Die Europäische Medizinprodukteverordnung belastet den deutschen Medizintechnik-Standort stark – eine neue gemeinsame Umfrage von Spectaris, MedicalMountains und der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) bestätigt und untermauert den negativen Stimmungsumschwung der letzten Jahre.
Fast 400 Hersteller äußerten sich zu steigenden Kosten, fehlenden Medizinprodukte und einer schwindenden Innovationskraft als Auswirkung der MDR.
Das Studienergebnis ernüchtert: bereits heute werden viele Medizinprodukte vom Markt genommen werden, bis 2027 drohen zahlreiche weitere zu verschwinden. Nahezu alle Umfrageteilnehmer haben Probleme, die MDR umzusetzen; drei Viertel sind dadurch weniger innovativ und über die Hälfte der Hersteller nimmt einzelne Produkte, oder komplette Produktionen und Sortimente vom Markt.
Die neue Übergangsfristen ändern an den Strukturproblemen leider nichts. Die hohen Kosten und der Bürokratieaufwand bleiben: die vermehrte technische Dokumentation belastet am meisten, auch die erneute Zusammenarbeit mit den Benannten Stellen kostet Zeit und Geld. In beiden Bereichen sind die Kosten um mehr als das doppelte angestiegen.
Die Zertifizierungskosten führen bei Nischenprodukten zu Verlusten – und sind damit der Hauptgrund, diese vom europäischen Markt zu nehmen. In fast 20 Prozent der Fälle gibt es für die gestrichenen Produkte keine gleichwertigen Alternativen am Markt, während sie in den USA oder Asien am Markt verbleiben. Die langen Genehmigungsverfahren bewirken zudem einen Mangel an Medizinprodukten, bei mehr als einem Drittel der Firmen verzögert sich deren Bereitstellung.
Gerade die Situation der KMU ist besorgniserregend. Diese kleinen und mittleren Unternehmen haben meist weniger finanzielle und personellen Ressourcen zur Verfügung. 70 Prozent der Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten machen die hohen Zertifizierungskosten zu schaffen. In den Erwägungsgründen der MDR werde zwar ausdrücklich erwähnt, dass auch die Belange kleinerer und mittlerer Unternehmen zu berücksichtigen seien, aber »die Realität zeigt ein anderes Bild«, so Achim Derks von der DIHK.
Diese Entwicklung birgt laut Derks Zündstoff für weitere gesellschaftliche Debatten – auch, weil die EU damit nicht mehr unbestrittene Nummer 1 bei Neuzulassungen ist: Mehr als jedes fünfte Unternehmen weicht mit medizintechnischen Innovationen auf andere Märkte aus – meistens in die USA. »Diese Ergebnisse halten der EU den Spiegel vor«, sagt Julia Steckeler, Geschäftsführerin von MedicalMountains. Das System weise noch zu viele Baustellen auf.
Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik bei SPECTARIS ergänzt: »Für die Industrie und die Patienten ist jetzt das Handeln der Politik gefordert«. Deutschland und die gesamte EU drohe abgehängt zu werden – einerseits im internationalen Wettbewerb, andererseits bei der Versorgung mit innovativen, aber auch speziellen und bewährten Medizinprodukten. »Die Sirenen können lauter nicht sein.«
Mit der Bilanz gehen DIHK, Spectaris und MedicalMountains nun in den weiteren politischen Dialog. Für die Initiatoren ist Aussitzen keine Option: »Die Zahlen müssen Brüssel nun zum schnellen Handeln bringen und kurzfristig zu pragmatischen, grundlegenden Schritten führen.« (uh)