Weil nun aber die großen Bauelementehersteller noch zögern, hat Heinbach 2016 angefangen, mit seiner zweiten Firma D+D+M eine Datenbank aufzubauen, die momentan 12.000 smartPCNs mit mehreren hundertausend Bauteilen umfasst. »Derzeit füllen wir die Lücke, aber weil überall Datenbanken aufgebaut werden, wird die Arbeit mehrfach gemacht, und dies gilt es zu durchbrechen«, betont Heinbach. Wie hält es augenblicklich IHS als einer der weltweit größten Datenanbieter mit PCNs? »Wir haben für die Erfassung von PCNs unser eigenes Format; wenn wir auf smartPCN umstellen sollten, müsste ich dicke Bretter bohren,« sagt Dr. Jörg Berkemeyer, Electronic Parts Solution bei der IHS Global GmbH. Sorgen machen ihm in puncto PCNs vielmehr zwei Probleme, die sich auch mit smartPCN nicht lösen lassen: »Manche Hersteller verschicken gar keine PCNs, andere wieder viel zu spät.« Laut eigener Statistik trifft letzteres für 50 Prozent zu, und dann bekämen die Kunden am Ende der Lieferkette wie EMS-Unternehmen die Info erst kurz vor der kompletten Abkündigung.
REACH als neue Herausforderung
Die vor zehn Jahren etablierte EU-Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) wird erst seit jüngster Zeit vom Radar des Obsolescence-Managements erfasst. Stand Juli 2017 umfasst die halbjährlich aktualisierte SVHC-Liste (Substances of Very High Concern; äußerst besorgniserregende Stoffe) der ECHA (European Chemicals Agency) 174 Chemikalien. Diese Stoffe zu verwenden ist zwar nicht prinzipiell verboten, aber ein REACH-konformes Bauteil darf keine dieser 174 Substanzen enthalten. Als ein aktuelles Beispiel führt Anke Bartel LEDs und Knopfzellen an: »Diese Produkte enthalten einen oder mehrere SVHC-Stoffe, sodass mir noch nicht klar ist, wie sich das auf die Verfügbarkeit auswirken wird.«
Angesichts der steigenden Zahl von SVHC-gelisteten Stoffen »müssen die Hersteller verstärkt innovative Substitutionen von Stoffen vornehmen, doch ob dies in allen Fällen gelingen wird, ist fraglich«, meint Michael Knöferle, Leitung Marketing und Vertrieb der BMK Group. So hätten Hersteller wegen der SVHC-Liste bereits Produkte abgekündigt: »Weil sich eine Neuentwicklung teilweise nicht rentiert, hat REACH insofern einen direkten Einfluss auf Obsolescence«. Gar von einem »Änderungswahnsinn« spricht Würth-Manager Wagner angesichts der halbjährlichen Aktualisierung der SVHC-Liste. Viele Chemikalien, die derzeit noch in der Vorschlagsliste »für die künftige Aufnahme angedacht sind, könnte man mutiger in die SVHC-Liste aufnehmen und Änderungen nur jährlich vornehmen«. Dadurch könnte etwa ein Hersteller von Passivkomponenten wie Würth jährlich Kosten in Millionenhöhe sparen, werden doch für eine Analyse rund 300 Euro fällig. Bei einigen tausend Bauteilen ist man hier schnell im Millionenbereich, und das derzeit zweimal im Jahr – Kosten, die im übrigen auf die Produkte umgeschlagen werden müssen.
REACH verschärft das Problem der Obsolescence laut Heinbach nicht nur bei elektronischen Bauelementen, »sondern auch für Verfahrensschritte und ganze Anlagen, die für den Betrieb und Wartung SVHC-gelistete Substanzen benötigen«. Mit REACH steige überdies der Dokumentationsaufwand »erheblich; besonders betroffen sind Spezialgebiete wie die Luft- und Raumfahrt«. Kümmere sich angesichts dieser Situation ein Unternehmen nicht um REACH, »kann das zur wirtschaftlichen Obsolescence führen«. Zu bedenken sei zudem unter dem Aspekt der Material-Compliance, dass auch die Ausgangsmaterialien reinspielen: Stimmt das, was der Lieferant angibt? Man müsse zwangsläufig Vertrauen zum Lieferanten haben, denn eine Baugruppe bei TQ-Systems enthält Anke Bartel zufolge »durchschnittlich 120 Bauteile«. Wirtschaftlich sei es nicht machbar, diese via Spektralanalyse auf REACH-Konformität zu untersuchen.