»Anwendungsbezogene Standards fehlen noch«
Für Single-Pair-Ethernet sind die unteren Schichten der Kommunikation und die Steckverbinder standardisiert, aber die anwendungsbezogenen Standards fehlen überwiegend noch. Aurel Buda, Leiter Produktmanagement Fabrikautomation Systeme bei Turck, gibt eine Einschätzung.
Markt&Technik: Welche Standardisierungen sind nötig, damit sich SPE in der Industrie verbreiten kann?
Aurel Buda: In Sachen Standardisierung gibt es drei Ebenen: Zum einen die unteren Schichten der Kommunikation, die durch IEEE 802.3 als T1-Standards zur Verfügung stehen, zum anderen die verschiedenen Konnektoren – einige sind durch die Normen IEC 63171-2/5/6 bereits verfügbar. Als hybrides Konzept für Geräte mit höheren Leistungsanforderungen ist jüngst noch ein Konnektor in der IEC 63171-7 hinzugekommen. Vor einer breiten Verfügbarkeit von SPE am Markt müssen allerdings die anwendungsbezogenen Standards vorliegen, also beispielsweise IO-Link, Profinet oder auch Isobus über SPE. Die Arbeiten daran haben begonnen, mit Ausnahme von Ethernet-APL stehen sie aber überall noch am Anfang.
Wurden mit SPE und Ethernet-APL schon konkrete Anwendungen verwirklicht?
Die Arbeiten an Ethernet-APL haben am frühesten begonnen, sodass die Prozessindustrie in diesem Fall die Nase vorn hat. Pilotprojekte sind bereits im Gange. Ab dem nächsten Jahr werden die ersten Produkte dann offiziell auf den Markt kommen. Bei den übrigen SPE-Systemen sind die Anwendungsstandards noch nicht weit genug. Abgesehen von Steckverbindern und Leitungen ist mittelfristig, wenn überhaupt, mit proprietären Produkten zu rechnen.
Könnte der für die Prozessautomatisierung vorgesehene Ethernet-APL-Standard künftig auch in der Fabrikautomatisierung eine Rolle spielen?
Wahrscheinlich wird er dort keine besondere Bedeutung erlangen. An der einen oder anderen Stelle, etwa in Lackieranwendungen, gibt es mitunter Ex-Anforderungen. Für die Fertigung ist aber davon auszugehen, dass die verschiedenen Non-Ex-SPE-Standards die Hauptrolle spielen dürften.
Ist es vorgesehen, Ethernet-APL auch für 100 Mbit/s oder 1 Gbit/s zu standardisieren?
Ursprünglich sollte Ethernet-APL auch mit 100 Mbit/s umgesetzt werden. In Verbindung mit der Anforderung an Eigensicherheit war das allerdings nicht so einfach möglich. 100 Mbit/s steht weiterhin auf der Roadmap für Ethernet-APL.
In welcher Beziehung stehen SPE und Ethernet-APL letztlich zueinander?
Ethernet-APL ist ein Bestandteil von SPE. SPE beschreibt verschiedene Ethernet-Standards, die alle über zwei Adern kommunizieren, konkret 10Base-T1S, 10Base-T1L, 100Base-T1, 1000Base-T1. Ethernet-APL ist eine spezielle, eigensichere Ausprägung von 10Base-T1L.
Inwieweit können TSN und OPC UA auch über SPE laufen?
SPE und Ethernet-APL beschreiben Layer 1 und 2 von Ethernet. TSN ist ein Satz von Echtzeit-Erweiterungen für Ethernet, die künftig auch für die neuen SPE/APL-Standards verfügbar gemacht werden sollen. OPC UA spezifiziert Dienste oberhalb dieser Layer, die eben auf Ethernet, Ethernet mit TSN und damit auch SPE/APL mit TSN laufen können. Es gibt zwischen diesen Technologien keinen Wettbewerb. OPC UA mit Field Level Communication könnte eine Alternative zu Profinet, EtherNet/IP und anderen Industrial-Ethernet-Protokollen werden, sowohl mit TSN als auch über SPE. Ob und inwieweit das passiert, wird sich in einigen Jahren zeigen.
Ethernet-APL mit 100 Mbit/s bei der IEEE eingereicht
»SPE, TSN und OPC UA sind keine Konkurrenten«
TSN und OPC UA over TSN werden künftig auch Single-Pair-Ethernet und Ethernet-APL nutzen können. Über diesen und andere Aspekte informiert Benedikt Spielmann, Marketing Manager Industrial Communication bei Endress+Hauser Digital Solutions.
Markt&Technik: Wie ist der derzeitige Normierungsstand bei Single-Pair-Ethernet – bezüglich der IEC-63171-Normenreihe und bezüglich IO-Link over SPE?
Benedikt Spielmann: Nur mit genormten Schnittstellen ist es möglich, unterschiedlichste Geräte in einem Datennetz miteinander zu verbinden und Einfachheit für die Anwender sicherzustellen. Die Normenreihe IEC 63171 bildet mittlerweile einen umfassenden Standard für die Anschlusstechnik ab und ist somit die Basis für die Anwendung in der Industrie. Durch verschiedene SPE-Steckverbinder in den Detailspezifikationen könnte die Akzeptanz bei den Anwendern allerdings sinken.
IO-Link over SPE war zunächst eine Konzeptstudie der Profibus-Nutzerorganisation, um Möglichkeiten zur Verwendung der IO-Link-Technologie in Kombination mit einem Ethernet Physical Layer aufzuzeigen.
Dadurch könnten höhere Übertragungsgeschwindigkeiten und längere Kabeldistanzen erreicht und gegebenenfalls auch Anwendungen mit IO-Link in Ex-Bereichen realisiert werden. Der Arbeitsname hat sich mittlerweile zu „IO-Link+“ geändert. IO-Link+ ersetzt die verbreitete Standard-IO-Link-Schnittstelle nicht, sondern wird eher als eine Erweiterung angesehen. Die entsprechenden Arbeitsgruppen in der Profibus-Nutzerorganisation arbeiten weiterhin an den Details, sodass hier noch keine Neuigkeiten zu einer Normung verfügbar sind.
Welche Bedeutung könnte der Prozessautomatisierungsstandard Ethernet-APL in der Fabrikautomatisierung erlangen?
Dank einfacher Steckverbindung und hoher Performance wird die 2-Leiter-Ethernet-Technologie generell auch in der Fabrik- und Gebäudeautomatisierung eine große Rolle spielen, besonders im Kontext der digitalen Transformation.
Ethernet-APL lässt sich potenziell auch in nicht explosionsgefährdeten Anwendungen einsetzen. Der Fokus der Hersteller liegt aktuell jedoch klar auf den typischen Prozessanlagen einschließlich Explosionsschutz. Besonders in den kostensensitiven Industrien der Fabrik- und Gebäudeautomatisierung könnte SPE in Zukunft attraktiver als Ethernet-APL sein, zumal mit SPE auch mehr Energie zur Verfügung gestellt werden kann als mit Ethernet-APL.
Gibt es Bemühungen, Ethernet-APL auch für 100 Mbit/s oder 1 Gbit/s zu standardisieren?
Ja, bei der IEEE wurde ein sogenanntes Call for Interest für eine 100-Mbit/s-Lösung mit größeren Kabellängen eingereicht und akzeptiert. Endress+Hauser hat hierzu bereits eine technische Evaluierung in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz durchgeführt, bei der Kabellängen von mehr als 300 Metern bewiesen werden konnten. Der entsprechende IEEE-Standard könnte bis Ende 2023 vorliegen.
Wenn Ethernet-APL als SPE für die Prozessindustrie gedacht ist: Welche Eigenschaften prädestinieren den Standard für Prozessanlagen?
Ethernet-APL setzt auf dem IEEE-SPE-Standard 10BASE-T1L auf und stellt weitere Standards bereit, um die Anforderungen für den Einsatz in Prozessindustrien abzudecken. Dafür gibt es die technische Spezifikation 2-WISE (2-Wire Intrinsically Safe Ethernet) in IEC TS 60079-47 und die APL-Port-Profil-Spezifikation, die Power-Klassen, Kabelspezifikationen und Steckverbinder definiert. Um die Kompatibilität von APL-Komponenten sicherzustellen, werden Ethernet-APL-Geräte gemäß diesen Spezifikationen durch APL-Konformitätstests zertifiziert. Endanwender werden darüber hinaus mit der Ethernet-APL-Engineering-Richtlinie bestmöglich bei der Planung und Inbetriebnahme eines APL-Netzwerks unterstützt.
Zusammengefasst fokussiert Ethernet-APL eine 2-Leiter-Ethernet-Lösung für den Einsatz in Prozessindustrien und stellt dafür ein ganzheitliches Konzept aus Standards, Richtlinien und Zertifizierungstests zur Verfügung.
In welchem Verhältnis stehen SPE und Ethernet-APL einerseits zu TSN und OPC UA over TSN andererseits?
SPE und Ethernet-APL werden künftig auch TSN ermöglichen. Ein Projekt hierfür ist bei der IEEE bereits gestartet. OPC UA wird dann beide Varianten (SPE und Ethernet-APL) mit TSN benutzen. Die OPC Foundation ist aus genau diesem Grund auch in die Kooperation der Standardisierungsorganisationen für Ethernet-APL eingetreten.
Inwieweit könnten SPE und Ethernet-APL einerseits TSN und andererseits OPC UA over TSN als „Zukunftstechniken“ Konkurrenz machen?
Aus meiner Sicht gibt es hier keine Konkurrenz, weil OPC UA den mit SPE bzw. Ethernet-APL spezifizierten Physical Layer benutzt. In dem Sinne ist OPC UA ein Protokoll wie etwa Profinet oder EtherNet/IP. Alle können und werden auf dem Standard-Physical-Layer aufsetzen.