteller weltweit ist, der diese winzigen Beschleunigungssensoren liefern kann?
Das freut uns besonders, denn dass die Anwender die Sensoren sehr gerne einsetzen, obwohl es nur eine einzige Bezugsquelle gibt, zeigt uns, dass wir uns über viele Jahre einen sehr guten Ruf aufbauen konnten und die Kunden großes Vertrauen in unsere Zuverlässigkeit und unsere hohe Qualität haben. Das gibt uns die Möglichkeit, uns deutlich zu differenzieren, was mit den Typen BMA530 und BMA580 auch gelungen ist. Wir haben damit einen wichtigen Innovationssprung realisiert.
Wer sich mit der zugrundeliegenden Technik nicht genau auskennt, für den scheint der Sprung vielleicht gar nicht so groß zu sein. Welche technologischen Hürden mussten genommen werden?
Der technologische Aufwand ist enorm. Klassisch bestehen Beschleunigungssensoren aus zwei Chips, aus dem MEMS-Sensor und dem ASIC sowie der Moldmasse. In der neuen Generation ist es uns gelungen, das ASIC direkt mit dem MEMS-Sensor zu verbinden, das ASIC bildet gleichzeitig den Deckel des MEMS. Dazu bonden wir den Wafer mit den ASICs direkt auf den MEMS-Wafer. Das funktioniert nur mit ausgeklügelten Advanced-Packaging-Technologien, etwa Through Silicon Vias für die Durchkontaktierung und vergrabene Bonds. In Zusammenarbeit mit Partnern haben wir dazu die erforderlichen Verbindungstechnologien und Testmethoden, teilweise sogar die dazu erforderlichen Maschinen entwickelt. Es ist nicht einfach, eine durchgehende und verlässliche Lieferkette für die Fertigung dieser winzigen Sensoren aufzubauen.
Die Miniaturisierung ist eine Voraussetzung, um die Sensortechnologie weiter voranzutreiben, welche Trends spielen außerdem eine wichtige Rolle?
Eine genauso wichtige Rolle spielt es, die Sensoren zu vernetzen, Smart Connected Sensors lautet das Stichwort. Dann können die Winzlinge über den ganzen Körper verteilt und die Signale zentral zusammengeführt werden. Die Sensoren sind sehr klein, sie stören den Träger nicht und weil sie eine so geringe Leistungsaufnahme haben, können sie »always on« sein. Das eröffnet eine Vielzahl von neuen Anwendungen. So lässt sich die Körperhaltung und -bewegung durchgehend überwachen und analysieren. Das lässt sich beispielsweise im Fitnessbereich gut gebrauchen, um sicherzustellen, dass die Bewegungsabläufe an den Geräten so sind, wie sie sein sollten, und sich die Leute nicht aufgrund falscher Bewegungsabläufe mehr schaden als nutzen.
Ähnliches gilt für den Rehabilitationsbereich, wo es ebenfalls darauf ankommt, sich so zu bewegen, dass die Funktionen möglichst schnell wiederhergestellt werden. Partnerfirmen von uns entwickeln auf Basis der Sensoren sogar medizinische und Rehabilitation-Varianten. Das ist nicht mehr unser Markt, wir kümmern uns um den Consumer-Markt, also beispielsweise den Fitnesssektor, wo keine aufwendigen Zertifizierungen erforderlich sind. Für uns ist es toll zu sehen, dass unsere Sensoren mehr sind als Spielerei, sondern den Menschen realen Nutzen bringen.
Wenn viele Sensoren vernetzt werden, kommt es auf die Kommunikation an. Sehen Sie das als eigene Aufgabe an oder ist das die Sache des Anwenders?
Ein Body-Area-Netzwerk erfordert mindestens sechs Sensoren mit sechs Signalen pro Sensor. Das ist über Bluetooth nicht mehr zu bewältigen. Es kommt also darauf an, eine lokale Intelligenz in den Sensoren aufzubauen, um nur die wichtigen Daten übertragen zu müssen. Dazu ist viel Software- und KI-Entwicklung erforderlich. Im Grunde verkaufen wir keine Produkte mehr, sondern ausgewertete Signale von selbstlernenden Systemen. Aber die Hardware bleibt weiter die Voraussetzung, um die Stromaufnahme senken zu können, die meisten Sensoren haben neben dem ASIC auch einen Controller an Bord. Sonst gelingt die Integration der Software nicht. Das eröffnet wiederum ganz neue Möglichkeiten, weil sich über die Software die Hardware flexibel auf verschiedene Anwendungsfälle anpassen lässt. Diese Flexibilität erlaubt es auch, die Systeme an ganz neue Märkte zu optimieren, auch auf kleine Volumen. Denn wir brauchen dann keine aufwendigen Hardwareänderungen durchzuführen. Über unsere Software funktioniert das günstig und schnell, sodass wir nun auch in Märkte vordringen können, die nur kleinere und mittlere Stückzahlen benötigen.
Dann kommt es aber darauf an, die Anforderungen nicht nur der direkten Kunden, sondern auch die der Kunden der Kunden im Blick zu haben?
Wir verstehen uns schon seit Längerem nicht mehr als reinen Sensorhersteller, sondern als Lösungsunternehmen. Wir müssen von der Endanwendung kommend denken und im Rahmen des Hardware-Software-Codesign entscheiden, wie die Partitionierung zwischen Hard- und Software aussehen muss, um den Anwendern größten Nutzen und die größte Flexibilität zu bieten.
Auf der CES hat Bosch Sensortec einen Partikelsensor vorgestellt. Was ist das Besondere daran und ab wann steht er zur Verfügung?
Mit dem Sensor lässt sich die Luftqualität überwachen, das ist auch für den Heimbereich sehr wichtig. Dieser Sensor zeichnet sich ebenfalls durch seine kleine Bauform – auch hier ist sie der entscheidende Faktor – und seine Robustheit aus. Muster stehen schon zur Verfügung, ab dem zweiten Halbjahr nehmen wir die Stückzahlfertigung auf.
China ist für Bosch Sensortec ein wichtiger Markt, wie schätzen Sie die derzeitige Situation ein?
Der chinesische Markt war und ist für uns sehr wichtig, schon weil die meisten Smartphones in China produziert werden. Zudem haben wir zusätzlich viele IoT-Kunden in China, die wir bedienen, seitdem wir vor Ort sind. An der geopolitischen Situation können wir nichts ändern, aber wir werden vor Ort bleiben. Auch wenn das bedeutet, dass die Lieferketten verdoppelt werden müssen. Leider bedeutet das Zusatzaufwände und Kosten.
Fertigt Bosch Sensortec in China?
Wir testen unsere Sensoren in China und arbeiten darüber hinaus mit lokalen Fertigungspartnern zusammen. Außer die MEMS selber können wir alle übrigen Schritte in der Wertschöpfungskette in China durchführen.
Gibt es inzwischen Wettbewerber in China?
Es sind bereits Wettbewerber in China entstanden, die wir ernst nehmen müssen. Mit MEMS-Sensoren beschäftigen sich etablierte Firmen genauso wie Start-ups und Ausgründungen aus Unis. Das sieht in der Sensorik ganz ähnlich aus wie im Chipbereich.
Es herrscht in China ein gewisser Druck auf die einheimischen Unternehmen, aus chinesischen Quellen zu beziehen. Das Geschäft dürfte schon aus diesem Grund eher schwieriger werden?
Wir müssen weiterhin innovativ bleiben, nur über Innovationen können wir uns differenzieren. Deshalb entwickeln wir sowohl die Hardware und Prozesstechnologien weiter als auch die Software sowie das Hardware-Software-Codesign – und bringen in schneller Folge immer neue Produkte auf den Markt.