Einen großen Anteil an der Wertschöpfung und dem Innovationspotenzial nimmt der Entwurf von Chips ein. Damit Europa eine größere Rolle spielen und an Souveränität gewinnen kann, setzt die acatech auf quelloffene Tools für das Chip-Design.
Allerdings sind die dafür benötigten komplexe Design-Tools in der Hand »eines eingespielten Oligopols weniger Entwicklungszentren in den USA«, wie die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) scheibt. Deshalb empfiehlt die acatech in ihren neu erschienenen Impuls Perspektiven für eine Initiative von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, quelloffene Designinstrumente, um die souveräne Chipentwicklung zu stärken.
Um Deutschland zum führenden Standort für Mikroelektronik ausbauen, wie es im Koalitionsvertrag neue Bundesregierung steht, sei die Entwicklung quelloffener Instrumente des Chipdesigns eine große Chance, so die Essenz des neuen acatech Impuls.
Für das Design von Chips sind ausgeklügelte, hochkomplexe Software-Programme erforderlich, auch EDA-Tools genannt (Electronic Design Automation). Wie schwierig die Aufgabe ist, zeigt ein Blick auf aktuelle Chipdesigns: Über 100 Milliarden Transistoren auf einem Chip müssen miteinander verschaltet werden. Dazu kommt hochspezialisierte Software zum Einsatz, sogenannte Entwurfsautomatisierungswerkzeuge. Weil wenige Anbieter den Markt dieser spezialisierten Programme dominieren, liegen die Lizenzkosten entsprechend hoch, zudem bestehen strikte Nutzungs- und Geheimhaltungsvorgaben.
Diese Konzentration erschwert die Entwicklung hochspezialisierter Chips, den Markteintritt neuer Akteure und die Entwicklung neuer Ansätze aus der Wissenschaft – und bremst deshalb auch das Innovationstempo im Chipdesign.
In der von einer unabhängigen Projektgruppe aus Wirtschaft und Wissenschaft erarbeiteten differenzierten Analyse der Potenziale und aktuellen Grenzen quelloffener Designinstrumente wird deutlich, warum Deutschland und Europa stärker auf frei zugängliche, quelloffene statt proprietäre Designinstrumente setzen sollten: Diese Alternative verspricht eine Minderung kritischer Abhängigkeiten im Chipbereich, einen Zugewinn an digitaler Souveränität und mehr Innovation im Halbleiterbereich.
Der acatech Impuls attestiert quelloffenen Designinstrumenten insbesondere für Spezialanwendungen und Zukunftstechnologien wie photonisches Computing, Quantencomputing oder Advanced Packaging großes Potenzial.
Quelloffene Tools: der Schlüssel für Innovationssprünge
Aber auch für die Versorgungssicherheit mit Chips für etablierte Branchen und den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit Europas können quelloffene Designinstrumente perspektivisch einen wichtigen Beitrag leisten. »Quelloffene Tools im Chipdesign können ein Schlüssel für technologische Durchbrüche der Zukunft sein«, erklärt Robert Weigel, acatech Mitglied und einer der beiden Projektleiter des Impulses. »Natürlich sind Lizenzkosten proprietärer Systeme für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Start-ups herausfordernd. Aber noch mehr sind es deren Fokus auf bereits existente Technologien und die starren Vorgaben zur Nutzung. Quelloffene Tools können dieses unflexible Gefüge aufbrechen und so eine dynamische Basis für Innovationssprünge und damit für Europas wachsende Wettbewerbsfähigkeit in der Mikroelektronik schaffen.«
Im Jahr 2020 betrug Europas Umsatzanteil an der globalen Mikroelektronik rund acht Prozent. Zum Vergleich: Die USA kamen auf 46 Prozent, Südkorea auf 19 Prozent. Gleichzeitig verlagert sich der Fokus der Wertschöpfung zunehmend von der Halbleiterproduktion auf den Designprozess.
Bis vor kurzem war eine komplett quelloffene Prozesskette in der Halbleiterentwicklung nicht realistisch abbildbar. Mit den erreichten Fortschritten ist nun ein zunehmender Lückenschluss der bisher fragmentierten Entwurfsketten möglich. Warum der Designprozess auch von ökonomischem Interesse ist, führt der acatech Impuls vor Augen. Die Vorstufe der Halbleiterproduktion macht einen Großteil der Halbleiter-Wertschöpfungskette aus: Rund 65 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten und 53 Prozent der Wertschöpfung werden im Designprozess geleistet.
»Quelloffene Design-Tools sind bereits heute eine Ergänzung zu proprietären Lösungen. Trotz noch bestehender Einschränkungen bei Schnittstellen oder Funktionalität können sie insbesondere für die Zukunft des Forschungsstandorts, aber auch für Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Für den Nachwuchs fördern sie einen frühen Zugang zur Mikroelektronik und ermöglichen Studierenden, sich durch die Entwicklung eigener Chips gezielt Fachkompetenzen aufzubauen. Das sichert nicht nur neue Talente, sondern kann durch Ausgründungen aus der universitären Forschung auch den Aufbau eines Chipdesign-Ökosystems unterstützen – und damit zur weiteren Etablierung und Entwicklung quelloffener Designinstrumente beitragen«, so Wolfgang Nebel, acatech Mitglied und Co-Projektleiter.
Jan Wörner, Präsident der acatech, ergänzt: »Das geopolitische Gefüge befindet sich in einem dynamischen Wandel, der Risiken durch kritische Abhängigkeiten erhöht. Um in dieser Dynamik unsere technologische Souveränität zu sichern und auszubauen, brauchen wir neue Ansätze. Nur in einem zugänglichen Umfeld kann die Innovationsdynamik entstehen, die wir für Sicherheit, Resilienz und Wohlstand Europas brauchen. Unsere DI-QDISC-Arbeitsgruppe hat hier Pionierarbeit geleistet, indem sie das Potenzial von Open Source im Bereich der Chip-Designinstrumente aufzeigt.“
Chancen und Herausforderungen liegen auch im Chipdesign nah beieinander: So ermöglichen es quelloffene Designtools einerseits, die Chipdesigns für die Anwendungen zu modifizieren und somit auf Funktion und Marktdifferenzierung zu optimieren.
Andererseits scheuen laut acatech Impuls noch viele Unternehmen den Schritt in die Open-Source-Welt. Um die Entwicklung quelloffener Designinstrumente perspektivisch voranzubringen, gibt der Impuls einen Überblick zu den Handlungsoptionen – beispielsweise den Aufbau von Plattformen, die Akteure miteinander vernetzen und so die Integration der quelloffenen Werkzeuge in industrielle Entwicklungsprozesse voranbringen. Grundlage dafür und für alle weiteren Optionen: Eine übergreifende Halbleiterstrategie, die die einzelnen Fördermaßnahmen evaluiert und bei Bedarf an die veränderten Rahmenbedingungen anpasst.