IHS Markit zu Automotive-ICs

Engpässe bleiben, aber 2023 wandelt sich der Markt

19. Januar 2023, 11:02 Uhr | Iris Stroh
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Mehr General-Purpose-ICs statt kundenspezifische Chips

Doch damit nicht genug: Bouchaud ist überzeugt, dass die OEMs ab diesem Jahr die Art und Weise, wie Elektronik in ihre Fahrzeuge designt wird, grundsätzlich überdenken werden. Bouchaud: »Sie werden an einer stärkeren Standardisierung der Chips arbeiten und die Vielfalt der von ihnen verwendeten Chips reduzieren.« Das heißt aus der Sicht von Bouchaud, dass die OEMs dafür sorgen werden, dass ihre Tier-One-Zulieferer weniger ASICs/ASSPs (kundenspezifische Chips oder Chips, die für eine bestimmte Anwendung entwickelt wurden) und mehr General-Purpose-Chips verwenden werden.

Darüber hinaus gebe es in Japan unter der Federführung der Regierung diverse Bestrebungen, die Chipqualifizierung bei OEMs und Tier-Ones zu vereinfachen. Bouchaud ist überzeugt: »Weniger kundenspezifische Chips, mehr Multi-Purpose-Chips, weniger Varianten – all das bedeutet, dass die OEMs ihre Fahrzeugproduktion bei einer gegebenen Chipkapazität erhöhen können, da es weniger einzelne Problemquellen gibt. Außerdem ist es einfacher, optimal verfügbare Chips über verschiedene Systeme hinweg neu zuzuordnen. Und dieser Ansatz eröffnet auch ein neues Geschäftsmodell für OEMs.«

Bouchaud verweist auf weitere Vorteile bei der verstärkten Nutzung von General-Purpose-ICs: ein höheres Volumen pro Chip und typischerweise eine größere Fläche pro Chip, was wiederum mehr Wafer-Starts bzw. ein höheres Wafer-Volumen zur Folge hat. »Und dieses höhere Wafer-Volumen wiederum versetzt die OEMs in die Lage, direkt mit den Chip-Lieferanten und Foundries zusammenzuarbeiten, um Kapazitäten direkt zu buchen, oder auch um Chips direkt mit zu entwickeln«, so Bouchaud weiter. Seiner Meinung nach hat GM eine solche Initiative bereits Ende 2021 gestartet und: »Das Unternehmen geht davon aus, mit diesem Ansatz die Anzahl der MCU-Varianten um 95 Prozent zu reduzieren«, betont Bouchaud weiter. Er erklärt aber auch, dass dieser Ansatz ein Redesign der Elektronik erfordert, »sodass sich dieser Ansatz erst ab 2025 und danach auswirken wird«, so seine Überzeugung.

Die anderen Märkte schwächeln, aber …

Die neueste S&P-PMI-Studie (Einkaufsmanagerindex) zeigt weiterhin eine Verlangsamung der Elektroniknachfrage außerhalb der Automobilindustrie; das heißt aber nicht, dass sich die Probleme der Automobilindustrie in Luft aufgelöst haben. Alles, was jetzt gelernt wurde, sollte nicht wieder vergessen werden! Bouchaud ist allerdings überzeugt, dass die gesamte Industrie – OEMs und Tier-Ones – die Chipindustrie viel besser versteht, als das Anfang 2021 noch der Fall war. Bouchaud: »OEMs und Tier-Ones kennen ihre Zulieferer viel besser und sie kommunizieren auch viel enger mit ihnen.«

Angesichts Lehman-Brothers und den damaligen unerwarteten Entwicklungen ist es durchaus berechtigt, dass die Aussage von Bouchaud dem einen oder anderen etwas seltsam vorkommt; eigentlich hätten alle OEMs und Tier-Ones nach dieser Zeit wissen müssen, welche Komplexität und welche Bedeutung den Halbleitern zukommt. Bouchaud erklärt in diesem Zusammenhang, dass Anfang 2021 die japanischen OEMs – und BMW in Europa – ihre Lieferkette besser verstanden haben als die Automobilhersteller in anderen Regionen. Aber: »Im Rahmen des Krisenmanagements der letzten 20 Monate hat sich mittlerweile jeder einzelne OEM mit seinen Chipherstellern zusammengesetzt, um die Engpässe besser zu verstehen.

Das heißt, dass der Rest der Welt sich also ebenfalls schlau gemacht hat«, so Bouchaud weiter. Dennoch erklärt er: Vielen OEMs und Tier-Ones fehlt es immer noch an einem grundlegenden Verständnis der Halbleiterfertigungsprozesse, und sie begreifen oft nicht deren Komplexität. Selbst heute wird Bouchaud immer noch gefragt, warum nicht einfach die gesamte Analogchip-Produktion in fortschrittlichere Prozessknoten verlagert wird, dort gebe es doch deutlich mehr Investitionen in den Aufbau von Kapazitäten?

Halbleiterhersteller aufgepasst – das Umsatzwachstum verlangsamt sich

»2022 konnte der Halbleiterumsatz im Automotive-Markt um 25 Prozent gegenüber dem Rekordjahr 2021 gesteigert werden, das heißt, dass die Halbleiterhersteller ihren Umsatz von 53,6 Mrd. Dollar 2021 auf 67 Mrd. Dollar im Jahr 2022 steigern konnten, mehr als wir aufgrund der Fahrzeugproduktion erwartet hatten.« Diese enormen Wachstumsraten werden aber nicht anhalten. So verweist Bouchaud beispielsweise auf die Tatsache, dass diverse Chip-Anbieter, beispielsweise Renesas Electronics oder Texas Instruments, bereits Ende 2022 erklärten, dass sie Lagerbestände für automobile Halbleiter aufbauen.

Dazu kommt, dass die meisten der 2021 beschlossenen Preiserhöhungen sich bereits 2022 auf den Umsatz ausgewirkt haben. Folglich: »In diesem Jahr wird der Markt für Automotive-ICs langsamer wachsen. In unseren letzten Schätzungen gehen wir von einem Umsatzanstieg von 13 bis 14 Prozent aus, und das nach +32,4 Prozent im Jahr 2021 und 25 Prozent im Jahr 2022«, so Bouchaud weiter. Er betont aber auch, dass S&P vor Kurzem seine Prognose für die Produktion von Leichtfahrzeugen für 2023 und 2024 nach unten korrigiert hat, »sodass ich davon ausgehe, dass wir das Umsatzwachstum für 2023 in der nächsten Aktualisierung senken werden«, so Bouchaud weiter.

Momentan gehe man von einer weichen Landung beim Umsatz mit automobilen Halbleitern im Jahr 2023 aus, aber je nachdem, wie sich die Nachfrage nach Autos entwickelt, könne auch ein etwas abrupterer Absturz für die automobile Halbleiterindustrie nicht ausgeschlossen werden. Bouchaud: »Es ist unklar, wie viele der Bestände verbraucht werden und wann.« Er hält es generell für essenziell zu verstehen, dass »wir von einem angebotsbeschränkten Automarkt in den letzten zwei Jahren zu einem nachfragegesteuerten Markt übergehen, und zwar genau jetzt, sprich: im Jahr 2023. Die wirtschaftliche Situation verschlechtert sich ganz klar.« 


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