»Die Anwendungsfelder sind klar definiert«
Während Single-Pair-Ethernet (SPE) für die Fabrikautomatisierung vom Streit um zwei konkurrierende Steckverbindersysteme ausgebremst wird, verläuft die Markteinführung von SPE für die Prozessautomatisierung, genannt Ethernet-APL, geschmeidig und reibungslos. Roland Gubbels, Business Manager Connectivity, und Andreas Hennecke, Product Marketing Manager bei Pepperl+Fuchs, geben nähere Informationen.
Markt&Technik: Welche Auswirkungen hat die Konkurrenzsituation bei den Steckverbindernormen für die Marktdurchdringung von SPE?
Roland Gubbels: Aktuell gibt es für die Industrieanwendungen immer noch zwei konkurrierende Steckverbindersysteme, die beide genormt sind. Dies dämpft aktuell die weitere Entwicklung und macht für Gerätehersteller die Investitionsentscheidungen schwer kalkulierbar. Der Markt oder auch internationale Interessengemeinschaften müssen hier regulierend eingreifen, um den Geräteherstellern und Anwendern eine Technologiesicherheit zu geben und so die Marktdurchdringung zu forcieren.
Inwieweit gibt es schon Use Cases und konkrete Anwendungen mit SPE?
Roland Gubbels: Verschiedene Vereine und Gruppierungen, unter anderem auch die Profibus-Nutzerorganisation, arbeiten intensiv an der Definition vielfältiger Use Cases, um für den Einsatz von SPE in Industrieanwendungen die richtigen Umgebungen zu definieren und Beispiele für den erfolgreichen Einsatz zu präsentieren. Einige Firmen haben auch schon die ersten realen Applikationen geschaffen und präsentieren die Technologie mit Hilfe von Demonstratoren. Wir als Pepperl+Fuchs beobachten diese Entwicklung sehr genau und engagieren uns aktiv in verschiedenen Arbeitsgruppen und Interessenvertretungen, um die Technologie weiter zu definieren, voranzutreiben und im Markt zu etablieren. Für uns steht die zuverlässige Geräteintegration im Vordergrund, und daher sind wir auf einen einheitlichen Marktstandard für die Steckverbindung angewiesen. Dieses Vorgehen wird auch von der PNO unterstützt und forciert.
Ethernet-APL ist quasi als SPE für die Prozessindustrie gedacht. Wodurch zeichnet sich Ethernet-APL gegenüber SPE aus?
Andreas Hennecke: Ethernet-APL ist spezifisch für das Feld der Prozessanlage entwickelt. Durch den Fokus auf dieses spezielle Marktsegment konnten alle Eigenschaften zielgerichtet definiert werden, besonders auch das von Herrn Gubbels angesprochene Thema um die Stecker. In der Prozesstechnik kommen meist Schraub- und Federzugklemmen zum Einsatz. SPE und Ethernet-APL lassen sich sehr leicht abgrenzen: Der Begriff SPE beschreibt eine Gruppe von Ethernet-Standards mit verschiedenen Übertragungsgeschwindigkeiten aktuell von 10 Mbit/s bis 10 Gbit/s und Kabellängen von 15 m bis 1000 m.
Ethernet-APL verwendet einen dieser Standards und legt Eigenschaften fest, die für den Einsatz im Feld der Prozessanlage relevant sind. Die Stromversorgung, Kabeleigenschaften und Steckverbinder sowie der Explosionsschutz mit Eigensicherheit bilden neue Kapitel in den relevanten IEC-Standards. Darüber hinaus haben die Macher von Ethernet-APL Konformitätstests definiert, die die Interoperabilität in Netzwerken sicherstellen, und damit einen wichtigen Beitrag zur Zuverlässigkeit und Robustheit geleistet. Die Experten stellen ihr Fachwissen in einer Engineering Guideline zur Verfügung, die von Anwendern editiert und kommentiert wurde. Sie enthält alle Informationen, um mit einem Ethernet-APL-Projekt sofort erfolgreich zu sein.
Welche Bedeutung könnte Ethernet-APL in der Fabrikautomatisierung erlangen?
Andreas Hennecke: Die Eigenschaften von Ethernet-APL erfordern von Herstellern einen Zusatzaufwand in der Entwicklung, Zertifizierung und Pflege ihrer Produkte, der für den Einsatz in der diskreten Fertigung unnötig ist und daher von den betreffenden Unternehmen auch nicht bezahlt wird. In der Fabrik werden sich deshalb die technisch weniger aufwendigen SPE-Standards durchsetzen. Die genannten Anwendungsszenarien dienen den Lieferanten auch dazu, die Physik so auszuwählen und festzuschreiben, dass ein hohes Maß an Möglichkeiten mit der geringstmöglichen Varianz in der Technik möglich ist.
Besteht die Absicht, Ethernet-APL auch für 100 Mbit/s oder 1 Gbit/s zu standardisieren? Ist dies überhaupt notwendig?
Andreas Hennecke: Übertragungsgeschwindigkeit und Kabellänge sind Anforderungen, die sich gegenseitig ausschließen, und müssen deswegen auf den avisierten Einsatz abgestimmt sein. IEEE betreibt aktuell eine Study Group für die Evaluierung von 100 Mbit/s über Kabelwege zwischen 300 und 500 m. Die Study Group stellt den Anfang der Bemühungen für einen Ethernet-Standard dar. Wir sind also noch einige Jahre davon entfernt.
Mit 10 Mbit/s steht den Anwendern 300-mal mehr Bandbreite zur Verfügung als bisher, was für die Prozessindustrie die Tür zu völlig neuen Möglichkeiten aufstößt. So vollumfänglich gab es bis heute keinen Zugriff auf die Daten der Instrumentierung. Die Marktführer unter den Anwendern in der Prozessindustrie erschließen sich diese Möglichkeiten aktuell in Projekten, die teilweise schon im Jahr 2022 umgesetzt werden.
In welchem Verhältnis stehen SPE und Ethernet-APL einerseits zu TSN und OPC UA over TSN andererseits?
Roland Gubbels: Im Kontext Industrie 4.0 werden viele neue Technologien entwickelt, etabliert und kommuniziert. Jede dieser Technologien bringt ihren Nutzen und ihre Vorteile als Enabler für Abbildungen wie den digitalen Zwilling oder das IIoT. Um die unterschiedlichen Technologien zu begreifen, ist eine klare Differenzierung unerlässlich, die das OSI-Modell in der Form von Ebenen definiert. SPE und damit auch Ethernet-APL definieren einen Physical Layer, also eigentlich das Kabel, die Spannungen und die Ströme, mit denen Daten übertragen werden. TSN standardisiert Deterministik und Echtzeitfähigkeit auf dem Physical Layer, ist aber bereits unabhängig davon. Bei OPC UA handelt es sich um einen Standard für den Datenaustausch als plattformunabhängige, serviceorientierte Architektur, die völlig losgelöst von den anderen beiden Technologien definiert ist und eingesetzt werden kann.
Andreas Hennecke: Hier zeigt sich der Grund für die Abgrenzungen dieser Eigenschaften nach dem OSI-Modell. Jedes Protokoll, ob Profinet, EtherNet/IP, HART IP oder OPC UA, kann mit oder ohne TSN über den für die Anwendung gewählten Physical Layer bis zum Gerät kommunizieren. Dies sorgt für die nötige Entkopplung zwischen den Gewerken. Die Fabrikplaner und -automatisierer bestimmen die Kommunikationsinfrastruktur nach den Spezifikationen für die Anlage und weitestgehend unabhängig von den Kriterien, die für die Systeme zur Datenhaltung und Datenanalyse oder die Unternehmensführung relevant sind.
Inwieweit könnten SPE und Ethernet-APL einerseits TSN und OPC UA over TSN andererseits als „Zukunftstechniken“ Konkurrenz machen?
Roland Gubbels: Alle diese neuen Technologien beschreiben Applikationen auf unterschiedlichen Ebenen des OSI-Referenzmodels und stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Vielmehr stellen sie eine evolutionäre Erweiterung dar und bauen aufeinander auf, um künftig noch mehr Performance der Datenübertragung zu gewährleisten und Maschinen optimal zu vernetzen.
Welche Produkte hat Ihr Unternehmen in puncto SPE und Ethernet-APL schon im Programm?
Andreas Hennecke: Bereits vorgestellt haben wir den ersten Ethernet-APL-Switch von FieldConnex und eine Remote-IO-Station, die die existierende Feldgerätebasis verbindet. Über die Mobilgeräte unserer Marke ECOM kann dann live auf die Geräte zugegriffen werden.