Hohe Lagerbestände bedeuten naturgemäß eine hohe Kapitalbindung. Doch nicht nur die bereitet einigen Firmen Sorgen, sondern auch die Preissteigerungen der Logistiker sowie der Komponenten- und Systemhersteller. Der Reihe nach: Die Carrier haben ihre Preise bereits mit Beginn der Corona-Krise immens erhöht. Inzwischen sind die Transportkosten wieder zurückgegangen. »Wir werden aber nie wieder das Preisniveau erreichen, das wir 2018/2019 hatten«, bringt es Dr. Christiane Endrich, CEO von Endrich Bauelemente, auf den Punkt. »Die Luftfahrt ist immer noch deutlich teurer als vor der Pandemie, während die Seefracht wieder günstiger geworden ist.« Rüdiger Scheel, Vice President Mobility Murata Europe, ergänzt, dass Murata neue Verträge mit Carriern abgeschlossen habe, die er als »wieder deutlich besser« bezeichnet.
Dass auch die Hersteller ihre Preise angezogen haben, liegt auf der Hand, und das findet Karsten Bier, CEO von Recom, aus Herstellersicht auch in Ordnung so: »Die Preise, die jetzt im Markt sind, sind gerechtfertigt, weil Materialien, Transport etc. teurer wurden. Das müssen wir weitergeben. Aber es wird spannend, wie es weitergeht, denn es ist viel Ware im Markt, und es bleibt abzuwarten, wann die ersten beginnen, die Preise zu reduzieren, auch wenn das massiv in die Marge und Kalkulation geht.« Für die Industrie sind fallende Preise wiederum gut, aber für Investitionen und Nachhaltigkeit sei das schlecht, so Bier weiter. »Wer hochsubventioniert ist, kann das Spiel spielen, aber nicht, wer es selber finanzieren muss. Im Prinzip braucht man ein sehr gutes Cash-Management, um diese Zyklen zu bestehen.«
Wie volatil die Preise sind, weiß auch Stefanie Kölbl anhand des Speicherbereichs zu berichten: »Für kurze Zeit sind die Speicherpreise gesunken. Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, um sich das Lager vollzufüllen, aber wer kann das zusätzlich schon? Zusätzlich muss man dann auch hoffen, dass die Ware kommt, solange der Preis niedrig ist. Denn wenn sich die Lieferung verschiebt, ist die Ersparnis auch wieder nicht vorhanden.« Mittlerweile ist es üblich, dass Preise nach Bestelleingang dynamisch bleiben. Das heißt, wer lange auf die Ware warten muss, hat unter Umständen das Pech, dass der Preis sich wieder verändert hat.
[»Wettbewerber könnten situativ Partner werden«
Die Risiken in den Lieferketten werden weiter steigen, darin ist sich die Diskussionsrunde einig: »Auf uns kommt eine massive Komplexitiät zu, und die Frage ist, ob alle die Nerven behalten«, fasst Karsten Bier zusammen. Der Erfolg von Unternehmen in der Lieferkette hängt zunehmend davon ab, wie gut sie in der Lage sind, die Risiken zu managen. »Für uns ist das Risikomanagement Tagesgeschäft«, unterstreicht Bier. Die Herausforderung ist dabei auch, die Strategie jeweils gezielt den Gegebenheiten anzupassen. Ein Risikomanagement à la »One Size Fits All« funktioniert nicht.
»Man braucht zwei, drei Lösungen analog zur Entwicklung, da habe ich auch Second und Third Sourcing. Das alles hat wiederum einen großen Impact auf die Innovation und die Lieferfähigkeit in der Allokation«, führt der Recom-Chef aus.
Zum Risikomanagement gehört laut Ralf Bühler, CEO von Conrad, auch die Entwicklung von vertrauensvollen Partnerschaften. »Unser System in Europa wird nur funktionieren, wenn wir vertrauensvolle Partnerschaften miteinander entwickeln, die in beide Richtungen funktionieren.« Dabei geht es etwa darum, dass Ware vom Kunden nicht von jetzt auf gleich storniert werden kann und der Distributor schlussendlich auf der Ware sitzen bleibt oder Verträge nur dann neu verhandelt werden, wenn die Preise nach unten gehen. »Es ist Teil unseres Risikomanagements mit den Kunden, mit denen wir langfristig arbeiten wollen, eine gewisse Verbindlichkeit auf beiden Seiten herzustellen. Partnerschaft geht in alle Richtungen, in die Supply-Chain und nach draußen auf die Kundenseite. Das verhindert, dass falsche Erwartungen geweckt werden.«
Laut Bühler könnten solche Partnerschaften aber auch verhindern, dass die Broker in der nächsten Allokation erneut das Geschäft aufgreifen. »Den Brokern werden Dinge zugestanden in einer Verknappung, die wir als klassische Lieferanten niemals so dem Kunden im normalen Geschäftsverlauf kommunizieren könnten.« Einem Vertrags-Distributor würde nicht zugestanden, mal schnell die Preise um 25 Prozent zu erhöhen, um fehlende Ware zu besorgen, so Bühler. »Wir versuchen das mit partnerschaftlichen Verträgen im Upswing genau wie im Downturn, mit einem Fair Deal, zu lösen.«
Dabei plädiert Bühler auch dafür, in der Kette mit Marktbegleitern enger zusammenzuarbeiten, beispielsweise indem Lagerbestände mehrerer Händler abgebildet werden, um mehr Transparenz in die Lieferkette zu bringen. »Wettbewerber können situativ Partner werden«, meint Bühler und verweist dabei auf den Conrad-eigenen Marktplatz. Ein Problem sieht Bühler darüber hinaus im Inseldenken, das aus seiner Sicht am Bauteilemarkt vorherrscht. Es sei nicht einfach, Partnerschaften mit Komponenten-Herstellern zu schließen, betont Bühler. »Wir können noch so gutes Risikomanagement praktizieren, das alleine wird nicht reichen. Wir befinden uns in einer Branche, die extrem inselorientiert und extrem Ich-bezogen und wenig Wir-bezogen arbeitet. Wir haben in Europa viele kleine Distributoren und Hersteller, die sich verhalten, als ob sie die großen Player aus den USA wären, und dabei vergessen, dass wir alle ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die Industrie am Laufen zu halten.«
[»Nur Marge abgreifen wird nicht funktionieren«
»Viel gelernt zum Thema Partnerschaften« hat nach den Worten von Stefanie Köbl auch TQ: »Es hat sich herauskristallisiert, wer unsere Partner sind und wer eben langfristig kein Partner ist. Da muss man auch ganz klar in Richtung Distribution schauen. Es wird den einen oder anderen geben, der sich langfristig ein anderes Konzept überlegen muss. Denn einfach nur in der Kette dazwischen sitzen und Marge abgreifen, das wird in Zukunft nicht mehr funktionieren.« Partner müssten auch gewisse Risiken mittragen, so Kölbl weiter, und nicht den Kunden alleine die Risiken aufbürden.
Die Sicht, dass ein Distributor nicht nur Ware von A nach B shiften kann, sondern Mehrwert bieten muss, unterstützt auch Marc-Gregor Reiterer: »Der Gedanke, wir kaufen Ware, packen sie um und schicken sie zum Kunden, ist komplett obsolet.« Die Kunden wollen nach den Worter von Reiterer eine intensivere und offenere Zusammenarbeit als noch vor einigen Jahren. »Das, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, war ein Sprung, den die Branche wahrscheinlich in den letzten 20 Jahren nicht gemacht hat.«