Überbestände zu Kapital machen

Electronic Direct: »Partner, der mitdenkt, nicht nur liefert«

28. Juli 2025, 14:30 Uhr | Karin Zühlke
Boris Ulmer, ElectronicDirect: »Der Markt verlangt heute mehr als Bauteile: Er verlangt Lösungen. Unternehmen, die ihre Bestände strategisch managen, Liquidität sichern und Engpässe vermeiden wollen, brauchen Partner, die vom Kunden aus denken – nicht nur liefern. Genau dafür stehen wir bei ED!«
© Electronic Direct

Electronic Direct, unabhängiger Distributor und seit 2024 Teil der Conrad Gruppe, unterstützt Conrad-Kunden u. a. bei der Sonderbeschaffung elektronischer Bauteile und bietet neue Wege im Excess- Inventory-Management. Details von Boris Ulmer, Director Product Management von Electronic Direct.

Diesen Artikel anhören

Markt&Technik: Herr Ulmer, die Electronic Direct GmbH ist seit Anfang 2024 Teil der Conrad Gruppe. Was war der strategische Hintergrund dieser Übernahme und Integration in die Conrad Gruppe?

Boris Ulmer: Die Zusammenarbeit war ein logischer Schritt. Conrad hat sich vom Katalogversender zum Plattformanbieter mit klarem B2B-Fokus entwickelt. Electronic Direct – kurz: ED – ergänzt dieses Ökosystem mit einem hochspezialisierten Dienstleistungsportfolio im Bereich Sonderbeschaffung und Bestandsoptimierung. Die ED bleibt operativ eigenständig, profitiert aber von der Reichweite, Infrastruktur und Innovationskraft der Gruppe. Umgekehrt stärken wir Conrads Position als Lösungsanbieter. Angesichts der genannten Herausforderungen ist es für OEMs und EMS unerlässlich, mit einem kompetenten Distributionspartner zusammenzuarbeiten, der nicht nur im Bereich der XS-Vermarktung über fundierte Expertise verfügt und seine Kunden gezielt entlastet, sondern auch für die kommende Marktentwicklung als patenter Lieferant und Supply-Chain-Experte agiert.

In welchen Fällen treten Unternehmen also typischerweise an ED heran?

Die Bandbreite ist groß – von der kurzfristigen Beschaffung eines abgekündigten Bauteils über die reguläre Distribution bis hin zur strategischen Lagerbereinigung in Millionenhöhe. Besonders gefragt sind wir, wenn Standardlösungen nicht ausreichen. Unsere Kunden wissen: Bei ED bekommen sie nicht nur Komponenten, sondern belastbare Versorgungskonzepte, die ihre Supply Chain spürbar stabilisieren.

Kurz zusammengefasst: Wo genau liegen Ihrer Erfahrung nach derzeit die Schmerzpunkte bei den Unternehmen?

Unternehmen stehen vor mehreren belastenden Herausforderungen im Umgang mit Lagerüberbeständen. Ein wesentliches Problem ist die hohe Kapitalbindung, da XS-Bestände gebundenes Kapital darstellen und die Liquidität des Unternehmens beeinträchtigen. Gleichzeitig entstehen durch die Lagerhaltung Kosten, da personelle und logistische Ressourcen gebunden werden und die operative Effizienz beeinträchtigt wird. Hinzu kommt die Preiserosion, die vor allem dann problematisch ist, wenn Bauteile während der Allokationsphase zu hohen Einkaufspreisen beschafft wurden und später an Wert verlieren. Mit zunehmender Lagerdauer steigt zudem das Risiko, dass die Ware veraltet und nicht mehr in allen Applikationen einsetzbar ist, wodurch sich die Marktverwendbarkeit der Bestände weiter verringert.

 

Lager der Firma Electronic Direct
ED hat physische Lager, zertifizierte Qualitätssicherung und eigene Prüftechnik.
© Electronic Direct

An dieser Stelle eine kurze Begriffserläuterung: Was genau sind „XS-Bauteile“?

XS steht für „Excess Inventory“, also Überbestände. Gemeint sind elektronische Bauteile, die Unternehmen einmal beschafft haben – zum Beispiel zur Absicherung in der Chipkrise – aber heute nicht mehr benötigen. Diese Lagerüberhänge binden Kapital, verursachen Kosten und verlieren mit der Zeit an Marktwert. Deshalb ist ein strukturiertes, professionelles Vermarktungsmodell so wichtig. XS-Bauteile können, richtig gemanagt, sogar zu einem strategischen Vorteil werden.

Die Chipkrise hat viele Unternehmen zur Bevorratung gezwungen. Mit welchen Konsequenzen?

Diese Bevorratung ist vielen inzwischen auf die Füße gefallen. Zwischen 2020 und 2022 wurden riesige Sicherheitsbestände aufgebaut – verständlich, aber oft planlos. Heute sehen wir die Kehrseite: Lager voll, Liquidität blockiert, Wertverluste durch Preiserosion. Und: Die operative Belastung ist enorm. Jedes Bauteil muss geprüft, verwaltet und dokumentiert werden. Für viele Mittelständler ist das kaum zu stemmen.

Welche strukturellen Probleme treten dabei auf?

Es fehlt oft an durchgängiger Datenqualität. Bestandslisten sind veraltet, Losnummern und Date Codes fehlen, Herkunftsnachweise sind lückenhaft. Viele Unternehmen arbeiten noch mit Excel-basierten Systemen, ohne zentrale Datenhoheit. Das erschwert nicht nur die Vermarktung, sondern auch die Bewertung – insbesondere bei mixed lots. Unsere erste Aufgabe ist deshalb oft: Transparenz schaffen.

Welche konkreten Leistungen bietet ED beim Management von Überbeständen?

Wir bieten ein vierstufiges Modell, jeweils zugeschnitten auf Bedarf und Zielsetzung:

Erstens Direktankauf: Schnelle Liquidität, klare Abwicklung, keine Restverantwortung.

Zweitens Konsignationslager: Ware bleibt im Eigentum des Kunden, wird aber über unser Lager vermarktet – mit professioneller Verkaufsstrategie.

Drittens Exklusiv-List-based Sales: Der Kunde behält die Ware, wir übernehmen die digitale Vermarktung auf globalen Marktplätzen und über unser Netzwerk.

Viertens Asset Share Purchase: Kapitalfreisetzung plus anteilige Umsatzbeteiligung – eine Hybridlösung, die vor allem für Großvolumen attraktiv ist.

Ergänzend bieten wir Bewertung, Prüfung und logistische Komplettabwicklung – inklusive zertifizierter Testverfahren. Je nach Bedarf kann der Kunde die passende Strategie wählen. Wir beraten dabei nicht nur technisch, sondern auch betriebswirtschaftlich.

Firmengebäude von Electronic Direct
Agiert wird vom Standort in Putzbrunn bei München aus.
© Electronic Direct

„Nachvollziehbare Abläufe, nicht kurzfristige Deals“

Was unterscheidet ED dabei von klassischen Chip-Brokern?

Entscheidender Punkt: Wir haben physische Lager, zertifizierte Qualitätssicherung und eigene Prüftechnik. Das unterscheidet uns grundlegend von reinen Händlern oder Zwischenvermarktern. Wir agieren als verlässlicher Partner – mit transparentem Prozess, klarer Dokumentation und nachweisbarer Prüfkompetenz. Das Vertrauen unserer Kunden basiert auf nachvollziehbaren Abläufen, nicht auf kurzfristigen Deals.

Viele Unternehmen scheuen sich, digitale Plattformen zu nutzen. Warum?

Es gibt zwei Hauptgründe: Erstens fehlt oft die technische Anbindung an Plattformen – zum Beispiel eine API-Integration ans ERP-System. Zweitens bestehen Bedenken in Bezug auf Datenschutz, Preistransparenz oder Kontrollverlust. Das betrifft besonders kleine und mittelständische Unternehmen. Wir begegnen dem mit gezielter Beratung und übernehmen auf Wunsch die komplette Abwicklung – inklusive Rückverfolgbarkeit und Reporting.

Welche Rolle spielt IT bei ED?

Eine zentrale. Unser System integriert alle Schritte – von der Lagerhaltung über die Vermarktung bis zur Preisfindung. Unsere interne Marktbeobachtungs-KI analysiert tagesaktuelle Daten, erkennt Trends und prognostiziert Verkaufschancen. In Kombination mit Kundendaten entstehen daraus intelligente Vermarktungskonzepte. Diese sind nicht nur schneller, sondern auch wirtschaftlicher als klassische Ansätze.

Können Sie einen konkreten Use Case aus der Praxis nennen?

Ein Industriekunde sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, Lagerüberbestände hochwertiger aktiver Elektronikbauteile – darunter Mikroprozessoren, FPGAs und Leistungshalbleiter – mit einem ursprünglichen Einkaufswert von über drei Millionen Euro abzubauen. ED übernahm die Ware zu einem Festpreis, überführte sie in das eigene Lager und prüfte die Komponenten gemäß den einschlägigen Qualitätsstandards der Branche. Anschließend erfolgte die schrittweise Rückführung in den globalen Chipmarkt – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Der Kunde konnte dadurch Kapital freisetzen, Lagerkosten senken und parallel wieder beschaffen.

„Aus dem Problem eine Ressource machen“

Wie viel Potenzial sehen Sie im XS-Markt?

Allein in Europa übersteigen die gebundenen Kapitalwerte die Marke von zwei Milliarden Euro – und der Trend ist nicht beendet. Auch neue Krisen, etwa in der Chiplogistik, führen partiell zu überhöhten Bedarfsplanungen. Die Situation ist geprägt von politischen Restriktionen, infrastrukturellen Engpässen sowie physischen und digitalen Störrisiken. Unternehmen, die heute strategisch an das Thema herangehen, sichern sich langfristige Vorteile – und machen aus einem Problem eine Ressource.

Blicken wir auf die Supply-Chain-Seite: Wie hilft ED beim Aufbau resilienter Strukturen?

Wir bieten modulare Supply-Chain-Services – von präventivem Bestandsmanagement über VMI-Modelle bis hin zu Sicherheitslagerlösungen. Besonders gefragt ist derzeit unsere zentrale Lagerhaltung für ausgewählte Bauteile – unter anderem für Kunden mit verteilten Produktionsstandorten. Die Kombination aus Bestandsbündelung, smarter Nachschubplanung und Qualitätssicherung ermöglicht niedrigere Sicherheitsbestände bei höherer Versorgungssicherheit.

Auch das Thema Obsoleszenz treibt viele Unternehmen um.

Absolut. Wir unterstützen aktiv beim Monitoring von Bauteillebenszyklen – zum Beispiel durch die Verknüpfung unserer Daten mit Herstellerinformationen. So können wir frühzeitig erkennen, wann ein Produkt abgekündigt wird – und rechtzeitig Alternativen identifizieren. Im besten Fall erhalten unsere Kunden schon im Designprozess Empfehlungen, um spätere Abkündigungsrisiken zu minimieren.

„Ergänzung zur klassischen Distribution“

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung im Halbleitermarkt ein?

Die Wachstumsprognosen sind klar – vor allem im KI- und HPC-Bereich. Gleichzeitig bleibt das Umfeld geopolitisch angespannt und zyklisch anfällig. In Europa wird das Thema Reshoring wichtiger, aber das ändert nichts an den strukturellen Engpässen. Der Markt verlangt künftig agile, dezentral gesteuerte Lieferketten – mit hoher Transparenz und kurzen Reaktionszeiten. Distributoren wie ED haben dabei eine Schlüsselfunktion.

Warum?

Weil wir schnell, unabhängig und datengetrieben agieren können. Unsere Kunden profitieren davon, dass wir global sourcen, regional lagern und strategisch denken. Wir beherrschen auch klassische Distribution, verstehen uns jedoch nicht als deren Ersatz – sondern als deren Ergänzung, wo sie an Grenzen stößt. Genau diese Lücke füllen wir – effizient, transparent und partnerschaftlich.

Ein abschließendes Fazit?

Der Markt verlangt heute mehr als Bauteile: Er verlangt Lösungen. Unternehmen, die ihre Bestände strategisch managen, Liquidität sichern und Engpässe vermeiden wollen, brauchen Partner, die vom Kunden aus denken – nicht nur liefern. Genau dafür stehen wir bei ED!


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Conrad Electronic SE

Weitere Artikel zu Distribution