Lange Zeit waren deutsche OEMs aufgrund ihres Erfolgs verwöhnt. Doch in Bezug auf Elektromobilität müssen sie jetzt hart arbeiten, um nicht hinter der weltweiten Konkurrenz zurückzufallen. Leider verliert der Markt derzeit an Schwung, was die Situation noch schwieriger macht.
Beim Produktionsstart des neuen Elektrofahrzeugs ID.7 von Volkswagen im Werk in Emden gab es einige technische Probleme. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil saß auf dem Beifahrersitz eines neuen ID.7, während VW-Kernmarkenchef Thomas Schäfer und Betriebsratschefin Daniela Cavallo auf der Rückbank saßen. Sie rollten zur Endkontrolle des Neuwagens, als die Technik streikte. Der Neuwagen sollte auf einer Rüttelrolle getestet werden, um sein Verhalten auf verschiedenen Fahrbahnbelägen zu überprüfen, aber die Rüttelrolle sprang nicht an. Erst beim zweiten Versuch funktionierte es.
Volkswagen setzt große Hoffnungen auf das neue Elektro-Topmodell ID.7, das für die Marke die wichtigste Neuheit des Jahres darstellt. Das Fahrzeug soll eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern haben und damit endlich auf Augenhöhe mit Tesla kommen. VW möchte in Bereiche vorstoßen, die Elektroautos auch für Langstrecken- und Vielfahrer attraktiv machen, ob in Europa, China oder den USA.
Allerdings hat der Elektro-Boom zuletzt deutlich an Schwung verloren. Die zum Jahreswechsel gesenkte E-Auto-Förderung in Deutschland, die Reichweitenangst vieler Kunden und die weiter hohen Preise vieler E-Modelle drücken auf die Nachfrage. Aus China drängen neue Konkurrenten auf den Markt. Noch zehren alle Hersteller vom Auftragsstau, den der Teilemangel der vergangenen Jahre hinterlassen hat. Doch der werde bald abgearbeitet sein, warnen Experten.
Die schwache Nachfrage nach Elektroautos hat dazu geführt, dass Volkswagen die Produktion seiner Elektromodelle in Emden bereits drosseln musste und 300 der bisher 1500 Leiharbeiter nach Hause schickte. Betriebsratschefin Cavallo sagte kürzlich der »Braunschweiger Zeitung«, dass die Elektromobilität leider nicht so angenommen wird, wie es sich alle, einschließlich der Politik, vorgestellt haben.
Obwohl die Wolfsburger Kernmarke den Absatz ihrer reinen Elektrofahrzeuge im ersten Halbjahr um gut 42 Prozent steigern konnte, lag der Anteil am Gesamtabsatz nur bei 7,4 Prozent. VW ist noch weit entfernt von seinem Ziel, bis 2033 zumindest in Europa zur reinen E-Marke zu werden. Bei der Tochter Audi sah es mit 8,3 Prozent Elektro-Anteil kaum besser aus. Mercedes-Benz kam im ersten Halbjahr auf 10 Prozent, BMW immerhin auf 12,6 Prozent.
Die deutschen OEMs drohen gegenüber der Konkurrenz von Tesla und neuen Anbietern aus China ins Hintertreffen zu geraten, warnt Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands Hannover. Das Thema Elektromobilität sei von den etablierten Herstellern lange unterschätzt worden, und zwar von fast allen. Diese waren noch lange der alten Verbrennertechnologie verhaftet, die sie noch so lange wie möglich melken wollten. Das räche sich nun, denn anders als beim Verbrennungsmotor seien beim E-Antrieb die neuen Herausforderer auf Augenhöhe oder sogar vorn. Firmen wie MG, Nio und vor allem BYD (Build Your Dreams) drängen nun auf den europäischen Markt. Schwope ist überzeugt, dass die Chinesen 2024 richtig durchstarten werden. Die Chinesen haben Software und Batterie im Griff und man traut ihnen mittlerweile bei der Technologie sehr viel zu.
Volkswagen bekommt in China bereits zu spüren, dass sie auf dem rasant wachsenden Elektro-Markt nur ein Nischenanbieter sind, obwohl sie bei den Verbrennern mit großem Abstand Marktführer sind. Der chinesische Newcomer BYD liegt dort so weit in Führung, dass er VW auch insgesamt als Marktführer ablöste. Um dem entgegenzuwirken, stieg die Kernmarke bei der neuen E-Marke Xpeng ein und will von dort künftig Plattformen für eigene E-Modelle in China übernehmen. Audi holt sich unterdessen technische Unterstützung vom bisherigen Joint-Venture-Partner SAIC, der bislang vor allem als verlängerte Werkbank diente. Auto-Experte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach warnt jedoch, dass man aufpassen müsse, am Ende nicht zur verlängerten Werkbank der chinesischen Hersteller zu werden. Wenn deutsche Autobauer nicht schaffen, auch so viel besser zu sein wie sie teurer sind, dann hätten sie keine Chance.