Im Weiteren erklärte Altmeier, dass 13 EU-Mitgliedsstaaten an diesem Tag auch noch eine neue europäische Initiative rund um die Themen Prozessoren und Halbleitertechnologien unterschreiben. Dabei handelt es sich um das zweite IPCEI im Bereich Mikroelektronik (IPCEI: Important Project of Common European Interest); im ersten IPCEI für Mikroelektronik (2018 genehmigt) ging es noch um fünf verschiedene Technologiebereiche: energieeffiziente Chips, Leistungshalbleiter, intelligente Sensoren, fortgeschrittene optische Geräte und Verbundwerkstoffe.
In der offiziellen Pressemitteilung der EU-Kommission heißt es: »Deutschland und EU-Staaten bündeln Kräfte für unabhängige europäische Halbleiterproduktion. In der heutigen Welt sind Prozessoren und Halbleiter weit verbreitet: Von Autos, medizinischen Geräten, Mobiltelefonen und Netzwerken bis hin zur Umweltüberwachung wird diese Technologie in den von uns verwendeten intelligenten Geräten und Diensten eingesetzt. Sie sind daher von entscheidender Bedeutung, da sie Schlüsselindustrien in die Lage versetzt, innovativ zu sein und im globalen Wettbewerb zu bestehen. Die größten Produzenten befinden sich derzeit in Nordamerika und Asien. Weniger als 10 Prozent der weltweiten Produktion entfallen auf Europa. Thierry Breton hatte bereits in seiner Rede auf den Digital Days der Hannover-Messe gefordert, den europäischen Anteil auf 20 Prozent zu steigern. Die heutige gemeinsame Initiative zielt darauf ab, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu verstärken und die Investitionen entlang der Halbleiter-Wertschöpfungskette in Ausrüstungen und Materialien, Design, fortschrittliche Fertigung und Verpackung zu erhöhen.«
Auch zur Verth betont, dass derzeit 10 Prozent der Halbleiterfertigung in Europa zu gering sind. Er hält mindestens eine Verdoppelung für notwendig, wenn nicht sogar eine Steigerung auf 30 Prozent. Wobei er auch hinzufügt: »Wir werden es nicht schaffen, die Produktion vollständig nach Europa zurückzuholen, das Know-how muss aber hier bleiben.«
Deshalb hält der ZVEI eine ehrgeizige Allokation von Mitteln für sinnvoll und spricht in diesem Zusammenhang von 20 Prozent des EU Recovery Funds. Außerdem sei eine rasche Verwirklichung von IPCEI-ME-2 (das oben beschriebene neue IPCEI im Bereich Mikroelektronik) wichtig. Zur Verth: »Im Hintergrund laufen viele Diskussionen. Dabei besteht die Gefahr, dass diese Diskussionen zu lange dauern, damit das Programm noch seine Wirkung entfalten kann.«
So beurteilen die Halbleiterunternehmen die Situation
Uwe Bröckelmann, Senior Director of Technology von Analog Devices, glaubt schon, dass Europa die Wichtigkeit der Halbleiterindustrie erkannt hat, schon alleine deshalb, »weil die Automotive-Industrie ganz klar betont, dass die Halbleiter entscheidend für die Innovationskraft der Automobilindustrie sind. Da hat sich also schon einiges im Denkprozess geändert.« Analog Devices hat in Irland selbst eine Fabrik, in dem das Unternehmen Spezialprodukte fertigt, wie z.B. Isolationsprodukte.
Raphael Hrobarsch, European Regional & Automotive Sales Manager bei Diodes, verweist auf die Tatsache, dass die Halbleiterindustrie im Vergleich zur Automobilindustrie über fast keine Lobby verfügt, was natürlich auch auf die Wahrnehmung innerhalb der Politik Auswirkungen hat. Dieses Jahr wäre allerdings insofern eine Ausnahme, als Themen wie Homeoffice oder Homeschooling die Aufmerksamkeit ganz zwangsweise auf die Halbleiter und den damit verbundenen Infrastrukturbedarf gelenkt hätten. Hrobarsch verweist außerdem auf den diesjährigen Zukunftspreis, den ein Forscher-Team von Zeiss, Trumpf und Fraunhofer für die Entwicklung der EUV-Lithografie erhalten hat. Hrobarsch: »Das zeigt, was in Europa geleistet werden kann, wenn wir zusammenarbeiten.« Wobei er noch hinzufügt, dass es durchaus viele Förderprogramme für die Halbleiterindustrie gibt, »doch jetzt wäre eine starke Lobby nützlich, um mit der Politik für ein besseres Investitionsklima für die Halbleiterindustrie in Deutschland und Europa zu schaffen.«
Wenn sich die Frage, ob die Wichtigkeit von Halbleitern in Europa bekannt ist, auf die Frage bezieht, inwieweit eine Fertigung in Europa wichtig ist, dann hält Peter Wiese, Vice President und General Manager Automotive Sales EMEA von NXP Semiconductors, eine eindeutige Antwort für schwierig. Denn hier ginge es um Kosten in Höhe von mehreren Milliarden Dollar, und damit stelle sich die Frage, wie lange es sich Regierungen leisten könnten, Halbleiterfabriken finanziell zu unterstützen. Ein durchaus interessanter Standpunkt, denn bereits seit Jahren wird darüber diskutiert, ob Europa beispielsweise in Form einer europäischen Foundry eine Fertigungsstätte braucht, die auch kleinste Prozessgeometrien fertigen kann. Die großen europäischen Halbleiterunternehmen jedenfalls benötigen keine eigene hochmoderne Fab, um ihre ICs zu fertigen, für kleinste Geometrien greifen alle auf Foundries zurück.
Chery: »STMicroelectronics ist in der glücklichen Situation, dass die beiden Staaten, die Aktionäre von ST sind, und Deutschland, das Land mit vielen unserer Kunden, seit Langem davon überzeugt sind, dass die Halbleiterindustrie eine wichtige Technologie darstellt.« Er betont aber ähnlich wie Adlkofer, dass es für die Halbleiterindustrie – auch für die europäischen Hersteller – wichtig ist, dass die Märkte offen sind. Er weist außerdem darauf hin, dass die europäischen Absatzmärkte für Halbleiter gnadenlos geschrumpft sind. Champions wie Nokia für Mobiltelefone, aber auch andere im Konsumelektronik-Bereich gebe es nicht mehr. Dementsprechend ist es aus seiner Sicht wichtig, dass in Europa der Automotive- und der Industriemarkt geschützt werden. Und man müsse versuchen, neue Gelegenheiten wie Medizintechnik, Smart Cities, Smart Factories, Thema KI im Edge in Europa zu nutzen.
Wird das zweite IPCEI ein Erfolg, könnten Unternehmen wie Videantis, Spezialist für Prozessor-IP, profitieren. Bislang scheint die Unterstützung aber noch nicht so richtig angekommen zu sein. Stephan Janouch, Director Marketing von Videantis, erklärt: »In Europa gibt es speziell im Bereich der Halbleiterzulieferkette einige sehr innovative Firmen – nicht nur videantis –, die in verschiedenen Nischen sehr aktiv und erfolgreich sind, aber wohl weder von der breiten Öffentlichkeit, noch von der Politik wahrgenommen oder sogar unterstützt werden.«