Prof. Benjamin Kormann ist Prodekan an der Fakultät für Elektro- und Informationstechnik der Hochschule München. Aus der Negativspirale aus schlechten Nachrichten rund um Fachkräftemangel und sinkende Studienanfängerzahlen müsse man endlich raus, sagt er. Und hat sein Fach in Teilen neu organisiert.
Markt&Technik: Herr Prof. Kormann, Sie kritisieren, dass wir zu sehr festhängen im Lamentieren, wenn es um den raren Nachwuchs in Elektrotechnik geht. Aber können wir diese Tatsache ignorieren?
Prof. Benjamin Kormann: Wir haben kein Analyseproblem, wir haben eine Umsetzungsaufgabe. Dass es durchaus auch Fortschritte gibt, wird bei der ganzen Diskussion um fehlenden Elektronik-Nachwuchs oft vergessen. Hier an der Hochschule München etwa haben wir seit anderthalb Jahren wieder ein zunehmendes Interesse an unserem Studienangebot. Das war auch schon mal anders.
Können Sie Beispiele nennen, warum Sie den Zustrom verbessern konnten?
Wir haben das Studienangebot erweitert, bspw. in Form einer neuen Vertiefungsrichtung und stärkerer Profilbildung im Studiengang: reformiert, praxisnäher gestaltet, wo nötig entzerrt und Trendthemen als Wahlfächer integriert. Außerdem entwerfen wir gegenwärtig einen neuen projektbasierten Studiengang mit mehr Wahlfächern und Aspekten der Internationalisierung wie bspw. englischen Lehrveranstaltungen. Hierbei ist uns auch die Verzahnung mit unserem Gründungsinstitut, dem SCE (Strascheg Center for Entrepreneurship) sehr wichtig, um den Gründungsgeist fest im neuen Studiengang zu verankern. Es ist leichter, etwas von Grund auf neu zu gestalten als Bestehendes zu verändern. Dazu haben wir uns deutschlandweit informiert und ausgetauscht, welche neuen Konzepte gut funktionieren, und uns Anregungen geholt. Zumal die »bestehenden« Studiengänge weiterhin weiterlaufen und iterativ angepasst werden, haben wir uns zur Integration der neuen Konzepte in einem Studiengang entschieden, um nicht am offenen Herzen operieren zu müssen. Wichtig war, keine Mogelpackung anzubieten. Es geht weiterhin um eine moderne Ausprägung der Elektro- und Informationstechnik.
Zuletzt hatten Sie an der Hochschule München eine – prüfungsrelevante, also benotete – »Projektvernissage« mit großem Erfolg durchgeführt. Was genau ist das?
Auf der Projektvernissage am 27. Juni (hier geht's zum Video) präsentierten ca. 150 Studierende unserer Fakultät ihre Projektergebnisse aus dem laufenden Semester. Dazu musste jedes Projektteam eine stellvertretende Person benennen, die die ca. 250 Teilnehmer in einem 60-Sekunden-Pitch von ihrem Projekt überzeugen musste. Begleitend dazu war maximal eine Folie erlaubt. Anschließend startete die Projektvernissage im Stile einer Messe, bei der jedes Team die Freiheit hatte, seinen Stand individuell zu gestalten. Ziel ist es zum einen, dass die Arbeit der Studierenden sichtbarer wird, wertgeschätzt wird, eine lebendige Fakultät zeigt. Zum anderen, dass sie wichtige Soft Skills lernen. Wir hatten Personen der Fakultät sowie der gesamten Hochschule eingeladen, darunter auch Schulklassen und Projektpartner, um das Interesse am Studiengang zu fördern. Die Resonanz war überwältigend positiv! Die Veranstaltung hat gezeigt, dass unsere Studierenden kreative und technisch anspruchsvolle Lösungen entwickeln und präsentieren können. An jedem Stand gab es funktionsfähige technische Systeme zum Anfassen und Be-greifen.
Wie gehen Sie mit heimlichen KI-Helfern wie ChatGPT um? Mussten Sie dadurch auch Prüfungskriterien umstrukturieren?
Die Frage »Was ist Kernkompetenz, wo dürfen wir Hilfe zulassen« ist eine so komplexe wie wichtige Diskussion. Während der Corona-Pandemie haben wir an der Fakultät alternative Prüfungsformen in unseren Prüfungskatalog aufgenommen. Die schriftlichen Ausarbeitungen wie Modul- oder Bachelorarbeiten werden nun auch zusätzlich durch einen fachwissenschaftlichen Vortrag ergänzt – um sicherzustellen, dass die Arbeiten tatsächlich von den Studierenden stammen. Wir befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen traditionellem Wissen, Wissensabfrage und den neuen Möglichkeiten durch KI. Es geht klar zu projektbasierten Studienansätzen, um Präsentation und Zusammenarbeit und weniger um reine Abfrage. Das macht nicht zuletzt auch von Beginn an deutlich mehr Spaß, da auch die Anwendungsmöglichkeiten der Theorie gleich offensichtlich werden! Die klassischen Ingenieursdisziplinen müssen sich anpassen, um weiterhin ein attraktives Studienangebot anbieten zu können. Das beginnt mit der Bereitschaft zur Veränderung.
Hat KI auch Einfluss auf die Entwicklung neuer Studiengänge?
Unbestritten ist, dass klassische Elektrotechnik-Themen weiterhin wichtig und gefragt sind, die Elektro- und Informationstechnik sich jedoch inhaltlich weiterentwickelt hat. Die Themen wie bspw. künstliche Intelligenz oder autonomes Fahren müssen somit auch Einzug in das Studienangebot einer modernen Elektro- und Informationstechnik finden. Jeder Mensch vom Fach erkennt sofort, dass es Deutschland hier zuvorderst also mit einem Image-Problem zu tun haben, denn die Elektrotechnik ist hier ja überall als wesentlicher Bestandteil enthalten. Aber es ist oft einfacher, etwas von Grund auf neu zu entwickeln, als bestehende Strukturen zu verändern – das macht uns die Industrie ja auch vor. Unternehmen lagern häufig Transformationsrisiken aus, indem sie neue Tochtergesellschaften oder gleich »auf der grünen Wiese« gründen. Ähnlich haben wir eine neue, projektbasierte Studiengangsform geschaffen, um innovative Studiengangsmodelle zu realisieren, ohne die bestehenden Programme zu gefährden.
Wie ist die Resonanz der Unternehmen auf die neuen, praxisnahen Ansätze?
Sie begrüßen das, wünschen sich aber auch noch mehr methodische Kompetenzen wie Teamarbeit oder Projektmanagement in den klassischen Lehrveranstaltungen. Deswegen werden wir neben den fachlichen Inhalten in Lehrveranstaltungen und Projekten auch eine »Säule« für Sozial- und Methodenkompetenz integrieren.
Wie etwa die Projektvernissage?
Genau. Wir gehen in kleinen Schritten und bauen nach und nach aus. Etwa möchten wir die Veranstaltung noch stärker für Schulklassen öffnen. Wir sind uns sicher, dass wir damit wesentlich dazu beitragen, das Bild der Elektrotechnik im Handwerk im Vergleich zur akademischen Elektrotechnik im Ingenieurwesen zu korrigieren. Wir sind eine moderne, innovative Disziplin, die spannende und praxisnahe, relevante Projekte bietet. Wir müssen weg vom alten, verstaubten Image. Das gelingt nur durch Anpassung an die Themen der Zeit und eine zielgruppengerechte Ansprache.
Was planen Sie als Nächstes?
Wir wollen regelmäßig Videos produzieren und Kommunikationskanäle wie Instagram und YouTube stärker nutzen, um auch die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Dazu werden wir auch eine Kommunikationsstelle an unserer Fakultät schaffen, die die zielgruppenspezifische Ansprache unserer Disziplin verantwortet. Auch eine Webseite, auf der die Projekte der Studierenden der Projektvernissage vorgestellt werden, ist in Arbeit. Wir sind zuversichtlich, auf dem richtigen Weg zu sein.