Prof. Dr.-Ing. Thorsten Weiß von der Hochschule Ravensburg-Weingarten rät Ingenieuren neben Fachexpertise zu Soft Skills und rechtzeitiger Weiterbildung. In Verbindung mit soliden Grundlagen könne die KI dann an vielen Stellen im Arbeitsalltag helfen, produktiver zu arbeiten.
Markt&Technik: Herr Prof. Weiß, wie ist aktuell der Stand für Absolventen der E-Technik und Softwareentwicklung am Arbeitsmarkt – und welche Rolle spielt KI dabei?
Prof. Dr.-Ing. Thorsten Weiß: Vor zwei Jahren war die Lage einfach: Jeder Absolvent fand einen Job – jeder kam schnell unter. Heute achten die Unternehmen viel stärker auf Passung und Qualität. Sie wählen ihre Kandidaten sorgfältiger aus als noch vor einiger Zeit. Zudem drängen viele erfahrene Seniors aus dem Automotive-Sektor zusätzlich auf den Markt, dazu mit viel Praxiserfahrung.
Für Nachwuchsingenieure heißt das: Wer gute Projekte vorweisen kann, Praxis als Werkstudent gesammelt und solide Kompetenzen aufgebaut hat, ist nach wie vor gefragt,die Zahl der Optionen ist allerdings geringer.
Manche befürchten, dass Junior-Entwickler durch KI ersetzt würden.
Das halte ich für eine seltsame Aussage. Was ich bestätigen kann: In der Informatik hilft KI bei der Ersterstellung einzelner Funktionen. Unternehmen berichten von Zeiteinsparungen von bis zu einem Drittel – je nach Aufgabe mehr oder weniger. Bei Änderungen an komplexer Software sind die Vorteile kleiner. Klar ist: Programmieren ist nur ein Teil der Softwareentwicklung. Organisation und Kundenabstimmung lassen sich durch KI kaum beschleunigen. In meinen Augen werden hierdurch keine Juniors ersetzt. Das Thema ist eher, dass Unternehmen wissen, dass es Zeit und Geld kostet, Mitarbeiter zu entwickeln und hier wird genauer überlegt, da weniger Mittel zur Verfügung sind.
In der Elektrotechnik ist der Nutzen bislang begrenzt. Bei hardwarenaher Programmierung, etwa mit Mikrocontrollern, waren KI-Ergebnisse in einer Bachelorarbeit, in der wir das untersucht haben, nicht zufriedenstellend – der Code hätte im Gerät bei näherer Betrachtung zu Problemen geführt. Auch in der Schaltungsentwicklung sind mir keine Tools bekannt, die tiefes Fachwissen und vor allem Erfahrung ersetzen könnten. In Verbindung mit soliden Grundlagen kann die KI aber trotzdem an vielen Stellen im Arbeitsalltag helfen, um produktiver zu arbeiten.
Welche Kompetenzen werden für Elektroingenieure in den nächsten fünf bis zehn Jahren unter dem Einfluss von KI unverzichtbar sein?
Entscheidend ist ein offener Umgang mit neuen Tools: Ich empfehle genau zu prüfen, was die neuen Werkzeuge können und die Grenzen herauszufinden und nicht vorschnell abzuwinken. Ersetzt ein Tool tatsächlich eine Kernkompetenz, sollte man sich fachlich rechtzeitig neu aufstellen. Beispiel: Wenn Platinenrouten wirklich zuverlässig automatisiert würde, wäre es klug, sich andere Schwerpunkte zu suchen.
Wichtig sind zudem Soft Skills. Seit 20 Jahren beschäftige ich mich damit und sehe ihren Effekt jeden Tag: Projekte laufen besser, wenn Kommunikation und Zusammenarbeit funktionieren. Gerade in internationalen Teams und in der Zusammenarbeit mit Partnerfirmen ist das entscheidend. Beim Reden passiert technisch gesprochen viel „Codierung und Encodierung“ – und dabei geht oft etwas schief. Wer hier besser wird, erreicht mehr als durch so manche technischen Tools. Multikulturelles Training kann den Effekt zusätzlich verstärken.
Wichtig ist auch Selbstreflexion. Sie verbessert nicht nur die Zusammenarbeit im Team, sondern stärkt auch das private Umfeld. Das wiederum sorgt für mehr Stabilität und Leistungsfähigkeit im Beruf. In meinen Podcast-Folgen spreche ich regelmäßig darüber, wie man sein Skillset planen und die richtigen Softskill-Themen auswählen kann, die wirklich wirken.
Wie verändert KI den Arbeitsalltag von Ingenieuren – eher als Werkzeug zur Unterstützung oder als Treiber neuer Aufgabenfelder?
KI wird Ingenieure unterstützen, nicht ersetzen. Heutige Modelle, die man an manchen Stellen findet, bei denen inländische Teams nur Tickets für Offshore-Kollegen schreiben, sind ineffizient. Viel produktiver sind Teams, die selbst Hand anlegen, fachlich stark sind und KI gezielt einsetzen. Ich gehe davon aus, dass Unternehmen künftig wieder mehr Themen zurück ins eigene Haus holen und eben mit KI effizienter lösen können. Dafür müssen die Mitarbeiter ihre Kompetenzenaktuell halten und sich rechtzeitig weiterbilden.
Wie können Ingenieure sicherstellen, dass sie nicht den Anschluss verlieren?
Es ist der Türöffner - oder, wenn man es nicht macht, der Showstopper. Leider gibt es viele Leute, die mehr über ihren Grill oder die Bundesliga wissen als über Entwicklungen in ihrem Fachgebiet. Wir brauchen ein anderes Mindset. Weiterbildung muss kontinuierlich erfolgen, vom Unternehmen anerkannt und belohnt werden und sie muss unternehmens- und marktrelevant sein, also direkt zum Erfolg beitragen.
Klassische Fachseminare halte ich für überholt. Wirksam ist ein mehrstufiges Modell: Zuerst klären, welchen Nutzen ein Thema fürs Unternehmen hat. Danach die Konzepte an der realen Problemstellung vermitteln. In der Nacharbeit kann KI helfen, offene Fragen schnell zu beantworten. Dieses Vorgehen habe ich beispielsweise in einem Schulungsthema im Bereich Einführung einer neuen Softwarearchitektur umgesetzt, was sehr gut funktioniert hat.
Muss man künftig bei der Arbeitgeberwahl darauf achten, dass Weiterbildung möglich und gefördert wird?
Ja, aber anders als bisher. Weiterbildung sollte fokussiert sein, moderne Methoden nutzen und durch KI ergänzt werden.
Meine Meinung ist, dass die Initiative und die Themenauswahl von den Ingenieuren selbst kommen sollte. Sie brauchen dazu eine Art Business-Blick undwählen so die relevanten Themen selbst aus. Das Unternehmen kann das unterstützen. „Das interessiert mich mal!“ reicht nicht. Es muss für das Geschäft bzw. Projekt relevant sein. Hier gibt es häufig Lösungen, die kostengünstig sind. Und ich rede nicht von Videokursen, die nur zu 10% angeschaut werden. Hier gibt es bessere Ansätze. Das Geld sitzt nicht mehr so locker für diese Felder, also muss es schlauer gemacht werden.
Ein Blick ins Bewerbungsgespräch verrät viel: Wenn Aussagen fallen wie „Hier läuft das so!“ und „Weiterbildung? Ja da haben wir eine Powerpoint Schulung“, „Ja, wir haben einen Udemy Account“, dann ist das ein Hinweis, dass Innovation und Weiterbildung vielleicht nicht zu den großen Werten der Firma gehören.
Kennen Sie aktuelle Beispiele, wo durch KI Kreativität und Innovation sichtbar in die Ingenieursarbeit eingebracht wird?
Ein Beispiel aus unserem Studiengang Mediendesign: Studierende schaffen heute in einer Bachelorarbeit Ergebnisse, die ohne KI in dieser Zeit unmöglich wären. Auch technische Projekte in der Informatik profitieren, zum Beispiel beim Erlernen neuer technischer Konzepte. Die KI-Code-Generierung kann die Prototypenphase extrem beschleunigen und extrem viel nervige Arbeit wie Dokumentation etc. abnehmen. Es gibt tatsächlich mehr Beispiele, als hier Platz zur Verfügung steht. Ich schreibe öfters darüber auf LinkedIn.
Ich beobachte folgendes: So einige Leute sind heutzutage sehr aktiv bei der Entwicklung neuer Ansätze: Sie haben eine klare Vision, steuern aktiv und nutzen alle verfügbaren Tools und Ressourcen: KI, Communities, Outsourcing-Dienste, Kollegen. Dann gibt es die Gruppe der reaktiven Leute, die eher „Arbeitsempfänger“ sind. Jede Firma muss entscheiden, wen sie haben will und jeder Technologe muss entscheiden, wo er stehen will. Es ist ja alles erlernbar. Wenn ein Unternehmen mit den Aktiven umgehen kann - was seitens Führung anstrengend sein kann - geht’s aber schnell nach vorne.