Elektronik: Sie haben nun schon viel aus Ihrem Erfahrungsschatz berichtet. Was war denn Ihre größte wissenschaftliche Herausforderung und was war für Sie persönlich der größte Erfolg?
Prof. Lorenz: Das ist eine sehr schwierige Frage, denn man muss sich fragen: Was heißt Wissenschaft für jemanden, der in der Industrie tätig ist? Ich hatte vielleicht das Glück, dass ich genau zu einem Zeitpunkt angefangen habe mit meiner Karriere, als der Umschwung von der konventionellen Leistungshalbleiterei in bipolarer Technik hin zu den MOS-gesteuerten Schaltern stattfand. Das war Anfang der 80er Jahre und ich hatte 1982 angefangen.
Außerdem fing ich damals bei Siemens in einem Team an, das unglaublich großes Fachwissen bei Leistungshalbleitern hatte. So konnte ich mein Handwerkszeug erlernen. Dort durfte ich dann meine Ideen in der Produktdefinition und der Charakterisierung von MOSFETs, IGBTs, Smart Power Devices usw. beisteuern. Außerdem wurde ich zu unglaublich vielen Konferenzen als Referent und Round-Table-Diskussionen eingeladen.
Elektronik: War da etwas besonders Kniffliges dabei? Etwas, was viel Kopfzerbrechen bereitet hat und was Sie trotzdem hinbekommen haben?
Prof. Lorenz: Da gab es zwei Themen, an die ich mich spontan erinnere. Das eine war der NPT-IGBT in Dünnwafer-Technik. Im Gegensatz dazu waren die PT-IGBTs der Mitbewerber deutlich einfacher zu prozessieren – wegen der dicken Wafer, die dort zum Einsatz kamen. Bei der Dünnwafer-Technik hingegen war Siemens wirklich Technologieführer. Ich kann mich noch gut an Diskussionen bei Konferenzvorträgen erinnern, wo keiner der Mitbewerber sich vorstellen konnte, dass der sogenannte „transparente Rückseiten-Emitter“ in einer Volumenfertigung mit vernünftiger Ausbeute produziert werden kann...
Elektronik: Und das zweite Thema?
Prof. Lorenz: Das zweite Thema war die Superjunction-Technik. Die Idee wurde zwar schon recht lange vorher geboren, aber die Umsetzung war schwierig. Ende der 90er Jahre hatten wir die ersten Muster produziert. Aber die Ausbeute war nicht stabil – in der einen Woche 30 %, in der anderen Woche 94 %. Wir hatten die Superjunction-Technik also in den Markt eingeführt und kurze Zeit später festgestellt, dass die Produktion nicht stabil ist. Also musste die Technik komplett überarbeitet werden und erst im zweiten Ansatz waren wir dann erfolgreich.
Elektronik: Zwei besonders außergewöhnliche Errungenschaften gab es also?
Prof. Lorenz: Wenn man möchte, könnte man als Drittes noch die Einführung der SiC-Schottky-Diode nennen. Auch hier war es so, dass wir ein bis zwei Jahre nach der Markteinführung festgestellt haben, dass die Ausfälle unheimlich hoch waren. Dann musste erst einmal die Materialqualität verbessert werden, das heißt die Defektdichten im Material – Micro Pipes waren das damals.
Elektronik: Und Ihre persönlichen Erfolge?
Prof. Lorenz: Ich hatte ja die Gelegenheit, unsere Fortschritte nach draußen darzustellen. In den vielen Vorträgen und Kundengesprächen habe ich natürlich viel gelernt. Und wenn man wie ich 20 bis 25 Jahre lang auf einem Gebiet vorne mit dabei ist, bekommt man viele Auszeichnungen, z.B. IEEE Fellow, William E. Newell Power Electronics Award und Gerald Kliman Innovator Award.
Elektronik: In Ihrer Professorentätigkeit haben Sie viel Kontakt zu Studenten. Welche Ratschläge würden Sie als erfolgreicher Leistungselektronik-Experte dem Elektronik-Nachwuchs heute mit auf den Karriereweg geben?
Prof. Lorenz: Da fallen mir drei Hard Facts ein. Erstens: Jemand, der Ingenieur werden will, benötigt eine sehr gute Basisausbildung. Mathematik, Physik, Chemie und technische Mechanik – das dürfen keine Wahlfächer sein, das müssen Pflichtfächer sein. Wenn diese Basis nicht vorhanden ist, wird der angehende Ingenieur Probleme im Verständnis und später im Berufsleben haben.
Elektronik: Wobei das doch eigentlich Sache der Unis ist, so etwas festzulegen. Das kann der Nachwuchs ja eigentlich wenig beeinflussen.
Prof. Lorenz: Aber er kann sehr häufig wählen, was er belegt. Es gibt Schleichwege, sodass man mit einem Minimum an Mathematik durchkommt.
Zweitens: Die Absolventen müssen sich Gedanken machen, was sie machen wollen und bei welcher Firma oder auf welcher Position sie arbeiten wollen. Aber wenn man sich einmal für eine Firma und ein Fachgebiet entschieden hat, dann sollte man so lange dort bleiben, bis man sein Handwerkszeug erlernt hat und bis man weiß, wie eine Firma tickt.
Außerdem ist es sinnvoll, zu bleiben, bis man eine Leistung erbracht hat, die nachweisbar ist. Das heißt, bis man als Experte innerhalb der Firma und im besten Fall sogar außerhalb der Firma anerkannt ist. Ich halte wenig davon, wenn ein Absolvent bereits nach drei Monaten in einem Unternehmen anfängt zu überlegen, was er machen muss, damit er ganz schnell nach oben kommt. Und drittens: Der Ingenieur muss offen sein für Neues. Er muss sich permanent und gezielt weiterentwickeln und weiterbilden.
Elektronik: Das ist alles?
Prof. Lorenz: Dazu kommen dann noch Soft Facts: Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Disziplin. Solche Punkte werden noch wichtiger, wenn man Personalverantwortung hat. Man muss mit dem Mitarbeiter kommunizieren und ihm die Wahrheit sagen. Denn Mitarbeiter spüren sehr schnell, wenn ihnen etwas vorgemacht wird. Das kann sehr schnell zu Frustrationen führen.
Der Autor
Leo Lorenz
begann seine jahrzehntelange Karriere in der Leistungselektronik 1982 bei Siemens (später Infineon), wo er im Lauf seines Arbeitslebens verschiedene Führungspositionen innehatte. Heute ist er Technology Consultant for Power Semiconductor Devices bei Infineon. Er hält Vorlesungen an verschiedenen Universitäten und ist Ehrenprofessor der TU Ilmenau sowie Lehrbeauftragter an mehreren asiatischen Universitäten, zum Beispiel in Xi-An-Jiatong und Zhejiang, China. Der Mitbegründer des ECPE (European Center of Power Electronics) ist seit der Gründung im Jahr 2003 Präsident der Leistungselektronik-Organisation. Lorenz kann mehr als 400 Veröffentlichungen vorweisen und besitzt zahlreiche Patente.