Studium und Ingenieuralltag

Was KI mit Elektro- und Informationstechnik zu tun hat

2. Oktober 2024, 15:41 Uhr | Von Dr.-Ing. Michael Schanz, VDE
Dr.-Ing. Michael Schanz, VDE. Das VDE-Papier zu KI in der Elektrotechnik wird demnächst unter www.vde.com zu beziehen sein. 
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KI ist ein mächtiges Werkzeug, mit Grenzen. Wo die liegen und was das für Studierende und den Arbeitsalltag von Elektroingenieuren bedeutet, darüber haben sich verschiedene Hochschul-Experten in einem VDE-Papier Gedanken gemacht. 

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Der Autor erinnert sich an seinen ersten Arbeitstag 1989, als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme. Die Aufgabe wird erklärt: Es soll mit einer neuen Software ein System programmiert werden, welches in der Lage ist, Tausende von wild durcheinander formulierten Regeln sehr schnell auszuwerten. Dabei geht es um automatisierten Schaltungsentwurf bzw. die Auswahl von Schaltungsmodulen von Operationsverstärkern. Diese Software, die auf den fortschrittlichsten Unix-Workstations läuft, ist darüber hinaus auf Lernfähigkeit optimiert, ein erster Blick in die Zukunft. 

Nur wenige Schritte vom Büro entfernt arbeiteten damals zwei engagierte Elektroingenieure an der Entwicklung eines innovativen Neurochips, ein frühes Indiz dafür, dass die Konzepte der KI lange vor ihrer heutigen allgemeinen Verbreitung existierten. Diese ersten Erfahrungen mit KI-Technologien zeigten die Faszination, im Bereich Elektro- und Informationstechnik als Ingenieur tätig zu sein.

Die Grundlagen der KI wurden also bereits vor Jahrzehnten gelegt, doch ihre umfassendere Integration in die Lehrpläne der Elektro- und Informationstechnik sowie ihre umfängliche Anwendung finden erst in jüngerer Zeit statt. Ein Ziel dabei ist, jungen Menschen die zentrale Rolle der KI in Elektro- und Informationstechnik aufzuzeigen und für ein Studium der Elektro- und Informationstechnik zu begeistern. 

KI kann den Studienalltag erleichtern, doch Vorsicht gerade vor generativer KI. Gängige Produkte sind keine Logikmaschinen und können auch nicht gut mit Zahlen umgehen. Man kann aber durch geschickte Prompts die Qualität der Antworten verbessern. Bei komplizierteren Fragestellungen aber kommen LLMs an die Grenzen. In einem VDE-Papier mehrerer Autoren zur KI teilt Prof. Haja seinen Erkenntnis, dass die von ihm untersuchten KI-Modelle in ihrer aktuellen Form nur bedingt in der Lage sind, elektrotechnische Problemstellungen korrekt zu lösen. Selbst mit einer optimierten Fragestellung gelingt es keinem der Modelle, eine vollständig richtige Antwort z. B. bei einer Spannungsteileraufgabe zu generieren. Ob zukünftige große Sprachmodelle besser geeignet sein werden, elektrotechnische Aufgaben zu lösen, wird Prof. Haja weiter untersuchen und die Ergebnisse auf seiner Plattform www.fearlessengineers.de veröffentlichen.

Auch KI im Ingenieuralltag behandelt das Papier. Hier gibt es eine Reihe von KI-gestützten Werkzeugen, angefangen bei großen multimodalen Sprachmodellen (LLM) zur Textgenerierung bis hin zu Werkzeugen zur Bild- und Videogenerierung. Der umfangreiche E-Mail-Verkehr lässt sich von einer KI automatisiert filtern, sortieren, analysieren und zusammenfassen. Die Antwort auf eine Nachricht kann man mit einem Klick individualisiert generieren lassen. Dabei wird der Kontext der bisherigen Konversation mit dem Absender berücksichtigt. Bei Videokonferenzen kann die KI sich automatisch ein Transkript erstellen lassen und dieses mit Interessierten teilen oder für ein schriftliches Protokoll später nutzen. KI kann auch beim Programmieren assistieren, Präsentationen erstellen oder als Chatbot zur Informationsvermittlung eingesetzt werden. 

Aber Vorsicht: Das Autorenteam um Prof. Dr. Alexander Hanuschkin, Professor für KI an der Hochschule Karlsruhe, weist darauf hin, dass solche Werkzeuge nicht immer effizientes Arbeiten fördern. Bei einfachen Aufgaben zeigt sich in der Tat über viele Studien hinweg ein Anstieg der Produktivität, wobei Personen mit geringem Wissen und Erfahrung am meisten profitieren. Bei komplexen Aufgaben, die die Fähigkeiten der KI-Systeme übersteigen, verringern diese KI-Assistenzsysteme die Qualität der Arbeit.

Es gibt mittlerweile sogar KI-Tools, die unterstützen, sich durch den Dschungel wissenschaftlicher Veröffentlichungen (Konferenzen, Journals etc.) durchzuforsten und sich diese durch die KI erklären lassen. Das dürfte z. B. für eine Literaturrecherche hilfreich sein. Dr. Magdowski hat sich mit der Qualität eines solchen Tools intensiv befasst und kommt zu dem Schluss, dass es momentan wohl noch besser ist, die einschlägigen Veröffentlichungen einfach zu lesen, als auf die Stichhaltigkeit der Ergebnisse der KI zu vertrauen.
Anwendungen von KI-Methoden finden sich praktisch in allen Gebieten als Hilfsmittel bzw. Methodik der Elektro- und Informationstechnik wieder. Prof. Dr. Gerhard Rigoll von der TU München schreibt: »‚Maschinelles Lernen‘ und insbesondere ‚Deep Learning‘ […] sind zweifelsohne für die meisten elektrotechnischen Problemstellungen am besten geeignet und haben sich innerhalb der letzten ca. 10–12 Jahre auch wissenschaftlich […] deutlich durchgesetzt.« Im angekündigten Papier werden Beispiele aus Industrie 4.0, Electronic-Design-Automation, Nachrichtentechnik, Smart Home oder auch Energiewirtschaft zu finden sein.

Dr. Sebastian Lehnhoff, Professor für Energieinformatik an der Universität Oldenburg, zum Einsatz von KI im Smart Grid: »In der IT kann KI in vielen Anwendungsfeldern zur Automatisierung, Optimierung und Entscheidungsunterstützung eingesetzt werden. Dazu gehören die Erstellung präziser Prognosen zur Energieerzeugung, zum Verbrauch und zu Marktpreisen, Predictive Maintenance, der automatisierte Algorithmic-Trading-Energiehandel, Netzmanagement und -steuerung sowie Anwendungen im Kundenservice und für die Produktoptimierung.«
Daneben ist KI auch Forschungsgegenstand. Etwa wenn neuronale Architekturen in Hardware abgebildet werden sollen wie bei Neuromorphic Computing. Neurochips können enorm an elektrischer Leistung im Vergleich zu Mikroprozessoren in klassischer Von-Neumann-Architektur einsparen. Sie könnte auch eingesetzt werden zur Optimierung der Energieeffizienz oder beim Remote-Betrieb von Systemen, wenn nur eine kleine Batterie zur Verfügung steht. Elektroingenieure sind diejenigen, die dieses Thema vorantreiben. 

Im Jahr 2022 hat der VDE gemeinsam mit einer Gruppe von Uni-Professoren das Thema KI und insbesondere maschinelles Lernen offiziell als Forschungsgebiet bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Gebiet der Elektro- und Informationstechnik etabliert. KI hat nicht nur Berührungspunkte mit Elektro- und Informationstechnik, sie ist ein selbstverständlicher und integraler Bestandteil, eine Toolbox und ein Entwicklungsobjekt dieses Fachs. Wer E-Technik studiert und etwas mit KI machen will, der sollte hier gut aufgehoben sein. Das Papier ist beim VDE erhältlich.  


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