Automatisierungspotenzial durch KI

Werden wir in Zukunft weniger Ingenieure brauchen?

2. Oktober 2024, 15:17 Uhr | Corinne Schindlbeck
Bedeutet Automatisierbarkeit in der Ingenieurarbeit auch, dass der Bedarf an Ingenieuren sinken wird?
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Künstliche Intelligenz wird die Arbeit von Ingenieuren der Elektro- und Informationstechnik in Teilen übernehmen können. Wird das den Bedarf verändern? In einem Beitrag für ein VDE-Papier analysiert das Dr. Britta Matthes vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

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Dr. Britta Matthes, IAB: KI kann erst produktiv zum Einsatz gebracht werden, wenn sie mit fachspezifischen Kenntnissen zusammentrifft.
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Künstliche Intelligenz und andere digitale Technologien haben in den letzten Jahren einen starken Einfluss auf viele Berufsfelder genommen, auch auf die Elektro- und Informationstechnik. Ingenieure stehen hier vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits sind sie zentrale Akteure bei der Entwicklung dieser Technologien, andererseits müssen sie diese auch in ihren eigenen Arbeitsprozessen produktiv nutzen.

In ihrem Beitrag im VDE-Papier »Die Rolle der KI in der Elektro- und Informationstechnik« beschreibt Dr. Britta Matthes die Veränderungen, vor denen die Ingenieursberufe stehen. »Die Elektro- und Informationstechnik ist einer der Schlüssel für die Entwicklung von KI und anderer digitaler Technologien, um die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben«, betont sie. 
Aber bedeutet Automatisierbarkeit in der Ingenieurarbeit auch, dass der Bedarf an Ingenieuren sinken wird?

Der Job-Futuromat, ein vom IAB entwickeltes Tool, zeigt, dass Ingenieurberufe ein unerwartet hohes Substituierbarkeitspotenzial aufweisen, also potenziell stark durch Automatisierung betroffen sind. Der Anteil der Tätigkeiten, die von Maschinen und Algorithmen übernommen werden könnten, ist stellenweise sehr hoch. Betroffen sind vor allem routinemäßige Aufgaben wie Berechnungen, Simulationen und das Testen von Systemen. Solche Prozesse könnten zunehmend durch KI statt durch den Ingenieur selbst erledigt werden. 

Doch Matthes macht deutlich, dass damit nicht das Ende der Ingenieurberufe eingeläutet ist: »Hohe Substituierbarkeitspotenziale bedeuten nicht, dass es die Berufe in Zukunft nicht mehr geben wird.« Vielmehr gehe es darum, die Arbeit von Ingenieuren effizienter zu gestalten und durch Automatisierung Zeit für komplexere, kreative Aufgaben zu gewinnen. Matthes schreibt, dass Ingenieure auch weiterhin unverzichtbar sein werden, da der Einsatz von KI die Einschätzung und Einordnung von Ingenieuren braucht, deren Wissen: »KI kann erst produktiv zum Einsatz gebracht werden, wenn sie mit fachspezifischen Kenntnissen zusammentrifft.«

Werden wir in Zukunft weniger Ingenieure brauchen?

Eine naheliegende Frage ist, ob der Bedarf an Ingenieuren in der Elektro- und Informationstechnik angesichts des großes Automatisierungspotenzials in der Ingenieursarbeit zurückgehen wird.

Matthes hat auch darauf eine klare Antwort: Nein. »Mit großer Wahrscheinlichkeit führt auch die Nutzung der Potenziale, die sich durch den Einsatz von KI in Wirtschaft und Gesellschaft ergeben, zu einer deutlichen Nachfragesteigerung in diesen Berufen.« Die Kombination aus demografischem Wandel, bei dem viele Ingenieure in den Ruhestand gehen, und der zunehmenden Digitalisierung führe zu einem wachsenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften.

Ingenieure, die die neuen Technologien beherrschen, werden also in der Lage sein, produktiver und effizienter zu arbeiten. Sie bleiben als Mensch unverzichtbar, weil erst dank ihrer Expertise KI-Anwendungen spezifischen Anforderungen angepasst werden können: »Es werden also Ingenieure der Elektro- und Informationstechnik gebraucht, die auch KI verstehen und einsetzen können.« 

Die Ingenieurberufe – vor allem der Elektro- und Informationstechnik – sind zudem eng mit der ökologischen Transformation verknüpft. Die Energiewende, der Ausbau von Wind- und Solarenergie, der Umstieg auf Elektromobilität sowie Smart Grids erfordern spezifisches Know-how. »Gut ausgebildete Ingenieure werden zusätzlich gebraucht, um ihr spezifisches Wissen bei der Erzeugung und Speicherung von Wind- und Solarenergie, aber auch beim Umstieg vom Verbrenner- zum Elektroantrieb einzusetzen«, argumentiert Matthes.

Automatisierung als Chance 

Gerade weil dank KI und Automatisierung potenziell viele Routineaufgaben wegfallen können, sieht Matthes darin eine Verbesserung für Ingenieure, indem sie sich auf anspruchsvollere Tätigkeiten konzentrieren könnten. Die Automatisierung etwa repetitiver Aufgaben eröffne ihnen neue Spielräume und mache somit die verbleibenden Aufgaben interessanter und weniger monoton. Sofern man es richtig angehe: »Ob bei einer Automatisierung nur noch einfache (und damit monotone) Arbeiten für den Menschen übrigbleiben […] oder die Arbeit des Menschen humaner wird, ist auch eine Frage der Mitbestimmung.«

Soft Skills werden wichtiger

Neben klassischen Fähigkeiten wie numerischem und räumlichem Denken, technischem Verständnis und elektrophysikalischem Wissen müssen Ingenieure in Zukunft also Kompetenzen im Umgang mit KI-Anwendungen entwickeln. Etwa um präzisere Prognosen für die Auslastung von Energienetzen zu treffen, wie auch Prof. Sebastian Lehnhoff, Professor für Energieinformatik an der Universität Oldenburg, den Einsatz von KI im Smart Grid beschreibt: »In der IT kann KI in vielen Anwendungsfeldern zur Automatisierung, Optimierung und Entscheidungsunterstützung eingesetzt werden. Dazu gehören die Erstellung präziser Prognosen zur Energieerzeugung, zum Verbrauch und zu Marktpreisen, Predictive Maintenance, der automatisierte Algorithmic-Trading-Energiehandel, Netzmanagement und -steuerung sowie Anwendungen im Kundenservice und für die Produktoptimierung.«

Gleichzeitig gewinnen laut Matthes kommunikative Fähigkeiten und Verhandlungsgeschick an Bedeutung, da immer mehr Projekte interdisziplinär und international ablaufen. Ingenieure müssen dadurch zunehmend in der Lage sein, sich mit Fachleuten aus anderen Bereichen abzustimmen und in verschiedenen Sprachen und Kulturen zu agieren. Dazu braucht es freilich als wesentliche Kompetenz Lernbereitschaft. Matthes betont, dass Ingenieure bereit sein müssen, sich kontinuierlich weiterzubilden und neue Technologien zu adaptieren. »Die Vorstellung, dass man mit Abschluss des Studiums ausgelernt hat, ist nicht mehr zeitgemäß.« Lebenslanges Lernen – oft als Floskel missbraucht – wird also zu einem zentralen Erfolgsfaktor in der schnelllebigen technologischen Welt.

Ob KI eine Bedrohung oder eine Chance für Berufe – und insbesondere den Ingenieurberuf – darstellt, ist dennoch eine zu Recht gestellte Frage. Für Dr. Britta Matthes überwiegt die Chance. Sie betont, dass KI zwar viele Aufgaben übernehmen kann, Ingenieure jedoch – Forschungsstand heute – unentbehrlich bleiben: »KI kann erst produktiv zum Einsatz gebracht werden, wenn sie mit fachspezifischen Kenntnissen zusammentrifft«, so Matthes. Die Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Maschinen schafft somit die Grundlage, innovativer und kreativer zu entwickeln. Die Zukunft der Ingenieurarbeit ist für die Forscherin entsprechend rosig: Trotz der hohen Automatisierungspotenziale bleibe die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften in der Elektro- und Informationstechnik hoch, sofern Ingenieure in der Lage und bereit sind, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen und ihre Kompetenzen im Umgang mit KI zu erweitern.

Automatisierung für kreativere und komplexere Aufgaben und weniger repetitive, langweiligere Tätigkeiten – künftige Ingenieure dürfen sich also weiterhin auf ein dynamisches und spannendes Arbeitsumfeld freuen. 


 


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