RISC-V für Deutschland und Europa

Resilienz und technologische Souveränität

14. Januar 2024, 11:00 Uhr | Iris Stroh
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Beim European Chips Act und dem IPCEI ME/CT liegt der Fokus auf der Halbleiterfertigung, insbesondere auf der Waferverarbeitung. Aber das reicht nicht aus, um die Souveränität und Resilienz zu stärken: Ohne Expertise aufseiten des IC-Designs funktioniert das nicht.

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Schaut man sich die Vorträge an, die auf der ISSCC, einer der größten Halbleiterkonferenz in den USA, gehalten werden, sind die großen europäischen Forschungseinrichtungen, Halbleiterhersteller und diverse Universitäten immer vertreten – allerdings typischerweise eher selten im digitalen Bereich. 2023 war eine Ausnahme: Die Experten des Unterkomitees für den relativ neuen Bereich »Heterogeneous ML Accelerators« hatten einen europäischen Vortrag als einzigartig und vielversprechend bewertet. Dabei handelte es sich um ein heterogenes KI-SoC für IoT-Anwendungen mit 12,4 TOPS/W bei 136 GOPS, der eine Gemeinschaftsarbeit von der University of Bologna, der ETH Zürich und Dolphin Design war.

Diese Entwicklung ist aber noch von einem anderen Standpunkt durchaus interessant: Das Forscherteam hat bei der Umsetzung seines KI-SoCs auf ein General-Purpose-Cluster mit 16 RISC-V-DSP-Kernen gesetzt, die auf die Ausführung einer Vielzahl von Workloads optimiert und mit »XpulpNN«-ISA-Erweiterungen für eine 4-bit- und 2-bit-Arithmetik ausgestattet waren. Diese Entwicklung untermauert die These von Acatech: Die Experten um den Projektleiter Prof. Dr. Christoph Kutter, Universität der Bundeswehr/Fraunhofer EMFT/Acatech, sind überzeugt, dass RISC-V für Europa wichtig ist.

So erschien in der Reihe »acatech IMPULS« Ende vergangenen Jahres eine Publikation mit dem Titel »RISC-V: Potenziale eines offenen Standards für die Chipentwicklung.« Darin heißt es: »Neben der Halbleiterfertigung muss auch die Fähigkeit für innovative Chipentwicklung durch entsprechende Fachkräfte als wichtiges Element der technologischen Souveränität Europas gestärkt werden.Die offene Befehlssatzarchitektur RISC-V ist in diesem Kontext eine vielversprechende Komponente, da zahlreiche – teils problematische – Randbedingungen proprietärer Befehlssätze wegfallen.«

Heute dominieren x86 und Arm im Prozessormarkt

Früher gab es eine Vielzahl von Prozessorarchitekturen und Befehlssätze wie PowerPC, SPARC, MIPS etc., heute sind es eigentlich nur noch zwei: x86 und die Arm-Architekturen. Nach dem Erfolg der Arm-Architektur im Mobiltelefonbereich setzten immer mehr Mikrocontrollerhersteller auf Arm-Architekturen, die allermeisten gaben ihre eigenen Entwicklungen auf, sodass Arm mittlerweile in den meisten Mikrocontrollern, aber auch in Hochleistungsprozessoren zu finden ist und die meisten Eigenentwicklungen verdrängt hat. Anfänglich wurde noch darüber diskutiert, ob es nicht zu einem Problem für die Halbleiterhersteller werden könne, wenn alle auf Arm setzen, aber damals hieß es, dass der Prozessorkern kein Differenzierungsmerkmal mehr darstellt. Aber ein anderes Problem mit Arm kam 2020 auf. Damals hatte Nvidia angekündigt, dass das Unternehmen Arm von Softbank für 40 Milliarden Dollar kaufen will. Mit der Übernahme von Arm wäre der IP-Provider in die Hände eines großen Halbleiterherstellers gefallen, der in klarer Konkurrenz zu vielen anderen Halbleiterunternehmen steht, die ebenfalls Arm einsetzen – keiner war begeistert, ganz im Gegenteil. Nachdem dann die US-amerikanische FTC (Federal Trade Commission) gegen die Übernahme klagte, wurde der Plan 2022 wieder aufgegeben.

Aufnahme des Marsellus-SoC von der University of Bologna, der ETH Zürich und Dolphin Design mit Spezifikationen
Aufnahme des Marsellus-SoC von der University of Bologna, der ETH Zürich und Dolphin Design mit Spezifikationen
© ISSCC

Bei Acatech heißt es dazu, dass die Abhängigkeit von nur einem Zulieferer lange akzeptiert wurde, weil »der Halbleitermarkt bis in die späten 2010er-Jahre als global angesehen und das Risiko von Abhängigkeiten nicht hoch priorisiert wurde.« Geopolitische Konflikte sowie globale Krisen, wie die Covid-19-Pandemie, hätten sich allerdings auf die globalen Handelsbeziehungen ausgewirkt und sie verändert. »Heute kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass jede Mikroelektronikkomponente oder -technologie auf dem freien Weltmarkt frei verfügbar ist. Die Fähigkeit, Mikroprozessoren und -controller zu entwickeln, sowie die Verfügbarkeit geeigneter Fertigungskapazitäten werden heute als elementare Bestandteile der technologischen Souveränität verstanden. Der Zugang zu mikroelektronischen Bauteilen und Kapazitäten wird im Rahmen von Handelsbeschränkungen als politisches Druckmittel eingesetzt«, heißt es bei Acatech weiter.

Optimieren geht einfacher

Eine Zusammenfassung der erwarteten Chancen mit RISC-V in drei Kategorien
Eine Zusammenfassung der erwarteten Chancen mit RISC-V in drei Kategorien
© Acatech

Für RISC-V spricht aus der Sicht der Acatech-Experten aber noch ein weiterer Punkt: Bekanntermaßen reichen die Fortschritte, die sich mit kleineren Strukturgrößen in der Halbleiterfertigung (Moore’s Law) erreichen lassen, oft nicht mehr aus, um die Leistungssteigerungen zu erreichen, die gewünscht bzw. notwendig sind. Also müssen andere Wege beschritten werden, zum Beispiel im Bereich »Packaging«. Ein weiterer Weg ist eine Prozessorarchitektur, die angepasst werden kann, um spezielle Beschleunigerschaltungen zu realisieren. Natürlich können auch die Arm-Architekturen verändert werden, aber das ist wirklich teuer, denn dafür sind Architekturlizenzen notwendig, die sich die wenigsten leisten. Dieses Problem entfällt mit RISC-V.

Bei Acatech heißt es: »Als offener und lizenzfreier Standard kann er von Entwicklerinnen und Entwicklern beliebig erweitert werden, was individuelle Modifikationen für innovative Prozessoren ermöglicht«, so die Experten von Acatech. Sie sind überzeugt, dass eine weitere Verbreitung von RISC-V insbesondere den Innovations- und Wirtschaftsstandort Deutschland stärken könne. »Während die Positionen in den proprietären Befehlssätzen seit Jahrzehnten gefestigt sind, ist es im dynamischen RISC-V-Umfeld für neue Akteure gut möglich, eine starke Position in diesem innovativen Ökosystem aufzubauen«, heißt es bei Acatech. Die Kombination aus Offenheit, Modularität und Erweiterbarkeit mache RISC-V gerade für europäische Akteure sehr interessant, die in hochspezialisierten Domänen aktiv sind. Die daraus entstehenden neuen Möglichkeiten erlaubten eine technische Diversifikation, stärkten dadurch die technologische Souveränität und förderten das Entstehen innovativer oder disruptiver sowie leistungsfähiger und ressourcenoptimierter Plattformen für verschiedene Systeme.

Die Chancen mit RISC-V sind vielseitig

Die Experten von Acatech sind überzeugt, dass RISC-V die Forschung im Bereich von Prozessoren und SoCs wieder auf Vordermann bringen kann. Sie bemängeln, dass die Forschung in diesem Bereich in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgrund hoher Lizenzkosten und lizenzbedingter Hürden erschwert waren, wobei das sicherlich nicht die einzigen Punkte waren, die dazu führten, dass Europa/Deutschland hier immer stärker ins Hintertreffen geraten ist. RISC-V jedenfalls hat aus der Sicht der Experten das Potenzial, die Forschung sowohl im universitären als auch industriellen Umfeld wieder zu stimulieren. So heißt es bei Acatech: »Durch die aktive Open-Source-Community ist ein schneller Zugriff auf verfügbare Prozessor-IP16-Blöcke möglich, die einen wertvollen Startpunkt für Aktivitäten mit RISC-V und mit innovativen Rechnersystemen darstellen.«

Einen sicherlich entscheidenden Vorteil bietet RISC-V auf alle Fälle für Universitäten. Das belegt bereits das oben angeführte Beispiel des KI-SoCs, das auf der ISSCC vorgestellt wurde. Acatech merkt an: »Die Verwendung des offenen Standards bietet den Studierenden die Möglichkeit, sich unabhängig von proprietären Lizenzen mit einer offenen, skalierbaren Architektur vertraut zu machen; zudem fallen keine Lizenzgebühren für die Architektur an. Dies ermöglicht eine anwendungsnahe Ausbildung in der Mikroelektronik und schafft eine solide Grundlage für zukünftige Forschungsaktivitäten.« Das hat noch einen weiteren Vorteil, auf den Acatech hinweist: »Durch die Integration von RISC-V in die Aktivitäten von Bildungseinrichtungen wird die Kompetenz zur Bewältigung des Fachkräftemangels in der Elektronikbranche nachhaltig gestärkt. Wird RISC-V in Unternehmen ebenfalls eingesetzt, sind die Absolventinnen und Absolventen mit der Technologie bereits vertraut, was die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft verbessert.«

Wie bereits erklärt, reduziert RISC-V Abhängigkeiten, sodass auch bei internationalen Konflikten nicht so schnell die Gefahr besteht, durch Technologie- oder Handelsembargos ins Hintertreffen zu geraten. Die Experten von Acatech weisen darauf hin, dass RISC-V insbesondere für KMUs interessant ist, aber auch für die Entwicklung von Hochsicherheitsanwendungen, beispielsweise in der Kommunikation oder im militärischen Umfeld. »Gerade in Bereichen wie Hochsicherheitsanwendungen oder domänenspezifischen Plattformen erlaubt ein offener Standard eine stärkere Adaption an den Anwendungsfall und bietet größere Möglichkeiten, eigene Sicherheitsimplementierungen zu realisieren. Die reduzierte Gefahr eines Lock-in sowie die erhoffte verbesserte und breitere Verfügbarkeit von IP-Blöcken sind weitere Argumente für den Einsatz von RISC-V in diesem Kontext«, so die Experten weiter. Und darüber hinaus böte RISC-V auch eine einfache Möglichkeit, hochspezialisierte Prozessoren zu entwickeln, die nicht nur leistungsstärker, sondern typischerweise auch energieeffizienter sind.

China hat das Potenzial von RISC-V längst erkannt

China befindet sich mittlerweile seit mehreren Jahren in einem Handelskrieg mit den USA, immer mehr Unternehmen und Produkte wanderten auf die schwarze Liste, sprich durften nicht mehr nach China geliefert werden. Das betraf auch insbesondere das Halbleitersegment, einschließlich Equipment und Halbleiterkomponenten. Beispielsweise wurde 2019 Huawei auf die schwarze Liste gesetzt, was unter anderem zur Folge hatte, dass Arm seine Geschäftsbeziehung zu Huawei beendet hat.

Damit war klar, dass chinesische Unternehmen die Bedrohung durch eine Abhängigkeit von Arm viel früher zu spüren bekamen als nicht-chinesische Unternehmen. Acatech verweist darauf, dass China verstärkt in die Nutzung von RISC-V investiert, um die Abhängigkeit von ausländischen Technologieanbietern zu verringern und die nationale Souveränität im Halbleiterbereich zu stärken. Sowohl chinesische Unternehmen als auch Forschungseinrichtungen forcierten die Entwicklung von RISC-V-basierten Prozessoren, was dazu geführt hat, dass China zu einem wichtigen Akteur in der RISC-V-Community geworden ist.

Acatech: »RISC-V wird in China vor allem auch durch die Regierung und regierungsnahe Organisationen vorangetrieben, um die technologische Souveränität angesichts von US-Sanktionen sicherzustellen. So wurde 2018 die ›China RISC-V Alliance‹ mit dem Ziel gegründet, bis 2030 ein umfassendes Open- Source-Ökosystem für Chipdesign zu entwickeln. Die Chinese Academy of Science etablierte 2019 eine nationale Initiative, um RISC-V in China voranzutreiben. Dies hat jedoch auch geopolitische Spannungen ausgelöst, da die USA und andere Länder Bedenken hinsichtlich möglicher Technologieübertragungen und Sicherheitsrisiken äußern. So soll zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Alibaba, Tencent und ZTE auf Basis von RISC-V ein wettbewerbsfähiger Prozessor entwickelt werden. Zuletzt wurde auf dem RISC-V Summit China zum Beispiel auch eine Organisation für das Patent-Pooling bekanntgegeben.«

 

RISC-V? Ja klar, aber…

Die Experten von Acatech weisen aber auch ausdrücklich darauf hin, dass RISC-V kein Selbstläufer ist, der Einsatz sei nur dann sinnvoll, wenn die eben beschriebenen Vorteile die Nachteile überwiegen. Zu den Nachteilen zählen die Experten »Kosten, Aufwände und Risiken, die sich durch den Wechsel auf RISC-V ergeben, wie zum Beispiel die notwendige Implementierung in Hardware inklusive Verifikation sowie die Entwicklung oder der Kauf einer geeigneten Softwareumgebung.«

Aus der Sicht der Experten sollten Unternehmen, die RISC-V einsetzen wollen, die damit verbundenen Aufwände nicht unterschätzen. Hinzu kommt noch, dass mit einem offenen Standard nicht der Patentschutz verbunden ist, den Halbleiterunternehmen bislang mit den proprietären Architekturen gewohnt sind. Darüber hinaus betont Acatech, dass der Entwicklungsaufwand für RISC-V-Prozessoren je nach Anwendungsfall und Komplexität sehr unterschiedlich ausfällt. Und auch beim dazugehörigen Ökosystem sind die Bedürfnisse in der Anwender-Community sehr unterschiedlich. Acatech weist in diesem Zusammenhang beispielsweise darauf hin, dass im Falle, dass nur wenige Anwender den RISC-V-Prozessor programmieren und in ein System integrieren, die existierenden Compiler und Bibliotheken durchaus ausreichen.

Aber: »Dahingegen benötigen große Entwicklungsabteilungen bei einem Systemanwender oder gar Millionen Nutzer aus der Maker-Szene ein viel höheres Maß an Qualität, Dokumentation, Bedienbarkeit, aufbereiteten Informationen (zum Beispiel in Form von Whitepapers oder (Video-)Tutorials), Bibliotheken etc.« Auf der Compiler-Seite stünden sehr gute Open-Source-Lösungen zur Verfügung. So könnten etwa Erweiterungen mit speziellen Assembler-Befehlen (Intrinsics) mit überschaubarem Aufwand entwickelt werden. Anders schaut es laut Acatech allerdings bei Anwendungen wie zum Beispiel HPC (High Performance Computing) aus, denn dort spielt die Compiler-Leistungsfähigkeit eine entscheidende Rolle. Und aus der Sicht von Acatech bestehe hier noch Entwicklungsbedarf, dasselbe gelte für entsprechende Bibliotheken.


  1. Resilienz und technologische Souveränität
  2. Wo lohnt es sich RISC-V einzusetzen?

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