Die Kombination aus mmWave-Radar und TinyML markiert einen Paradigmenwechsel in der Innenraumsensorik. Sie sorgt für Sicherheit im Sinne der Euro-NCAP-Anforderungen und ermöglicht zugleich neue Funktionen. Das Ziel: Ein Fahrzeuginnenraum, der sich an die Bedürfnisse der Passagiere anpasst.
Die Anforderungen an Sensorik im Fahrzeuginnenraum steigen kontinuierlich. Sicherheitssysteme wie die Child Presence Detection (CPD) sind längst mehr als ein Zusatz: Sie sind ein zentraler Bestandteil moderner Fahrzeugsicherheit. Insbesondere das European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) schreibt vor, dass CPD-Systeme nur dann in puncto Sicherheit bewertet werden, wenn sie auf direkter Sensorik basieren.
Gleichzeitig erwarten Verbraucherinnen und Verbraucher moderne Komfortfunktionen mit nahtloser Integration in das Fahrzeugumfeld. Klassische Radarsysteme stoßen dabei an ihre Grenzen – vor allem in komplexen Szenarien mit verdeckten Passagieren oder beweglichen Objekten. Ein neuer Ansatz kombiniert Millimeterwellenradar (mmWave) mit Tiny Machine Learning (TinyML) und eröffnet damit neue Möglichkeiten für robuste, fehlalarmfreie Erkennung.
Die Sensortechnologie im Fahrzeuginnenraum muss zunehmend mehr leisten. Zunächst ist es entscheidend, die Genauigkeit in komplexen Umgebungen sicherzustellen – eine grundlegende Anforderung. Auf dieser Basis können dann ein breiterer Anwendungsbereich abgedeckt und weitere Funktionalitäten wie Einbruchserkennung integriert werden.
Denn neben der gesetzlichen Vorgaben für CPD-Systeme werden zunehmend Lösungen gefordert, die über reine Anwesenheitserkennung hinausgehen. Gefragt sind Systeme, die Mehrwert schaffen – von der Überwachung mehrerer Sitzreihen über Anti-Einbruch-Funktionen bis hin zu Always-on-Betrieb bei minimalem Energiebedarf. Gleichzeitig darf die Genauigkeit der Lösungen nicht leiden, denn Fehlalarme sind störend und können auch das Vertrauen in die Technologie untergraben.
Ein zusätzlicher Treiber der Entwicklung ist der wachsende Funktionsumfang moderner Fahrzeuge. In-Cabin-Sensorik soll künftig sowohl Sicherheit gewährleisten als auch Komfort- und Infotainment-Features bereitstellen. Dazu zählen Gestensteuerungen, automatische Sitzanpassungen oder personalisierte Einstellungen für unterschiedliche Nutzer. Die Sensoren müssen daher flexibel, skalierbar und energieeffizient sein.
Traditionelle Radarsysteme stoßen bei realen Einsatzbedingungen an ihre Grenzen. Beispielsweise können die Bewegung von Spielzeug im Fond oder ein offenes Fenster Fehlalarme auslösen. Auch die Erkennung von verdeckten Personen, wie etwa einem schlafenden Kleinkind in einem rückwärtsgerichteten Kindersitz, stellt eine Herausforderung dar. Hinzu kommt: Die komplexe Logik der Signale macht es schwierig, alle Einsatzszenarien ohne künstliche Intelligenz abzudecken. Nur mit intelligenter Signalverarbeitung lässt sich die gewünschte Zuverlässigkeit wirksam erreichen.
Das bedeutet: Systeme, die nur auf einfacher Punktwolkenanalyse basieren, stoßen schnell an ihre Leistungsgrenzen. Bei dynamischen Szenarien oder Gegenständen auf der Rückbank müssen vielfältige und hochdimensionale Merkmale erkannt und identifiziert werden, um Störsignale von vitalen Bewegungsmustern unterscheiden zu können.
TinyML ist ein Teilgebiet des maschinellen Lernens, das es ermöglicht, ML-Modelle auf energieeffizienten Edge-Geräten wie Radarchips auszuführen. Damit rückt KI direkt an die Signalquelle – ohne Umweg über Cloud-Dienste. Das Resultat: Echtzeitverarbeitung mit sehr geringer Latenz und geringem Energiebedarf. Für In-Cabin-Anwendungen ist das ein entscheidender Vorteil, denn hier zählen sowohl die Genauigkeit als auch die Echtzeitfähigkeit und die Verfügbarkeit im Always-on-Modus.
Calterah integriert Convolutional Neural Networks (CNN) in den Signalverarbeitungspfad seiner Radar-SoCs. CNNs sind darauf spezialisiert, aus komplexen Datensätzen wie Radarreflexionen Muster zu erkennen und zu klassifizieren. Im In-Cabin-Anwendungsfall bedeutet das: nicht nur Punktwolken analysieren, sondern feinste Bewegungen wie Atmung oder leichte Körperbewegungen identifizieren.
Damit TinyML-Modelle auf einem Radar-SoC effizient arbeiten, sind spezielle Optimierungstechniken nötig. Durch Quantisierung werden Daten auf eine geringere Bitbreite reduziert, ohne die Modellleistung wesentlich zu beeinträchtigen. Model Pruning beschleunigt die Berechnungen und verringert den Speicherbedarf. So ist das System trotz begrenzter Ressourcen leistungsstark und energiesparend.
Ein Beispiel für ein entsprechendes System ist der Lancang-USRR-Chip von Calterah, der als erster 60-GHz-mmWave-Radar-SoC mit sechs Sende- und sechs Empfangskanälen (6T6R) ausgestattet ist. Seine Signalverarbeitung umfasst mehrere Module: Spektrumanalyse, Point-Cloud-Generierung und eine CNN-Inferenz, die von TinyML-Technologie unterstützt wird.
Dank dieser Architektur lassen sich selbst komplexe Innenraumszenarien mit nur einem einzigen Chip abdecken. Das System unterstützt Always-on-Funktionen, darunter Anti-Einbruchs-Erkennung, und das bei sehr niedrigem Energiebedarf. Diese Effizienz ist entscheidend, um die Batteriebelastung minimal zu halten und dennoch eine kontinuierliche Überwachung zu gewährleisten.
Wie leistungsfähig dieser Ansatz ist, zeigt sich in aktuellen Fahrzeugtests: Das System erkennt zuverlässig einen Baby-Dummy, selbst wenn dieser teilweise durch eine Sitzlehne und einen Kindersitz verdeckt ist. Gleichzeitig kann es Störungen durch bewegte Spielsachen oder schwingende Gegenstände unterscheiden. Das Ergebnis: fehlalarmfreie Erkennung und dauerhafte Überwachung bei minimalem Energieeinsatz – eine Voraussetzung für die nächste Generation smarter Innenräume.
Ausblick: Radar und KI als Schlüssel für smarte Innenräume
Mit der Kombination aus mmWave-Radar und TinyML wird es künftig möglich sein, Radarsysteme zu entwickeln, die gleichzeitig Gestensteuerung, personalisierte Komforfunktionen und Gesundheitsmonitoring integrieren. Damit entsteht potenziell ein Fahrzeuginnenraum, der sich dynamisch an die Bedürfnisse der Insassen anpasst.
In den kommenden Jahren wird der Einsatz von KI in sicherheitskritischen Systemen weiter zunehmen. Radar mit eingebetteter Intelligenz wird dabei eine Schlüsselrolle spielen. Das gilt nicht nur für das Premiumsegment der Automobilhersteller, sondern flächendeckend in allen Fahrzeugklassen. Hersteller, die diese Technologie früh adaptieren, verschaffen sich somit einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil in einem Markt, in dem Sicherheit und Komfort gleichermaßen zählen.
Dr. Zhifei Wang
ist Radar System/Algorithm Expert bei Calterah Semiconductor.