Auf den Lebenszyklus kommt es an
Und jetzt zum Unterschied zum amerikanischen Ansatz: »Aus unserer Sicht ist der ganze Industrie-4.0-Ansatz nur sinnvoll, wenn man ein Produkt über den gesamten Lebenszyklus betrachtet, auch wenn diese Aussage die Amerikaner erschrecken wird.« Und genau das kann man mit der Industrie-4.0-Komponente und RAMI tun, wie Prof. Wegener erklärt: Ein Produkt lässt sich von der Planung und Entwicklung über Rapid Prototyping und Konstruktion im Computer virtualisieren. Diese Kette heißt »Typ«. Daran schließt sich allerdings über die Lebenszeit des Produkts die Produktion und der Betrieb der Fabrik sowie Nutzung und Service an. Dieser Teil der Kette heißt »Instanz«. »Erst wenn man über den ganzen Lebenszyklus geht, also Typ und Instanz berücksichtigt, kann man Industrie 4.0 umsetzen.
Wer Typ und Instanz versteht, versteht auch den Rest«, so Wegener. Und das gilt nicht nur für die Kette, die vom Produkt ausgeht, sondern auch für eine ganze Fabrik: von der Planung über Engineering, die virtuelle Inbetriebnahme und die Inbetriebnahme (Typ) bis zur Produktion sowie Wartung und Optimierung (Instanz). Für die Ketten, die vom Auftrag, von der Maschinen oder Zulieferteilen ausgehen, gilt das gleiche.
»Im IIC fehlt vieles, was bei RAMI vorhanden ist«, sagt auch Oliver Winzenried. »Man darf aber auch nicht übersehen, dass sie auf ihrem Weg schon sehr weit vorangekommen sind.« Dabei sieht er IIC gar nicht als Konkurrent, sondern als Ergänzung zu der deutschen Initiative und es handele sich a auch nicht um einen Wettbewerb zwischen Ländern, sondern zwischen Unternehmen. Allerdings beklagt er, dass die öffentliche Förderung hierzulande im Vergleich viel zu gering sei: »Wir dürfen hier nicht nur diskutieren, wir müssen auch anpacken!«
Die Voraussetzungen sind also in der Theorie geschaffen, um Industrie 4.0 umzusetzen, zumal in Hannover ja auch die Politik mit ins Boot geholt wurde.
Die Hürden
Allerdings gibt es noch einige Hürden zu überwinden. Für die Industrie ist es ausgesprochen wichtig, den Migrationspfad von existierenden Systemen in die Industrie-4.0-Welt sicher zu stellen. Field Device Integration (FDI) ist hier das Schlagwort. Da spielt die Verwaltungsschale eine wichtige Rolle, denn sie kann auch FDI aufnehmen. In der Praxis kann man beispielsweise ein existierendes Gerät über RFID und die Verwaltungsschale zu einer Industrie-4.0-Komponente machen.
Doch es gibt noch eine Reihe weitere Hürden. Selbst ein Kabel kann zum Problem werden. Ethernet-Kabel sind nämlich für explosionsgefährdete Umgebungen nicht zugelassen. Auch daran arbeitet die Industrie bereits, wie Dr. Kegel erläuterte. Ziel ist es ein vieradriges Kabel zu entwickeln, das unter anderem die Anforderungen des Explosionsschutz erfüllt, das zu vertretbaren Kosten erhältlich ist und das mindestens 100 MBit/s übertragen soll. Das ist gar nicht einfach, denn die hohe Übertragungsrate widerspricht der Forderung nach möglichst geringer Leistungsaufnahme. Dr. Gunther Kegel geht davon aus, dass man mit einer Übertragungsrate von 10 MBit/s über die nächsten 10 Jahre kommen müsste und unterdessen einen Weg zu 100 MBit/s finden könne.
Und es ließen sich noch weitere Herausforderungen finden: Eine Latenzzeit von 5 ms klingt kurz, ist aber auf der Produktionsebene schlicht nicht tolerierbar. »Wir müssen signifikant unter 1 ms kommen«, so Kegel.
Security
Und dann gibt es noch das große Problem der Security, dem auf dem Industrie 4.0 & Industrial Internet Summit einem eigenen Security Symposium gewidmet war. Auch hier muss die Industrie wohl noch einen langen Lernprozess durchschreiten. »Denn Security ist nichts, was man sich einfach mal so kauft und dann sind die Systeme sicher«, erklärte Steffen Zimmermann, VDMA. Die entsprechende Sicherheitstechnik einzubauen – und dafür Kosten und auch einen Rückgang der Performance in Kauf zu nehmen – ist nur eine Voraussetzung für sichere Systeme. PPP, People, Processes, Products – kurz PPP – nennt Prof. Wegener den zielführenden Ansatz, in dem Produkte erst an dritter Stelle stehen. »Es kommt darauf an, die Mitarbeiter zu ermuntern, damit sie verstehen, dass Security mit ihnen zu tun hat. Security muss Management-Kultur werden.«
Besonders gefürchtet ist das Reverse Engineering, denn durch Produktpiraterie entstehen den Unternehmen Schäden in Milliardenhöhe. Interessant dabei ist, das da gar nicht so sehr die organisierte Kriminalität und die Großkopierer die Schäden anrichten, 71 Prozent gehen vom lieben Wettbewerb aus. Da ist eine Umfrage erschreckend, die Zimmermann zitierte: Die Kunden wollen für Sicherheit nicht bezahlen und Sicherheit wird nicht als Funktion gesehen. »Industrie 4.0 ist ein langer, evolutionärer Prozess«, hatte Oliver Winzenried gesagt. Das gilt also insbesondere auch für die Security.