Auf der APEC erklärten die Hersteller von Siliziumkarbid-MOSFETs unisono, die Elektromobilität sei ihr wesentlicher Wachstumsmarkt für die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Ich hoffe, sie behalten recht. Im ersten Leitmarkt für SiC, der Fotovoltaik, haben wir schmerzlich erfahren müssen, dass sich die hoch gesteckten Erwartungen nicht immer erfüllen. Dort hieß es anfangs: Wirkungsgrad, Wirkungsgrad, Wirkungsgrad! Das ist heute nicht mehr so ausgeprägt, solange der Wirkungsgrad über 98 Prozent liegt werden die meisten Kriterien erfüllt. Nicht allein der Leistungsschalter ist für den Wirkungsgrad ausschlaggebend, sondern auch die verwendete Schaltungstopologien. Wenn man in der Applikation sehr eingeengt ist, sodass extrem hohe Leistungsdichten notwendig sind, dann ist Siliziumkarbid sicher der richtige Schalter.
Aber das spricht dann doch klar für den Einsatz von SiC im Elektrofahrzeug. Denn da geht es ja immer auch um Gewicht – sprich Reichweite – und Platz, oder?
Wenn es um die DC/DC-Wandler im Auto geht, stimme ich Ihnen zu. Ich will ja keine Leistungselektronik herumfahren, sondern Personen oder Güter befördern. Daher strebt man dort Schaltfrequenzen von 200 bis 500 Kilohertz für Kompaktheit bei möglichst hohem Wirkungsgrad an.
Neben den DC/DC-Wandlern findet sich noch ein zweites großes leistungselektronisches System: der Antriebsumrichter. Ob dort Siliziumkarbid die beste Wahl ist, bin ich mir nicht so sicher. Die einen – und dazu gehören zum Beispiel die Japaner – sagen, durch den Einsatz von SiC erhalte man einen weiteren Freiheitsgrad im Design der elektrischen Maschine sowie der Systemintegration. Das beträfe einerseits die passiven Komponenten wie die Kondensatoren, die dann kleiner ausfallen könnten, und andererseits ließe sich der Kühlaufwand vereinfachen, da die Verluste sinken. Man könnte weiter integrieren. Dieses Lager behauptet daher, SiC würde Vorteile bringen und man könne sich das auch leisten.
Hier in Deutschland wird das eher anders gesehen. Wir hatten mal einen Workshop zu diesem Thema. Dort waren die Teilnehmer der Meinung, die Vorteile von SiC – dieses bisschen kleiner, dieses bisschen mehr Reichweite – seien zu klein für ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Auch ich bin noch gespaltener Meinung, denn der IGBT birgt noch viel Entwicklungspotenzial gerade in Bezug auf Optimierung für eine gezielte Anwendung im Auto. Und wenn man eine gute Topologie wählt, dann lassen sich ähnlich hohe Schaltfrequenzen erreichen die für den Traktionsantrieb zu Vorteilen führen. Und dann kann der Silizium-IGBT seinen Preisvorteil ausspielen. Da tun wir uns hier in Deutschland einfach schwerer als beispielsweise die Japaner. Die setzen voll auf Siliziumkarbid – auch in den Zügen. Dort ist das eine Top-down-Entscheidung, die von allen mitgetragen wird. Durch das Weniger an Gewicht und Volumen des Umrichters bei gleich guten Zuverlässigkeitswerten kann man die Leistungselektronik beispielsweise in den Zügen besser verteilen und damit »unsichtbar« machen, die Lok ist weg und so weiter.
Aber die Entwickler von Fotovoltaikumrichtern haben uns wie gesagt bereits vorgemacht, dass man mit IGBTs und sehr ausgefeilten Topologien Wirkungsgrade und Leistungsdichten erreichen kann, die denen von Siliziumkarbid sehr nahe kommen. Und dann werden auch beim Auto am Ende die Kosten entscheiden. Wir brauchen also echte Leitapplikationen für SiC. Und das Auto wäre schon eine sehr attraktive.
Beim anderen Wide-Bandgap-Material, dem Galliumnitrid, geht die Entwicklung gerade in eine neue Richtung. Auf der APEC war die Integration eines der Topthemen. Alex Lidow, der CEO des GaN-Pioniers EPC, sagte mir, daran führe kein Weg vorbei, denn wir seien noch 300-mal vom theoretischen Limit entfernt. Sehen Sie die Integration auch als den richtigen Weg?
Absolut! Bei einem Foto von einem GaN-Transistor denkt man, 90 Prozent seien der Schalter und 10 Prozent die Anschlüsse. Doch dieser Eindruck täuscht gewaltig, denn es müssen beispielsweise 30 Ampere rein- und auch wieder herausgeführt werden. In Wirklichkeit belegt die Kontaktierung derzeit etwa 70 Prozent der Fläche und nur 30 Prozent das eigentliche Schaltelement. Und dieses Verhältnis würde sich weiter zu Ungunsten des Schalters verschieben, denn die Kontaktierungsfläche lässt sich nicht proportional zur Größe der Halbleiterstruktur schrumpfen.
Der andere limitierende Faktor ist die elektrische Felddichte. Bei Sperrspannungen von 600 oder 650 Volt ließen sich die Strukturbreiten auf wenige Mikrometer herunterbringen. Heute liegen wir bei zehn oder mehr Mikrometer, um dieses elektrische Feld an der Oberfläche beherrschen zu können. Hier sind intelligente Feldplattenstrukturen notwendig, um das elektrische Feld über den Drain- und Source-Anschlüssen an der Oberfläche abzubauen, ohne zu hohe Feldkonzentrationen and den Ecken und Kanten der Anschlüsse zu bekommen. Nicht zu vergessen, dass da noch eine Passivierungsschicht notwendig ist, die ebenfalls dem elektrischen Feld standhalten muss. Da GaN, genauso wie SiC, ein Wide-Bandgap-Material ist, liegt die Durchbruchfeldstärke bei etwa drei Megavolt pro Zentimeter [bei Silizium 0,3 MV/cm; Anm. d. Red.]. Als Faustregel gilt, dass die Passivierung in Bezug auf Durchbruchfeldstärke um einiges höher liegen muss, um das Feld aufnehmen zu können, ohne die Zuverlässigkeit zu reduzieren oder Sparkling-Effekte auszulösen.
GaN-HEMTs [High Electron Mobility Transistor; Anm. d. Red.] sind extrem schnelle Schalter. Ihre Eingangs- und Ausgangskapazitäten sind sehr klein, die Rückkoppelkapazität nicht so sehr. Die Schwellenspannung ist sehr niedrig, und das gesamte Schaltverhalten ist sehr schwierig zu beherrschen im System …
… und deswegen ist der Weg, weitere Schaltungsteile, wie den Treiber und die Schutzbeschaltung, monolithisch auf den GaN-Chip zu integrieren der einzig logische, oder?
Genau. Das lässt sich ja auch realisieren, da ein HEMT ein laterales Bauteil ist, bei dem alle drei Anschlüsse auf der gleichen Chipseite sind. Der erste Schritt, der sich gerade vollzieht, ist die Integration der Ansteuerung, dann kommt später wohl der PWM-Controller hinzu. Und langfristig wäre auch ein integrierter Kondensator eine Option. Damit hätten wir schon eine komplette Schaltzelle, einen kleinen Wandler-on-Chip.
Die Herausforderung für die Halbleiterfirmen liegt meiner Meinung nach darin, dass diese ja keine Systemanbieter sind. Denken wir aber an die gerade angesprochene GaN-Schaltzelle oder an die Multi-Level-Topologien, denn werden immer mehr Subsysteme auf einem Chip integriert. Das bedeutet, dass die Halbleiterfirmen ganz eng mit dem Systemhersteller kooperieren müssen. Oder die Halbleiterfirmen wenden sich direkt an den Endkunden, aber das wird sich der Systemhersteller nicht gerne wegnehmen lassen.
Das erinnert mich an das, was Dr. Reinhard Ploss, der Infineon-CEO, predigt: »Wir müssen Systemverständnis aufbauen«.
Da bin ich hundertprozentig gleicher Meinung. Nur mit dem richtigen System-Know-how werden die Halbleiterhersteller auch die richtigen Transistoren entwickeln und fertigen können. Außerdem muss ein Halbleiterentwickler in der Lage sein, mit dem Systemhersteller zu diskutieren. Und darüber hinaus müssen die Halbleiterfirmen die Schalter in einer Umgebung testen, die dem realen Einsatz möglichst nahe kommt.
Und daher gibt es sowohl beim MOSFET als auch beim IGBT verschiedene Ausprägungen je nach Zielapplikation.
Richtig. Auch bei IGBTs geht es jetzt im nächsten Schritt darum, wie sich diese für bestimmte Anwendungsbereiche – beispielsweise das Auto – optimieren lassen. Das Auto ist eine »dankbare« Applikation, denn da ist die Umgebung bekannt, und so lässt sich der IGBT wie vorhin besprochen vergleichsweise einfach in diese Richtung optimieren. Dieses Potenzial lässt sich dort relativ leicht ausschöpfen, wohingegen das in den Industrieanwendungen, die ja so vielfältig sind, schon wesentlich schwieriger ist.
Nehmen wir zum Beispiel einen Antrieb, der irgendwo in der Fertigungsstraße steht, und einen Umrichter, der irgendwo anders in einem Schaltschrank steht, und durch die Fabrikhalle verläuft nun ein Kabel, das zehn, hundert oder gar tausend Meter lang ist. In diesem Bereich sind die Anforderungen nicht mehr so klar und eng umrissen.
Aber es gibt doch zunehmend Bestrebungen, die Elektronik näher an den Roboter zu bringen, wenn nicht gar in den Roboter zu integrieren, oder?
Das ist auch ein wichtiger Schritt, den Sie da ansprechen. Auch auf der PCIM werden wir einige Papers zu dem Thema »Integration der Elektronik in den Aktuator« haben. Aber da stellen sich dann viele neue Herausforderungen – vor allem thermische. Die Leistungselektronik bereitet wohl noch die kleinste Herausforderung, da die Schalter bis 150 Grad Celsius arbeiten können. Aber was ist mit den anderen ICs, Mikrocontrollern und passiven Komponenten? Viele ICs sind nur bis 120 Grad spezifiziert, außer sie sind nach der MIL-Spec klassifiziert. Diese gehen dann zwar bis 140 Grad, verbieten sich aber aus Kostengründen. Bei den Passiven ist es noch schlimmer, die hören oft schon bei 85 oder 100 Grad auf.
Da ist der Weg der Integration der passiven Komponenten in die Leistungselektronik aus meiner Sicht der richtige Weg. In der einen Ebene habe ich die verlustbehafteten Komponenten, wie MOSFETs und Dioden; und direkt dort muss man die Verluste auch abführen. In einer anderen Ebene lassen sich dann die passiven Komponenten integrieren. Eine solche geschickte Integration kann dabei helfen, die Temperaturen noch zu beherrschen.