Wissensportfolio für Ingenieure

Wie man seine Karriere mit dem passenden Skillset fördert 

2. Oktober 2024, 15:07 Uhr | Corinne Schindlbeck
Prof. Dr. Thorsten Weiss, Hochschule Ravensburg-Weingarten Das Wissensportfolio ist auf Ingenieure ausgerichtet und bietet strukturierte Werkzeuge. Es ist eine Anleitung zum »Selbsttun«.
© RWU

Ein marktrelevantes Set aus Fach- und Soft Skills ist für Ingenieure wichtig, gerade angesichts des derzeit schwächelnden Arbeitsmarkts. Prof. Dr. Thorsten Weiss von der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) erklärt das »Wissensportfolio« – ein Werkzeug, das der Karriere helfen soll.  

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Markt&Technik: Herr Prof. Weiss, wie steht es um die Arbeitsmarkt-Chancen Ihrer Absolventen derzeit? 
Prof. Dr. Thorsten Weiss: Nur der Abschluss allein reicht nicht mehr, um mühelos den Wunschjob zu bekommen. Generalisten haben es meiner Beobachtung nach nicht mehr so leicht. Arbeitgeber suchen aktuell gezielt nach passenden Kandidaten für ihre konkreten Aufgabenstellungen, da die Einarbeitung in komplexe Themen sehr zeitaufwendig und teuer ist. Aber bisher sind alle untergekommen. 
Dabei wurde eine Ingenieurlücke gerade erst wieder vom Institut der Deutschen Wirtschaft mit Zahlen bekräftigt.
Natürlich gibt es einen Fachkräftemangel in der Technologie. Bei diesem Thema vertrete ich aber eine differenzierte Sichtweise: Lasst die Technologen ihre Arbeit machen und nervt sie nicht mit Verwaltungskram, dann wäre der Fachkräftemangel in vielen Teams mit Sicherheit gemildert! 
Ich spreche aus eigener Erfahrung. In unserer Firma Triple-A Soft und einigen anderen Teams wird ohne viel Ablenkung entwickelt. Die Orga ist gering, die Wege sind kurz, vieles ist automatisiert. Es ist faszinierend, zu sehen, wie viel Output da rauskommt – ohne sinnlose Excel-Listen oder Powerpoint-Projektstatusberichte. 
Wenn ich mir manche Ingenieurjobs anschaue und sehe, wie viel Zeit die Leute entwickeln und wie viel Zeit sie verwalten, dann muss die Frage erlaubt sein, ob wir wirklich einen Fachkräftemangel oder einen Verwaltungsüberhang haben. Wie wäre es, Nicht-Entwicklungs-Aufgaben an eine Assistenz zu geben und die Fachleute entsprechend zu entlasten? Vieles lässt sich auch automatisieren und mit geeigneten Tools leichter erledigen.

Warum sind Sie Professor und nicht Entwickler geworden?
Ich entwickle ja immer noch Software. Das hört bei mir vermutlich nie auf. Ein Grund, warum ich Professor geworden bin, waren einige in meinen Augen unpassende Lehrformen der damaligen Zeit und die Idee, Technik anders zu vermitteln, und ich mag die Arbeit mit Menschen. Wie gesagt, mein Studium war Ende der 90er mit Tafel und Mathevorlesungen, in denen man keine 5 Minuten folgen konnte, weil man die ganze Zeit schreiben musste. Es gab oft kein Skript. Undenkbar heute. 
Ich nutze heute moderne Lehrformen, die auch für Technik gut funktionieren und enorm Zeit sparen. Die Zeiten haben sich geändert, und wir finden jetzt viele gute, praxisnahe Vorlesungen vor, die auch zur direkten Employability führen. Das ist ja Aufgabe der Lehre an der Hochschule. An der Uni ist der Schwerpunkt viel mehr auf der Forschung gelegen und geht theoretisch viel tiefer. Deswegen finde ich es nach wie vor sehr gut, dass es beide Formen gibt. 

Sie plädieren dafür, dass Ingenieure das Steuerrad wieder selbst in die Hand nehmen müssen. Was meinen Sie damit?  
Wir haben derzeit massive Probleme im Land. Einige davon lassen sich mit Technologie lösen, andere natürlich nicht. 
Wir Technologen müssen uns klar machen, dass Lösungen von uns kommen müssen. Viele schimpfen über Führungspersonen und Politiker und verlangen von ihnen Lösungen. Die sind aber meistens selbst gar keine Ingenieure. Wir müssen also selbst innovative Ideen entwickeln, dafür einstehen und die Ideen dann auch nach außen bringen. Das braucht oft einen langen Atem. Es gibt ja auch zahlreiche Erfolgsstories.

Haben Sie Beispiele aus der Praxis, warum Ingenieure Wert auf Soft Skills legen sollten?
Diejenigen, die das passende Fachwissen und die passenden Soft Skills haben, sind sehr viel erfolgreicher. Das sehe ich an meinen ehemaligen Studenten.  Meine Ausbildung zum systemischen Coach und zahlreiche Weiterbildungen davor haben mir selbst gezeigt, wie wirkungsvoll diese Werkzeuge sind. Darum gebe ich einige davon in Vorlesungen schon im Studium weiter. 
Ein Beispiel: Viele Ingenieure verlieren Verbalattacken mit kommunikativ versierten Bereichen wie Einkauf und Vertrieb. Das tut mir immer weh, weil oft nicht mehr faktisch diskutiert wird und dann unter Umständen suboptimale Lösungen herauskommen. Daher ist es sinnvoll, mit verschiedenen Leuten auf verschiedenen Ebenen kommunizieren zu können. Darum habe ich die »Best of«-Werkzeuge zusammengetragen und im Laufe der Zeit viele weitere entwickelt – in den Alltag integrieren muss man es selbst. Es nur anzuhören, bringt nichts. 
Auf der anderen Seite gebe ich auch regelmäßig Workshops in den Bereichen Recruiting, Vertrieb und Management, wo ich Softwareentwicklung, Digitalisierung, Data-Science und KI mit sehr einfachen Worten erkläre und so die Begriffe entzaubere. Das fördert die Zusammenarbeit der BWL- und Technikbereiche. 

Sie sagen, die eigene Attraktivität für den Arbeitgeber, die Employability, könne man gezielt planen. Mit dem »Wissensportfolio«. 
Womit wird ein Ingenieur oder Informatiker denn wertschöpfend? Durch seine Kompetenzen – sein Skillset – und ganz wichtig durch deren Anwendung. Ist das Wissen nicht marktrelevant, dann bringt auch die Anwendung nichts. Wenn ich heute Spezialist für Dampfmaschinen bin, ist mein Markt recht klein. Top-Wissen ohne dessen Anwendung bringt auch nichts. Dann weiß man viel, macht aber nichts. Ein Technologe muss also sicherstellen, dass sein Wissen marktrelevant und unternehmensrelevant ist. Und es muss ständig angewandt werden. 
Das Ziel des Wissensportfolios ist es, dass die Leute ihr Steuerrad auch hinsichtlich ihrer Karriere selbst in der Hand nehmen. Viele halten sich für fremdbestimmt vom Management oder von Kollegen. So einige Fälle zeigten aber, dass man mehr Einfluss hat als zuerst gedacht. 
Das Wissensportfolio ist ein Werkzeugkasten, mit dem man selbst einen strukturierten Plan machen kann, welche Soft Skills und Fachkompetenzen in welcher Karrierephase sinnvoll sind. Man muss nicht alles auf einmal machen! Es entschleunigt ungemein, auszusortieren, was man jetzt gerade nicht lernen muss. Auch die Klassifizierung und Visualisierung des Wissens bringt so manchen Aha-Effekt und konnte ein enorm stressiges Berufsleben entschleunigen und die Karriere auf Spur bringen. 

Wie bekomme ich Zugang zum Tool?  
Ich habe Infos auf meiner Website, YouTube und LinkedIn. Ich werde allerdings jene enttäuschen, die erwarten, dass ich den Leuten sage, was sie machen sollen. Das Wissensportfolio ist eine Anleitung zum »Selbsttun«. Das gilt im Übrigen für alle meine Themen aus Kommunikation und persönlicher Weiterentwicklung. Ich zeige wirksame Vorgehensweisen, aber wenn die Leute selbst nichts umsetzen, verpufft das Wissen. Darum begleite ich die Leute einen Monat nach der Wissensvermittlung weiter, um eine Integration in den Alltag hinzubekommen.

Sie selbst würden E-Technik heute nicht mehr studieren, sagen Sie. Warum?
Ich würde heute Technische Informatik studieren, aber das ist eine persönliche Präferenz. In meinem E-Technik-Studium empfand ich vor allem das Grundstudium als etwas zäh. In Technischer Informatik hätte ich von Anfang an tieferes Softwarewissen und trotzdem Physik gehabt, wovon ich bis heute profitiere. Darum arbeite ich heute gerne in der Angewandten Informatik. 

Setzt denn das Ingenieur-Grundstudium heute allgemein zu sehr auf Grundlagentheorie?
Man braucht die Basics. Das Bachelorstudium ist sehr breit angelegt. Man hat die Gelegenheit, seine Interessen zu finden. Zu überladen finde ich es nicht. Wir arbeiten an der RWU regelmäßig intensiv an dem Portfolio, und das machen andere Hochschulen auch. Ich denke, dass es heute sehr breite, praxisnahe Angebote an den Hochschulen gibt. 

Inwieweit beeinflusst KI bereits die Ingenieurausbildung? 
Bei KI muss man zwei Felder unterscheiden. Es gibt jene, die sich mit der Entwicklung von KI-Algorithmen beschäftigen. Das ist fachlich anspruchsvoll. Dann gibt es die Anwendung der neuen KI-Tools wie LLMs und generative KI, die derzeit in aller Munde sind. Diese werden bei uns an der RWU bereits in die Lehre an vielen Stellen eingebaut. 
Lernen mit KI ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen kann man schnell Informationen bekommen, aber wenn diese nicht angewandt werden, verpufft es. Das gilt auch dann, wenn man sich Code generieren oder erklären lässt. Manche Studierenden meinten: »Ich konnte die Aufgabe nicht machen, ich habe bei ChatGPT und Google keine Lösung gefunden!« Solche Aussagen sind brandgefährlich, denn in der Industrie sind bei den speziellen Aufgaben meistens keine Lösungen im Netz zu finden. Zudem bekommt man bei KI-Tools keine Information, wie gut das Ergebnis ist. Darum muss dies durch fundiertes Fachwissen bewertet werden. Wenn das nicht da ist, wird auch mal blind Software zusammengenagelt, die am Ende enorme Probleme macht. Das tiefere Erlernen der Basics ersetzt derzeit keine KI. 

Wie lassen sich mehr junge Leute für das Studium begeistern?
Die Frage, wie wir mehr junge Leute für Technologie begeistern können, ist bei uns und allen MINT-Studiengängen ein Dauerthema. Wir machen hier tatsächlich schon viele Veranstaltungen und Events. Zudem haben wir hierzulande in der Technik immer noch wenig Studentinnen, obwohl diese das sehr gut können und ebenfalls top Projekte abliefern. 
Ingenieure arbeiten eher still im Hintergrund. Sie sind nicht so laut wie andere Berufe. Oder kennen Sie eine Soap über einen Technologen – abgesehen von Big Bang Theory, wo MINT-Leute nicht gerade gut wegkommen? Ingenieure und Informatiker sind ja in echt gar nicht so nerdy.
Ein Film über einen Arzt ist halt vermutlich dramaturgisch interessanter, als einen Ingenieur vor seinem Rechner oder an einem Prüfstand zu filmen, der gerade eine knifflige Aufgabe löst. Sprich: die Sichtbarkeit des Berufs ist einfach nicht so hoch. Auch das ist unserer aller Aufgabe. Die Informatik hat es da einen Tick leichter, dank Apps, KI, Digitalisierung, Arduino etc. und den Silicon-Valley-Startups und Unternehmen. 

(Interview: Corinne Schindlbeck)

 


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