»Die Bandbreite der SPE-Physik für IO-Link nutzen«
Kaum aus den Startlöchern heraus, erfährt die Single-Pair-Ethernet-Technologie schon jetzt Ergänzungen: durch IO-Link+ als „IO-Link over SPE-Physik“ und durch Ethernet-APL als „SPE für die Prozessindustrie“. Peter Wienzek, Manager Business Development Systems bei ifm electronic, erläutert die Hintergründe.
Markt&Technik: Wie weit ist die Normierung von IO-Link+ gediehen, und welche Rolle spielt hier die IEC-63171-Normenreihe?
Peter Wienzek: Wir sollten die Themen „2-Draht-Ethernet als preisgünstige IT-Netzwerkinfrastruktur“, wie in der IEC-63171-Normenreihe beschrieben, und „digitale Punkt-zu-Punkt-Verbindung von Sensoren und Aktuatoren“ getrennt betrachten. Beide Anwendungen sind völlig unterschiedlich. Die IO-Link Community hat nach Erstellung einer Konzeptstudie im Jahr 2020 eine Arbeitsgruppe IO-Link+ gegründet. Hier sollen die Grundlagen für eine hochperformante Erweiterung des bestehenden IO-Link-Standards auf Basis der SPE-Physik erarbeitet werden, um die Vorteile von IO-Link auch auf einer höherperformanten Physik nutzen zu können. Dabei stehen die Kundenanforderungen an erster Stelle. Inwieweit Steckergesichter aus der IEC-63171-Normenreihe Verwendung finden, ist noch nicht entschieden.
Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von IO-Link+ wird die einfache Handhabung sein. Deshalb wird der neu zu entwickelnde IO-Link+ Master die entscheidende Rolle spielen. Wichtig ist uns eine volle Kompatibilität zur bestehenden IO-Link-Norm IEC 61131-9, um den Einstieg in die Technologie für die Kunden auf Basis des bestehenden Wissens zu ermöglichen.
Welche konkreten Anwendungen erwarten Sie für SPE in Bezug auf Industrial Ethernet und IO-Link?
SPE ist aus unserer Sicht eine Möglichkeit, Ethernet-basierte Feldbusse preisgünstig zu übertragen. Im Sinne von IO-Link sehen wir SPE eher auf der North-bound-Seite unserer IO-Link-Master und betrachten es somit als eine mögliche Verbindung zur SPS oder über den Y-Weg zur Edge oder Cloud.
Inwieweit könnte der Prozessautomatisierungsstandard Ethernet-APL auch in die Fabrikautomatisierung vordringen?
Vergleicht man Ethernet-APL mit dem bisherigen Standard Profibus PA, wird man feststellen, dass dieser in der Fabrikautomatisierung keine Relevanz hatte. Ähnlich sehe ich das bei APL. APL ist für längere Strecken und weniger Daten optimiert, wie es für die klassische Chemie- und Prozessindustrie nötig ist. In der Factory Automation stehen im Gegensatz hierzu kurze Zykluszeiten und geringere Leitungslängen. Daher gibt es unterschiedliche Definitionen für beide Technologien.
Welche Bedeutung werden Ethernet-APL und SPE voraussichtlich auf ihren Märkten erlangen?
Die zukünftigen Marktanteile der beiden Technologien lassen sich heute noch nicht vorhersehen. Beide Technologien stehen ziemlich am Anfang. Daher kann eine breite Marktakzeptanz noch nicht vorhanden sein.
Lassen sich TSN und OPC UA over TSN auch in SPE- und Ethernet-APL-Verkabelungen abbilden?
Bei TSN und OPC UA over TSN handelt es sich um Echtzeiterweiterungen für industrielle Netzwerke, wobei die unterlagerte Physik sekundär ist. Beide können sowohl auf klassischen LAN-Kabeln mit zwei oder vier Doppeladern als auch über Zweidraht-SPE-/Ethernet-APL-Verdrahtungen abgebildet werden. Ich sehe hier keine Konkurrenzsituation, weil SPE und Ethernet-APL kein Protokoll definieren.
IO-Link+ als „IO-Link over SPE-Physik“
»Performance und Reichweite von IO-Link erhöhen«
IO-Link-Daten werden sich in naher Zukunft auch über Single-Pair-Ethernet (SPE) übertragen lassen. Ein entsprechender Standard mit dem Namen IO-Link+ befindet sich in Vorbereitung. Karim Jamal, Senior Member Technical Staff bei Texas Instruments, erklärt den aktuellen Stand der Dinge.
Markt&Technik: Wie ist der derzeitige Stand der Normierung von IO-Link+?
Karim Jamal: Die IO-Link+ Task Force arbeitet in zwei Sub Working Groups an der Konzipierung der Physical- und MAC-Layers. Ziel ist, bis Mitte 2022 den ersten Draft dem IO-Link Steering Committee vorzustellen.
Welche sind die wichtigsten technischen Eigenschaften von IO-Link+?
Alle gesammelten Use-Cases in der ersten Evaluierungsphase von IO-Link+ haben einen eindeutigen Bedarf gezeigt, die Performance (Datenbreite und Latenz) sowie die bisherige Reichweite von 20 m bei IO-Link zu erhöhen. SPE hat sich aus unserer Sicht als das hierfür geeignetste Übertragungsmedium erwiesen. Die Erweiterung bleibt natürlich im Rahmen des IO-Link-Standards und der Punkt-zu-Punkt-Architektur.
Inwieweit lässt sich IO-Link+ als „IO-Link over SPE-Physik“ bezeichnen?
Das trifft gut, wenn wir mit SPE-Physik den Kommunikations-Physical-Layer nach IEEE 802.3cg 10BASE-T1L meinen. Zusätzlich prüfen wir Power over Data Line (PoDL), wie im Clause 104 des PoDL-Standards IEEE P802.3bu beschrieben.
Trifft die Kurzbeschreibung zu, dass IO-Link+ IO-Link-Daten anstatt über das bisher für IO-Link genutzte dreiadrige Kabel über zweiadrige SPE-Kabel überträgt und dabei die bewährten Eigenschaften von IO-Link beibehält?
Ja, genau. Selbstverständlich nutzen wir diese Gelegenheit, notwendige Verbesserungen im Protokoll anzupassen, um IO-Link als das Digitalprotokoll für den Production Floor in der Fabrik noch zukunftsfähiger zu gestalten.
Inwieweit sollen Steckgesichter aus der IEC-63171-Normenreihe auch für IO-Link+ verwendet werden?
Die Kabel- und Steckernormen sind wichtig für das IO-Link+ Ecosystem. Eine wichtige Voraussetzung zum Erfolg von IO-Link+ wird die einfache Handhabung sein, indem auch die Koexistenz zwischen bisherigen IO-Link-Produkten und neuen IO-Link+-Masters und IO-Link+-Devices einwandfrei funktionieren. Für Port B wird es ohnehin eine Extralösung geben, daher sind wir frei in unserer technischen Betrachtung.
Welche Roadmap verfolgt die IO-Link Community für die Standardisierung von IO-Link+?
Im Jahr 2022 werden wir den ersten Konzept-Draft vorlegen und die ersten Proof of Concepts realisieren. Im zweiten Schritt werden wir an den Protokoll- und Testspezifikationen arbeiten.
Wann ist mit der Fertigstellung des Standards IO-Link+ zu rechnen, und wann wird es voraussichtlich erste Produkte bzw. Lösungen mit IO-Link+ geben?
Evaluierungen sind für 2022 geplant, und zwar mittels Evaluation Boards und Demos. Die ersten Produkte dürften zwischen dem zweiten Halbjahr 2023 und dem ersten Halbjahr 2024 erscheinen. Voraussetzung dafür ist die Realisierung eines IO-Link+ Masters.