Analysen von S&P Global Mobility

Alle, wirklich alle Alarmglocken läuten

23. Juli 2023, 14:00 Uhr | Iris Stroh
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

»Das könnte ein gewaltiges Eigentor für die EU sein.«

Mit Blick auf Europa erklärt Couchman, dass die Verbraucher in dieser Region mit einem erheblichen Anstieg der Listenpreise für Fahrzeuge konfrontiert sind und viele Einsteigermodelle und Varianten bereits vom Markt genommen wurden, manchmal aufgrund des Drucks zur Einhaltung von CO2-, Auspuff-Emissionen und Sicherheitsvorschriften. Couchman ist überzeugt, dass weitere Modelle folgen werden, insbesondere wenn die Abgasnorm Euro-7 in Kraft tritt. Couchman: »Das könnte ein gewaltiges Eigentor für die EU sein.« Denn nur einige europäische E-Fahrzeuge entsprechen den Vorschriften, andere werden nur in begrenztem Umfang angeboten und sind für viele Verbraucher zu teuer.

Couchman: »Dies hat eine Lücke für preiswerte Marken hinterlassen. Beispielsweise hat MG in aller Stille seinen Marktanteil ausgebaut und dürfte auch weiterhin gut abschneiden, wenn neue BEVs auf den Markt kommen und MG weiterhin in weitere europäische Märkte expandiert, denn der MG 4 sieht sehr wettbewerbsfähig aus. Die Europäer werden es schwer haben, den chinesischen Aufschwung zu stoppen.«
Ein Teil des Importanstiegs chinesischer Autos ist technischer Natur, einfach weil Modelle von Tesla oder anderen westlichen Herstellern, die in China produzieren (z. B. Dacia Spring), in Europa verkauft werden.

Couchman warnt, dass Bemühungen seitens der EU dazu führen könnten, dass diese »Reimporte« gefährdet sind. Er erwartet, dass die EU prüfen wird, ob in der EU ein IRA-ähnliches Paket (IRA: Inflation Reduction Act) für Autos oder eine Art Kohlenstoff-Grenzausgleich hilfreich sein können. Aber: »Wie bei vielen EU-Initiativen könnte dies einige Zeit in Anspruch nehmen«, so Couchman weiter.

Die französische Regierung hat gerade einen Vorschlag vorgelegt, mit dem Subventionen und andere Anreize für nicht in Europa hergestellte BEVs in Frankreich ausgeschlossen werden sollen. Couchman: »Dies könnte die exponentielle Ausbreitung von in China hergestellten BEVs, auch Dacia Spring und Tesla, kurzfristig begrenzen. Vielleicht werden weitere nationale Regierungen darauf reagieren. Aber in den kommenden Jahren dürften die BEV-Anreize zurückgehen, wenn sich die BEVs in Europa normalisieren.« Also ist das langfristig auch keine Lösung. Hinzu kommt noch, dass Couchman davon ausgeht, dass zwischenzeitlich einige chinesische OEMs Investitionen in europäische Autofabriken prüfen und natürlich nebenbei auch Tesla nur darauf wartet, das europäische Kompaktwagensegment zu erobern.

 

S&P Global
Durchschnittlicher Halbleiterwert pro Fahrzeug (Dollar) im Lauf der Jahre 
© S&P Gobal
S&P Global
Software-Trends im Fahrzeug, in der Vergangenheit, heute und in der Zukunft
© S&P Gobal

Nachhaltigkeit, mehr als nur ein Lippenbekenntnis

Jeder schreibt sich das Thema »Nachhaltigkeit« auf die Fahnen, doch manchmal hat man das Gefühl, dass es hier mehr um Reputation als um ein wirklich anvisiertes Ziel geht. Doch Calum MacRae, Director Global Insight bei S&P Global Mobility, ist überzeugt, dass sich hier zumindest in der Automobilindustrie einiges geändert hat. Er erklärt, dass vor etwa zehn Jahren noch festgestellt werden konnte, dass CSR (Corporate Social Responsibility) und Nachhaltigkeit Themen sind, zu denen die Lieferkette nur ein Lippenbekenntnis ablegt, eine Aktivität, mit der sie ihren öffentlichen Ruf aufpoliert. »Jetzt müssen sie im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen, denn sie können entscheidend sein, wie erfolgreich öffentliche und private Unternehmen Kapital für ihre Geschäftstätigkeit beschaffen können«, so MacRae.

Mittlerweile gebe es viele Tier-Ones, die offen an Nachhaltigkeitsindizes teilnehmen. Beispiel Continental: Das Unternehmen nimmt offen und transparent an sieben verschiedenen Nachhaltigkeitsindizes teil. Was für Tier-Ones gut ist, wirkt sich laut MacRae natürlich auch auf die Tier-Twos und die ihnen vorgelagerten Rohstofflieferanten aus.

MacRae: »Nachhaltigkeitsaudits werden als ebenso wichtig angesehen wie finanzielle und betriebliche Audits – nachgelagerte Lieferanten können es sich einfach nicht leisten, den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen. Außerdem werden immer häufiger Nachhaltigkeitsrichtlinien und -verpflichtungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Verhaltenskodizes verankert.«

In Europa kommt laut MacRae noch ein weiterer Punkt hinzu: Auch die Europäische Kommission wird aktiv und arbeitet an einer Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit, die Einhaltung von Umweltstandards, Menschenrechten und moderner Sklaverei, und zwar entlang der gesamten Lieferkette – das betrifft Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über 150 Millionen Euro in einer ersten Gruppe, weitere Gruppen sollen schrittweise folgen.

MacRae: »Bei den CO2-Zielen, bei denen einige Unternehmen eine Ausnahmeregelung für CO2-Emissionen oder ein weniger strenges Ziel erhielten, wurde CO2 schnell zu einem Wettbewerbsmaßstab, der Unternehmen wie JLR dazu zwang, die CO2-Emissionen ihrer Wettbewerber zu erreichen oder zu übertreffen. Aufgrund der bereits erwähnten Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten wurde es zu einem wettbewerbsentscheidenden Faktor. Die Richtlinie wurde im April 2023 ausgearbeitet und wird voraussichtlich im Laufe des Jahres 2023 zur Abstimmung gestellt.«

Wo geht die Reise für die Halbleiterhersteller hin?

Aus der Sicht von Phil Amsrud, Sr. Principal Analyst für Automotive Semiconductors bei S&P Global Mobility, geht es für die Halbleiterhersteller momentan besonders darum, ausreichende Kapazitäten für die in der Automobilindustrie wichtigen, ausgereiften Prozessknoten bereitzustellen. Dies könne auf verschiedenen Wege erreicht werden. Am einfachsten sei es, genügend Kapazität für die analogen Bauelemente in den bestehenden Prozessknoten zu installieren. Damit wären keine Designaktivitäten notwendig, allerdings steigen die Capex, die notwendig sind, um 200-mm-Wafer-Kapazitäten hinzuzufügen. Aus Amsruds Sicht wäre es praktikabler, die Bauteile auf modernere Knoten zu portieren, denn dieser Ansatz benötigt weniger Capex, allerdings mehr Designressourcen.

Amsrud: »Natürlich bergen neue Designs immer ein Risiko – einer der Gründe, warum die OEMs sich generell gegen Änderungen sträuben, sobald ein Bauteil in Produktion ist.« Allerdings merkt er an, dass dieses Problem bei digitalen Bauteilen eher klein ausfällt, da geringfügige parametrische Verschiebungen in diesem Bereich weniger problematisch sind als im analogen Bereich. Allerdings ist bei MCUs, die mit Prozessstrukturen von unter 20 nm gefertigt werden, eine Abkehr von Embedded Floating-Gate-Flash zu einer anderen NVE-Technologie wie MRAM oder RRAM notwendig.


  1. Alle, wirklich alle Alarmglocken läuten
  2. »Das könnte ein gewaltiges Eigentor für die EU sein.«
  3. Müssen es spezielle Automotive-ICs sein?

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu NVIDIA Corporate

Weitere Artikel zu Volkswagen AG

Weitere Artikel zu IHS Inc.

Weitere Artikel zu IHS iSuppli

Weitere Artikel zu IHS iSuppli Deutschland

Weitere Artikel zu Branchenverbände / Allianzen

Weitere Artikel zu Automatisiertes Fahren