Roboter in der Diagnostik, Therapie und Rehabilitation nehmen rasant zu. Sie entlasten Ärzte, führen OP-Instrumente äußerst präzise und unterstützen die Rehabilitation von Patienten. Doch die Zulassung roboterbasierter Medizinprodukte ist schwierig - für MedTech-Unternehmen gibt es Hilfe.
Das Jahr 1999 kann als Durchbruch für die Medizinrobotik betrachtet werden. Damals wurde das roboterassistierte Operationssystem Da Vinci des in Kalifornien ansässigen Unternehmens Intuitive in Europa zugelassen. Seitdem hat es Chirurgen bei mehr als 12 Millionen minimalinvasiven Eingriffen unterstützt. Ebenfalls 1999 bewährte sich erstmals ein Roboter aus Augsburg in der Medizintechnik: Während der Strahlentherapie hielt das Gerät der Firma Kuka einen Linearbeschleuniger, mit dem ein Tumor punktgenau bestrahlt wurde. Seitdem kommt Robotik von Kuka nicht nur in der Industrie, sondern vielfach auch in der Krebstherapie zum Einsatz. Und die Medizinrobotik gewinnt allgemein an Bedeutung: Eine aktuelle Statistik der International Federation of Robotics (IFR) zeigt, dass 2021 die Verkäufe dafür zugelassener Industrieroboter sowie kollaborativer Roboter, sogenannter Cobots, um 23 Prozent gestiegen sind.
Für die Medizintechnik ist zwischen Robotern höherer Traglastklassen, die unter anderem dem Transport und der Positionierung von Patienten oder auch Geräten dienen, und Kleinrobotern sowie Cobots zu unterscheiden. Die Cobots sind so feinfühlig, dass sie zum Beispiel Ultraschallköpfe mit höchster Präzision führen können.
Die Roboter der mittleren bis höheren Traglastklasse nehmen den Klinikteams buchstäblich schwere Lasten ab. Außerdem helfen sie, beispielsweise in der Strahlentherapie, die Strahlenbelastung für das Behandlungsteam zu minimieren. Durch Fernbetrieb und Robotersysteme gelingt es, die Strahlenexposition von Personal durch ionisierende Strahlung zu reduzieren.
Der direkte Kontakt mit Patienten stellt höchste Anforderungen an Sensitivität, Hygiene und Sicherheit der verwendeten Roboterarme. In einigen Fällen sind Modelle, die für die direkte Mensch-Roboter-Kollaboration entwickelt wurden, die bereits erwähnten Cobots, zu bevorzugen. Sie benötigen weder Zäune noch sonstige zusätzliche Begrenzungen, übernehmen vielfältige repetitive, körperlich anstrengende Aufgaben und sind intuitiv zu bedienen.
Eine Operation auf Distanz mittels Telemanipulation erlaubt es Chirurgen, nach der Positionierung der Instrumente eine bequeme Haltung einzunehmen und die OP am Monitor mithilfe einer Konsole zu steuern. Hochentwickelte Software, künstliche Intelligenz, Kameras und ergonomische Bediengeräte tragen zur Anwenderfreundlichkeit bei. Mithilfe minimalinvasiver Verfahren durch Telemanipulation der Chirurgie-Roboter ist es somit möglich, die Präzision und Arbeitsplatzergonomie erheblich zu steigern, indem die Chirurgen nicht mehr stundenlang in gebeugter Haltung über den Patienten arbeiten müssen und sie mittels höchstauflösender Endoskopie, 3D-Bilddarstellung und Bewegungsskalierung selbst auf engstem Raum perfekte Ergebnisse erzielen können.
Eines der Aushängeschilder des Augsburger Automatisierungsspezialisten Kuka in der Medizinrobotik ist der Leichtbauroboter LBR Med. Er ist inzwischen in vielen diagnostischen und therapeutischen Systemen verbaut. Kuka stellt zwar selbst keine Medizinprodukte her, ist aber seit der Jahrtausendwende zum fachkundigen Partner der Medizintechnik geworden – mit einem 40-köpfigen Team am Standort Augsburg und der passenden Soft- und Hardware.
Das Flaggschiff ist der Leichtbauroboter LBR Med, der auf einer Basistechnologie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik aufbaut, die für den Weltraum entwickelt wurde. Die schwäbischen Robotikspezialisten übernahm den besonders leichten, sensitiven Roboter im Rahmen eines Technologietransfers und entwickelte ihn weiter. Umfassende Sicherheitsvorkehrungen, die hygieneoptimierten Oberflächen und die auf direkte Kollaboration mit dem Menschen ausgelegte Steuerung sind Kernmerkmale. Der LBR Med ist die erste robotische Komponente weltweit, die zur Integration in ein Medizinprodukt nach dem CB-Scheme-Verfahren – und somit nach den einschlägigen Normen IEC 60601-1:2005, IEC 60601-1:2005/AMD1:2012 und IEC 62304:2006 – zertifiziert wurde. »Dieser Umstand trägt bis heute zum Erfolg des LBR Med bei, weil es den Weg zur Zulassung eines Medizinprodukts deutlich verkürzt«, sagt Axel Weber, VP Medical Robotics bei Kuka. »Kunden aus der Medizinbranche profitieren mit jedem Roboter von unserer jahrzehntelangen Erfahrung und unserem Know-how, das wir mit jedem Roboter mitliefern.« Laut Weber würden Hersteller von Medizintechnik viele, oft sehr teure Erfahrungen selbst machen müssen, wenn sie den Roboter für ihre Applikation selbst entwickeln.
Eines der ersten MedTech-Unternehmen, das auf den LBR Med setzte, war Life Science Robotics aus Dänemark. 2017 brachte es den Rehabilitations-Roboter »Robert« auf den Markt: Mit dem LBR Med als Herzstück mobilisierte er zunächst die unteren Extremitäten bettlägeriger Patienten. Das Medical Robotics Team bei Kuka unterstützte die Dänen bei der Entwicklung. Der Reha-Roboter beherrscht sowohl die passive als auch die aktive Mobilisierung und schafft es mithilfe einer ausgefeilten Sensorik, die vom Therapeuten definierte Therapie zu »verstehen« und eigenständig zu übernehmen, wodurch sich die Therapieleistung des Therapeuten multipliziert. Der Reha-Roboter ist inzwischen weltweit im Einsatz, in Hongkong wurde kürzlich eine Kosten-Nutzen-Analyse publiziert, die ihm viel Potenzial attestiert. Auf der Medica 2023 wird Kuka die aktuellste Version von Robert ausstellen, der jetzt auch die oberen Extremitäten therapieren kann. So können Patienten ihre Selbstständigkeit nach dem Schlaganfall oder Unfall zurückerlangen, während ihre Physiotherapeuten die Hände frei behalten, um sich weiteren Aufgaben zu widmen.
Bereits 2022 zeigte Kuka in Düsseldorf unterschiedlichste auf dem LBR Med basierende Behandlungssystem, oft mit feinsten Instrumenten. Wie zum Beispiel der Artas iX von Venus Concept. Die Aufgabe des Roboterarms ist es, Patienten Tausende von Haarfollikeln am Hinterkopf zu entnehmen und sie dorthin zu implantieren, wo mehr Fülle gewünscht wird. Algorithmen übernehmen die exakte Planung des Eingriffs und erlauben ein Ergebnis, das dem natürlichen Haarwuchs gleicht. Die minimalinvasive Methode der ästhetischen Chirurgie schont Ärzte und Patienten und kommt inzwischen weltweit zum Einsatz.
Ebenfalls auf der Medica 2022 wurde der Arthritis-Ultraschall-Roboter »Arthur« von Ropca mit dem »Kuka Innovation Award« ausgezeichnet. Die automatisierte Ultraschallplattform mit dem LBR Med dient der schonenden Untersuchung der Gelenke. Patienten mit rheumatoider Arthritis scannen damit ihre eigenen Gelenke, um die Entzündungsaktivität und das Ausmaß des Verschleißes sichtbar zu machen. Eine künstliche Intelligenz hilft dabei, der Arzt analysiert anschließend die Bilder und entscheidet, welche Therapien sinnvoll sind. Das spart Zeit für Ärzte wie Patienten und wird laut einer Studie von den betroffenen Patienten als angenehm empfunden.
Der LBR Med könnte sich zukünftig auch als verlängerter Arm von Chirurgen bewähren. Das Unternehmen Monogram Orthopaedics hat ein Robotersystem entwickelt, das Kniegelenkersatz patientenschonender machen und die Rate an Revisions-OPs senken soll. »Der LBR Med ist für uns der beste kommerzielle Roboter für medizinische Anwendungen auf dem Markt. Seine Leistung, die Vor-Zertifizierung und der damit gesparte Papierkram werden unser Leben sehr viel einfacher machen«, sagt Benjamin Sexson, Ingenieur und CEO von Monogram Orthopaedics.
Auf Basis eines CT-Scans erstellt das amerikanische Unternehmen mithilfe der selbst entwickelten Software individuelle Endoprothesen im 3D-Druck. Anhand des CT-Scans wird außerdem ein detaillierter präoperativer Plan erstellt. Das Robotersystem mit dem LBR Med nutzt die Daten, um eine passgenaue Aussparung für die Prothese in Knochen zu fräsen. Anschließend kann das künstliche Gelenk von einem Chirurgen implantiert werden, langfristig soll das Robotersystem auch diese Aufgabe übernehmen. Ein erster ferngesteuerter Eingriff an einem Leichnam verlief vielversprechend. Das Unternehmen strebt derzeit die Zulassung des Systems bei der FDA an.
Die aktuellen technischen Entwicklungen zeigen eindeutig: Die Medizinrobotik wird zukünftig einen großen Beitrag dazu leisten, die zukünftige Versorgung von Patienten zu sichern – in Zeiten der Ausdünnung der Kliniklandschaft und des Fachkräftemangels sowohl in der Therapie als auch in der Pflege. Doch der Weg dorthin ist holprig. Die meisten medizinischen roboterbasierten Systeme benötigen höhere Investitionen, um zur Marktreife gebracht zu werden. Hinzu kommen die politischen Rahmenbedingungen, die je nach Land variieren. Bei der Entwicklung eines neuen Produktes ist es für Hersteller daher hilfreich, auf bewährte und erfahrene Partner sowie getestete und vorzertifizierte Robotiksysteme zu setzen. Neben dem eigentlichen Roboter bekommen die Entwickler so auch das entsprechende Know-how mitgeliefert, welches sonst mühsam, mit hohem Zeitaufwand und hohen Kosten selbst aufgebaut werden müsste.