Auch die Schönheit unterliegt der MDR

Die Konformität ästhetischer Produkte prüfen

8. November 2023, 10:56 Uhr | Dr. Jara Brenke & Christian Götz, TÜV Süd (uh)
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Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung waren von bisherigen EU-Regularien nicht erfasst. Mit der MDR ändert sich das. Artikel wie farbige Kontaktlinsen, Laserbehandlungen oder auch Silikonimplantate und Dermal Filler unterliegen damit ähnlich strengen Anforderungen wie Medizinprodukte.

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Nachdem nun die Common Specifications in Annex XVI für diese »Schönheits-« Produkte veröffentlicht wurden, liegt es in der Verantwortung der Hersteller, die Konformität ihrer Produkte nachzuweisen. Die Prüfung der vergleichbar strikten Vorgaben kann wie auch bei anderen Medizinprodukten über Benannte Stellen wie den TÜV SÜD erfolgen.

Bereits 2017 verabschiedet, verändert die Medizinprodukteverordnung der Europäischen Union (EU MDR) sehr vieles. So umfasst sie beispielsweise nun auch Artikel, die keinen medizinischen Verwendungszweck haben. Zu den Artikeln, die im Anhang XVI der MDR aufgeführt sind, gehören beispielsweise Produkte oder Anwendungen, die der Verschönerung dienen sollen. Bunte Kontaktlinsen oder Laserbehandlungen der Körperoberfläche etwa, für die es keine medizinische Notwendigkeit gibt.

Ebenso sind Artikel erfasst, die sowohl einen medizinischen als auch einen nicht-medizinischen Nutzen haben können. Die operative Entfernung von Körperfett oder eine künstliche Vergrößerung der weiblichen Brust kann ästhetische Gründe haben, kann aber auch gesundheitlich angezeigt sein, wenn Gelenk- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund von Übergewicht drohen oder die psychischen Folgen einer Brustamputation infolge einer Krebserkrankung abgemildert werden sollen.

Produkte, welche in Annex XVI aufgeführt sind

  • Artikel, die in oder auf das Auge gesetzt werden, wie etwa Kontaktlinsen in verschiedenen Farbtönen.
  • Artikel, die mittels eines chirurgischen Eingriffs am Körper befestigt oder in diesen eingeführt werden und diesen anatomisch verändern. Gemeint sind etwa Silikonimplantate. Nicht gemeint sind Piercings und Tattoos.
  • Produkte, die in die Haut- oder Schleimhaut gespritzt werden, um diese aufzufüllen, so genannte Dermal Filler.
  • Gerätschaften, mit denen Fett abgesaugt wird und die der Entfernung, Reduzierung oder Zersetzung dieses Gewebes dienen.
  • Geräte, die mittels leistungsstarker elektromagnetischer Strahlung, nicht kohärentes, kohärentes und monochromatisches Licht und Licht im Breitbandspektrum erzeugen. Hierzu zählen etwa Laser, die bei der Haar- oder Tattooentfernung zum Einsatz kommen.
  • Maschinen, die das Gehirn stimulieren, indem sie magnetische bzw. elektromagnetische Felder oder elektrischen Strom verwenden, der die neuronale Aktivität verändert.

Hersteller müssen neue Rechtslage beachten

Für alle diese Artikel sind künftig Prüfungen auf Basis der MDR durchzuführen und nachzuweisen. Verständlich und durchaus im Sinne der Patientinnen und Patienten, wenn man sich vor Augen führt, welche gesundheitlichen Risiken bei mangelnder Produktqualität dieser Artikel auftreten. Kontaktlinsen beispielsweise führten bislang immer wieder zu Entzündungen des Auges bis hin zum Verlust des Augenlichts. Eine unsachgemäße Anwendung dieser Produkte durch Nutzerinnen und Nutzer kann kein Gesetzgeber ausschließen – etwa wenn die Linsen zu lange getragen und oder nicht gereinigt werden. Dass solche Komplikationen infolge von Qualitätsmängeln entstehen, soll dagegen künftig durch die Aufnahme in die MDR verhindert werden.

Was absolut nachvollziehbar ist, hatten viele Produzenten dennoch nicht auf der Agenda. Das betrifft vor allem Hersteller, die bis dato noch überhaupt keine Berührungspunkte mit der MDR hatten. Sie müssen nun mit der neuen Rechtslage klarkommen und benötigen häufig Unterstützung, um normkonforme Produkte in den Markt zu bringen.

Wie viele Unternehmen davon betroffen sind, lässt sich allein schon an den Trends der vergangenen Jahre erkennen. So stark wie Schönheitsoperationen und kleinere ästhetische Eingriffe oder auch der Wellness-Sektor in den vergangenen Jahren nachgefragt wurden, so groß ist auch die Anzahl der Produkte und Gerätschaften, die mit diesen Märkten und Entwicklungen im Zusammenhang stehen.

Insbesondere jene Hersteller, die bislang keine Produkte aus dem Geltungsbereich der MDR in ihrem Portfolio hatten, haben keine Erfahrung mit den Richtlinien und den damit zusammenhängenden Konformitätsnachweisen. Dennoch gelten für Artikel ohne medizinische Zwecke nun die gleichen Bestimmungen hinsichtlich Qualität und Anwenderschutz wie für „echte“ Medizinprodukte.

Klare Linien schon im eigenen Betrieb etablieren

Solche Produzenten müssen sich klar werden, dass nur Benannte Stellen zertifizieren können, dass ein Artikel oder eine Gerätschaft die Anforderungen der MDR erfüllt. Diese Prüfungen können und müssen seitens des herstellenden Unternehmens aber so gut wie möglich vorbereitet werden. Wenn wenig Routine mit diesem Thema im Unternehmen vorhanden ist – wovon bei Firmen ohne bisherigen medizinischen Produktfokus ausgegangen werden kann – ist dies umso aufwändiger. Die Eigenschaften des Artikels sind technisch zu dokumentieren und klinisch zu bewerten. Sichergestellt wird das durch eine – gegebenenfalls noch zu schaffende – innerbetriebliche Qualitätssicherung.

Und die Pflichten der Hersteller enden nicht damit, dass das Produkt marktreif wird. Sie müssen dessen Qualität und Eigenschaften im Gebrauch kontinuierlich monitoren, um Sicherheitsmängel möglichst frühzeitig zu erkennen und um potenzielle Schäden von Nutzerinnen und Nutzern abzuwenden. Ebenso ist es notwendig, sich gegen mögliche Schadensfälle zu versichern. Dies dient nicht nur dem Schutz der Verbraucher, sondern auch der wirtschaftlichen Stabilität des Unternehmens. Sollte nämlich ein Artikel länger nicht oder gar nicht mehr verkauft werden können, kommt es unweigerlich zu Einnahmeausfällen.

Common Specifications beachten

Ergänzend zu den Vorgaben der MDR unterliegen Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung den »Common Specifications«. Diese regeln vor allem den Umgang mit Risiken und die Informationen zu Sicherheitseigenschaften eines Produkts. In insgesamt sieben Anhängen zu Annex XVI sind sehr viele Artikel für verschiedenste Einsatzzwecke aufgeführt. So viele, dass die Verabschiedung durch die Europäische Union Ende des Jahres 2022 später kam als erwartet

Solange ihre Verabschiedung gedauert hat, so schnell sind die Common Specifications in Kraft getreten – nämlich nur knapp drei Wochen nach Ratifizierung. Das erhöht den Druck auf die Hersteller. Entscheidend ist auch: Die MDR gilt nicht nur für neu entwickelte Artikel, sondern auch für solche, die schon lange auf dem Markt sind. Manch ein Hersteller von ästhetischen Hilfsmitteln muss infolgedessen sein gesamtes Sortiment analysieren und wo nötig die Konformität mit der Richtlinie schnell nachweisen. Für Artikel, die mehrere Verwendungsmöglichkeiten haben (Dual-Use-Produkte), ist sogar die Konformität mit der MDR und darüber hinaus die Einhaltung der Common Specifications nachzuweisen.

Weit anspruchsvollere Anforderungen bestehen außerdem bei Artikeln, die unter Annex XVI fallen und bei denen zusätzlich ein Medikament als elementarer Teil enthalten ist. Sie benötigen eine weitere behördliche Zulassung, was die Zeit bis zur endgültigen Marktfreigabe oftmals weiter verzögert. Trotz der von der EU-Kommission gewährten Fristverlängerungen für den Übergangszeitraum, die zudem von mehreren Variablen bestimmt wird, kann die Zeit hierfür knapp werden – denn die Benannten Stellen melden durch die aktuelle Rechtslage volle Terminkalender. (uh)

Der TÜV Süd empfiehlt:
So schnell wie möglich, die nach Annex XVI zu prüfenden Produkte identifizieren und die notwendigen Schritte einzeiten. Der Prüfdienstleister mit Hauptsitz in München unterstützt dies mit online verfügbaren Informationsmaterialien und -veranstaltungen. Das Ziel: möglichst viele Firmen darauf vorbereiten, dass sie die Übereinstimmung ihrer Produkte mit den neuen rechtlichen Anforderungen sehr bald nachweisen können.

 

 

 


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