Zu hundert Prozent frei verfügbar sind die Bestände der großen Online-Distributoren Digi-Key und Mouser. Das, so Hermann Reiter, Director für Zentraleuropa und Geschäftsführer der deutschen Digi-Key, sei schließlich das Geschäftsmodell der Online-Distribution, das sich aber in der Hauptsache auf kleinere und mittlere Bedarfe beschränkt. »Aber mit der Verfügbarkeit ändert sich auch unsere Kundenstruktur«, ergänzt Stephan Fuchs, Vice President Business Supplies von Conrad. »Wenn der Kunde bei den großen Volumendistributoren nicht fündig wird, kauft er gerne auch mal Produktionsmengen beim Katalogdistributor«, vorausgesetzt freilich, die Ware ist dort verfügbar und der Kunde ist bereit, für die Verfügbarkeit beim Katalog-/Online-Distributor etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Firmen, die neu am Elektronikmarkt sind, wird das aber kaum stören. Diese Klientel wird sich vielmehr über die „handelsüblichen“ Lieferzeiten wundern: »Wenn eine Firma aus dem Metallbereich kommt, der mit zwei bis vier Wochen Lieferzeit aus der Stanzmaschine lebt, und jetzt 30, 40 oder mehr Wochen auf Bauteile warten soll, wird es schwierig. Je mehr Branchen in die Elektronik reinkommen, die andere Gepflogenheiten gewohnt sind, umso herausfordernder wird es für alle.«
Also freier Lagerbestand als Allheilmittel für alle? »„One Model fits all“ wird es nicht geben, auch wenn wir endlos weiter diskutieren«, erwidert Reinicke. Während ein Passiv-Lieferant durch freien Lagerbestand die breite Masse absichern muss, wird das im Halbleitersegment wohl eher nicht der Fall sein. Schließlich sei es schlichtweg nicht möglich, alle zig Millionen Varianten von Bauteilen auf Lager zu halten, entgegnet Georg Steinberger. »Das kann niemand bezahlen.« Hätte Avnet da nicht einen Vorteil durch die Konzerntochter Farnell, die als Online-Distributor auch mit frei verfügbarer Ware agiert? »Wir haben festgestellt, dass die Überlappung von frei verfügbaren Bauteilen zwischen Online-Distributoren und Volumendistributoren, wie wir sie im Konzern sehen, nicht so groß ist, wie man vielleicht annimmt«, stellt Steinberger klar.
So beschränkt sich die freie Verfügbarkeit im Volumengeschäft also vielerorts auf Commodities. Die Crux: »Je mehr ein Artikel eine Commodity ist, umso mehr wird er wiederum gefährdet sein durch Allokation«, gibt Sven Krumpel zu bedenken, CEO von Codico.
Spezielle Non-Commodity-Bauteile dagegen werden üblicherweise Back-to-Back gehandelt, wie Joachim Kaiser, Manager Sales & Supply Chain Solutions von Glyn, erläutert: »Wir als Spezialdistributor legen nur das auf Lager, was wir mit dem Kunden vereinbart haben. Für über 70 Prozent der Produkte haben wir nur einen Kunden; diese Situation kommt natürlich aufgrund der umfangreichen Variantenvielfalt zustande. Wenn der Forecast passt, haben wir die Ware verfügbar, wenn nicht, dann nicht.«
Schlussendlich kommt laut Kaiser noch die Preisproblematik dazu. Wenn man vom Hersteller eine Quote-Laufzeit von drei Monaten bekommt, könne man natürlich dem Kunden auch nicht für ein Jahr den Preis weitergeben bzw. für ein Jahr garantieren.
Projektbezogen läuft auch die Lagerhaltung bei Codico Back-to-Back. »Wir haben Hersteller mit Nischenprodukten, und wo es einen vernünftigen Forecast gibt, haben wir eigentlich kaum ein Verfügbarkeitsproblem. Wenn Probleme auftauchen, haben wir natürlich den Anspruch, das gemeinsam mit dem Kunden zu lösen«, sagt Sven Krumpel. Back-to-Back habe natürlich den vermeintlichen Nachteil, dass man bei Engpasssituationen kein Zusatzgeschäft generieren kann, aber das, so Krumpel, interessiere Codico auch nicht.
Eine Lösung, mit der Avnet Silica die Supply-Chain entlasten möchte, ist die hauseigene Commodity-Beratung für Kunden. »Wir erläutern den Kunden zum Beispiel, wie sich Gehäusetrends entwickeln und welcher Hersteller welche Fertigungskapazitäten geplant hat. Das kommt extrem gut an. Denn so können wir den Kunden helfen, beim Design-in auf die richtigen Komponenten zu setzen«, schildert Frank Stephan, Country Director von Avnet Silica und Geschäftsführer der deutschen Avnet EMG. Thematisiert werden dabei auch Themen wie „Langzeitverfügbarkeiten“, „Industrie vs. Konsumerprodukte“ und „Multi-Source bzw. Multi-Variantenfreigaben“.