Doch sie sind sich sicher, dass Corona nicht das größte Problem ist. »2021 wird im Zeichen des Kampfes um die technologische Vorherrschaft zwischen China und den USA stehen, das wird viel schwieriger als Corona«, sagt Gunther Kegel. Denn dieser Konflikt könnte dazu führen, dass sich die Welt in verschiedene Handelszonen teilt – auch für Kurt Sievers ein Alptraum: »Wenn es so kommt, wird sich die Geschwindigkeit der Innovationen drastisch reduzieren«, befürchtet er. Insbesondere der Austausch von IP, dem Kernwert der Industrie, sei gefährdet.
Gunther Kegel befürchtet, dass die mittleren Unternehmen sogar noch stärker unter der Entkoppelung der Märkte leiden könnten: »Wir betreiben unsere Werke weltweit, aber sie produzieren jeweils für die ganze Welt. Wir könnten uns gar nicht leisten, in mehreren Werken parallel für abgeschottete Märkte zu produzieren. Das ist für alle Unternehmen unserer Größe eine ernste Bedrohung.« Schon jetzt spürt er die negativen Auswirkungen aufgrund von Zöllen.
Europa müsse deshalb seine Rolle im Handelskrieg neu finden, davon sind alle Teilnehmer überzeugt. Was einfacher gesagt als umgesetzt ist. Voraussetzung wäre, dass Europa tatsächlich als ein Block handelt. Tatsächlich bestehen ja Asymmetrien zwischen den Weltregionen: China ist alles andere als einfaches Terrain für ausländische Firmen. Die schlechteste Option: Wenn die EU gezwungen wäre zu reagieren. Denn dass der größte Konsumgütermarkt der Welt frei zugänglich bleibt, muss ja nicht um jeden Preis so bleiben. »Deshalb wäre es höchst wichtig, gegenseitige friedliche Verständigungen zu erreichen. Europa muss sich im Klaren sein, dass der freie Welthandel in Gefahr ist«, so Kegel. Da sollte Europa entschieden für Multilateralität Stellung beziehen.
Was ist zu tun? Reinhard Ploss hält es für wichtig, dass die Produkte, die in einer Region gefertigt werden, dort auch Anwendung finden müssen. Dazu sollten die Rahmenrichtlinien in einer Welt gesetzt werden, in der nun einmal ungleiche Wettbewerbssituationen herrschen: »Da reicht es nicht, einfach nur ein paar R&D-Programme zu starten.«
Es käme darauf an, die digitale Basis in Europa zu erweitern. Dazu wäre es erforderlich, Europa sowohl lokal zu stärken als auch international zu kooperieren. Daran zu arbeiten, dass die EU als ein Block nach außen auftritt, müsste also auch im kommenden Jahr höchste Priorität haben, denn die Ursachen des Handelskriegs zwischen den USA und China entfallen auch nach der jüngsten Wahl in den USA nicht. Bleibt zu hoffen, dass es jetzt wieder möglich wird, etwas verlässlicher und zivilisierter miteinander umzugehen. Denn die Teilnehmer des CEO-Roundtable sind überzeugt: Die Entkopplung der Wirtschaft wäre eine typische Lose-Lose-Situation. Dem kann Jean-Marc Chery nur zustimmen: »Die großen Herausforderungen wie Reduzierung des CO2-Ausstoßes können nur global gelöst werden. Jetzt durch wirtschaftliche Entkopplung auf die Innovationsbremse zu treten wäre kontraproduktiv.«
Doch sie zeigten sich auch davon überzeugt, dass es weiterhin Chancen zuhauf gebe. Für die großen IC-Hersteller NXP, Infineon und STMicroelectronics wie für Pepperl+Fuchs spielt Automotive eine große Rolle. Da ist die Erholung der Branche über das letzte Quartal eine gute Nachricht. Kurt Sievers setzt darauf, dass sich das sichere Edge Processing insgesamt zu einem der wichtigsten Wachstumstreiber über die nächsten zehn Jahre entwickeln wird. Besonders ermutigend findet Reinhard Ploss, dass in Europa nun offenbar die Stimmung unter den Verbrauchern umgeschlagen ist und E-Autos nicht mehr als unbequeme Exoten gelten. Für Infineon positiv ist auch, dass die Nachfrage nach Fahrerassistenzsystemen quer über alle Fahrzeugtypen wächst. Doch will Reinhard Ploss nicht nur auf einen Markt wetten: »Der eigentliche Treiber, der hinter dem Wachstum ganz unterschiedlicher Märkte und Produkte steckt, ist die digitale Transformation.«