Zertifizierungen sind aber nicht nur Grundvoraussetzung, um Kunden zu gewinnen. »Zertifizierungen und Audits bieten auch für die EMS-Firmen selbst die große Chance, die eigene Prozessfähigkeit zu steigern und das Risiko zu minimieren«, unterstreicht Johann Weber, Vorstandsvorsitzender von Zollner Elektronik.
Und wie beurteilen die kleineren EMS-Firmen das Thema? »Selbst ein kleinerer EMS muss eine Zertifizierung haben, wenn er in bestimmten Bereichen aktiv ist«, weiß Roland Hollstein, Geschäftsführer von Grundig Business Systems. GBS hat seit vergangenem Jahr die Medizinprodukte-Zertifizierung ISO 13485 und auch schon Projekte in diesem Segment gewinnen können. Hollstein findet, »das ist gut angelegtes Geld und eine Schulung für unser Unternehmen«. Auch er sieht wie Johann Weber die Vorteile, indem im Rahmen von Zertifizierungen die eigenen Prozesse genau beleuchtet werden. »Wir befassen uns dabei innerhalb der Organisation mit den kritischen Erfolgsfaktoren für unser Unternehmen. Wenn sie mal IATF- und Medizin zertifziert sind, werden die Zertifizierungen danach auch immer leichter. Denn einem wird dabei der Spiegel vorgehalten und als schlauer Mensch verstehen Sie, wo Ihre Probleme liegen, und das ist für uns als Unternehmen ein ganz wichtiger Punkt.«
Bruno Geiger, Geschäftsführer von habemus, ebenfalls ein kleinerer Elektronikdienstleister, sieht in den Zertifizierungen Fluch und Segen zugleich. »Man muss sich schon sehr genau überlegen, ob und wo man den Aufwand betreibt.« habemus hat seine Produkte UL-zugelassen und erfüllt ISO 26262 (funktionale Sicherheit). Damit sieht Geiger sein Unternehmen gut aufgestellt. »Das kommt im Kundenkreis sehr gut an, und damit sind wir als kleinerer Player auf Augenhöhe mit größeren Firmen.«
Umgekehrt fordern auch die Elektronikdienstleister von ihren Lieferanten in der Lieferkette den Nachweis von Qualität durch Zertifizierungen, bestätigt Arthur Rönisch, Geschäftsführer von Turck duotec. »Wenn unsere Lieferanten nicht entsprechend zertifiziert sind, sind sie für uns nicht akzeptabel.«
Kritische Stimmen
Aber es gibt auch kritische Stimmen, etwa zur IATF 16949 für Automotive: Sie löste jüngst TS 16949 ab und vereint existierende Qualitätsvorgaben der Automobilindustrie. Sie wurde gemeinsam von den IATF-Mitgliedern entwickelt und basierend auf EN ISO 9001 veröffentlicht. »Da sind einige Dinge zum Teil sehr einseitig hinterlegt«, monieren EMS-Firmen. »Wir übernehmen nach dieser Vorgabe natürlich auch Verpflichtungen, ohne dass wir als Branche das Regelwerk kommentieren konnten«, gibt Michael Velmeden, Geschäftsführer von cms electronics, zu bedenken.
Zertifizierungen sind aus Qualitätssicht sicher in gewissem Maße sinnvoll, aber finanziell und organisatorisch auch mit hohem Aufwand verbunden und werden – wie im Fall von IATF 16949 – „Top Down“ als umfassendes Regelwerk über die OEMs durch die Lieferkette durchgedrückt. Und wer als Zulieferer in der jeweiligen Industrie mitspielen möchte, muss die Bedingungen akzeptieren.