Amsrud ist überzeugt, dass in Automotive-Anwendungen aufgrund von Safety- und Zuverlässigkeitsaspekten immer Halbleiter benötigt werden, die den Anforderungen der Automobilindustrie entsprechen. Natürlich gibt es Ausnahmen, in denen Bauteile in Konsumgüter-Qualität in bestimmten, nicht sicherheitskritischen Anwendungen eingesetzt werden, »aber mit Software-Defined Vehicles wird es immer schwieriger zu definieren, was dazu gehört, als das in der Vergangenheit der Fall war«, so Amsrud weiter. Deshalb müssten selbst für Konsumgüter entwickelte Halbleiter die Erwartungen der Automobilindustrie erfüllen. »Ich denke, das ist ein Trend, der sich bereits abzeichnet. Qualcomm und Nvidia haben sowohl Consumer- als auch Automotive-Ambitionen, und obwohl die Produkte ähnlich sein mögen, verwenden diese Unternehmen Automotive-Designregeln und erfüllen Automotive-Qualifikationen.«
Selbstverständlich gebe es einige Zulieferer, die seit mehreren Jahrzehnten in der Automobilbranche tätig sind und mit denen die OEMs vertraut sind, was durchaus Vorteile für die OEMs biete. Dennoch: Geht es um rechenintensive SoCs, waren auch relativ neue Anbieter im Automobilbereich erfolgreich. Amsrud ist überzeugt, dass der Erfolg darin liegt, dass diese Unternehmen genau das Leistungsniveau bieten können, das autonome Fahrzeuge benötigen. Amsrud weiter: »Deswegen wird heute häufig ein neuer SoC-Anbieter mit einem traditionellen Anbieter kombiniert. Der traditionelle Anbieter liefert eine Safety-MCU, die das Gesamtsystem überwacht, um dessen Integrität zu gewährleisten, während das SoC die umfangreiche Rechenarbeit übernimmt. Kurz gesagt: Je mehr sich in der Automobilbranche ändert, desto mehr bleibt alles beim Alten.«
Denn wie Unterhaltungselektronik und Server benötigen auch Autos mehr Rechenleistung als je zuvor, aber mit einem entscheidenden Unterschied. Im Gegensatz zur Konsumelektronik und zu Servern existieren Autos nicht in einer rein digitalen Domäne, sondern sie stehen in engem Kontakt mit der realen Welt. »Sie werden in einer rauen Umgebung betrieben und müssen unter einer Vielzahl von Bedingungen sicher sein. Daraus folgt, dass die Automobilindustrie zwar immer mehr Consumer-orientierte Halbleiter einsetzt, diese aber immer sicher und zuverlässig sein müssen.«
Der Halbleiterumsatz pro Fahrzeug steigt seit Jahren, bleibt das so?
Amsrud geht davon aus, dass der Anteil der Halbleiter pro Fahrzeug in absehbarer Zeit steigen wird. Amsrud: »Wir fangen gerade erst an, die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Halbleiter-Content zu sehen, und es ist ganz klar: Die geforderte Menge an Rechenleistung nimmt weiter zu.« Er ist außerdem überzeugt, dass die Zentralisierung dazu führt, dass mehr Netzwerkbandbreite benötigt wird, denn nur dann kann die zentrale Recheneinheit mit allen Modulen und Sensoren im Fahrzeug kommunizieren. Amsrud: »Das bedeutet, dass jedes Modul und jeder Sensor zumindest intelligent genug sein muss, um über ein Netzwerk zu kommunizieren. CAN, LIN und FlexRay werden nicht verschwinden, aber Ethernet wird immer gängiger, und mit der Zeit werden immer mehr Module daran angeschlossen.«
Neben der fahrzeuginternen Kommunikation muss das Auto in Zukunft natürlich auch zunehmend mit der Cloud, der Infrastruktur und anderen Fahrzeugen verbunden sein. Im Zusammenhang damit erwartet Amsrud, dass einige Systeme im Auto mit der Zeit in die Cloud verlagert werden, aber aus Gründen der Latenz und der Sicherheit wird es auch weiterhin erhebliche Inhalte im Auto selbst geben. »Selbst wenn ein Teil der Rechenleistung in die Cloud verlagert werden kann, die Energieverteilung wird im Fahrzeug verbleiben«, so Amsrud weiter. Da Autos immer in der realen Welt navigieren müssten, werde auch weiterhin mit Sensoren gemessen, Aktoren mit Strom versorgt, Motoren gedreht und Lichter eingeschaltet. Auch was die Datenverarbeitung anbelangt, ist Amsrud überzeugt, dass weiterhin ein Teil der Daten lokal verarbeitet wird, »was zu einem kontinuierlichen Wachstum der Halbleiter führt«, so Amsrud.
Dementsprechend positiv fällt die Prognose für das Halbleiterwachstum aus.
S&P Global Mobility beziffert den automobilen Halbleitermarkt im Jahr 2022 mit einem Wert von mehr als 68,1 Mrd. Dollar. Bis Ende 2029 soll dieser Umsatz auf über 143 Mrd. Dollar ansteigen, was einem CAGR (durchschnittliche Jahreswachstumsrate) von 11,2 Prozent entsprechen würde. Amsrud: »Der durchschnittliche Halbleiterwert pro Auto stieg von 398 Dollar im Jahr 2017 auf 812 Dollar im Jahr 2022 und wird bis 2029 deutlich stärker, nämlich auf 1467 Dollar pro Auto, ansteigen.«
Begrenzt die zunehmende Software das Halbleiterwachstum?
Nein, auch wenn Richard Dixon, Senior Principal Analyst, E/E & Automotive Semiconductor bei S&P Global Mobility, zunächst erklärt, dass das »Software Defined Vehicle« typischerweise durch eine stärker zentralisierte E/E-Architektur unterstützt wird und damit eine gewisse Konsolidierung der Elektronik einhergeht, die Auswirkungen auf den Halbleiteranteil im Auto haben wird. Das heißt, dass Halbleiter wie 8- oder 16-bit-MCUs der unteren Leistungsklasse, die in vielen Anwendungen wie kleine Steuergeräte, Module und Aktoren verwendet werden, durch die Zentralisierung der Fahrzeugelektronik mit weniger, aber leistungsfähigeren SoCs ersetzt werden.
Diesem Trend wirkt aber entgegen, dass die Systemkomplexität mit den höheren Autonomiestufen im Fahrzeug (L2+, L3 und schließlich L4) kontinuierlich zunimmt, was wiederum die Redundanz durch die Anforderungen an die Ausfallsicherheit erhöht. Das Ganze wird dann noch mit der damit verbundenen Umstellung auf »By-Wire«-Systeme (Bremse, Lenkung, …) kombiniert, was ebenfalls eine hohe Redundanz (zwei Motoren, Steuergeräte, Sensoren usw.) und damit auch mehr Halbleiter benötigt. Dixon: »Insgesamt ist der Nettoeffekt der Software-Defined Vehicles und der Migration zu zentralisierten E/E-Architekturen auf die Halbleiterindustrie aufgrund des von Amsrud bereits beschriebenen Trends positiv.«