Gero F. bezweifelt die angebliche Ingenieurlücke:
Ich bin Elektrotechnikingenieur mit 7 Jahren Berufserfahrung (Embedded Software, Hardwareentwicklung, Führungserfahrung, Projektleitererfahrung) und schließe in einem Semester mein MBA-Studium ab. Da das Unternehmen, bei dem ich momentan noch angestellt bin, seit einem Jahr in finanzieller Schieflage ist und demnächst Insolvenz anmelden muss, bin ich seit ca. März 2009 auf Jobsuche.
Bisher schenkte ich als VDE-Mitglied den in jeder Ausgabe der VDE-Zeitschrift wiederkehrenden Aussagen zum Ingenieurmangel viel Glauben. Nach der einjährigen mühsamen Suche im bayerischen/süddeutschen Raum bin jedoch gänzlich anderer Meinung. Selbst nach 30 Bewerbungen (keine Initiativbewerbungen sondern individuelle Bewerbungen mit guter Passung auf die Anforderungsprofile) hatte ich bisher nur 3 Bewerbungsgespräche. Die Stellenausschreibungen großer Konzerne sind meiner Erfahrung nach meistens Fakeausschreibungen. Eine Freundin (Wirtschaftsingenieurin) bekam von *** trotz optimaler Passung auf das Profil nach 10 Minuten (!) eine Absage. Sie rief sofort entrüstet an und der Personalmitarbeiterin rutschte heraus, dass die Stelle gar nicht zu besetzen sei. Ein Personalchef von *** sagte mir nach meinem Bewerbungsgespräch, er habe von Dezember bis Ende März keinen einzigen Ingenieur eingestellt. Eine Neueinstellung sei schwierig intern zu rechtfertigen, daher die sehr hohen Anforderungen an die Bewerber (weshalb auch ich durch das Raster bei *** fiel).
Vielleicht sind diese vom Betriebsrat auferlegten Hürden auch der Grund für die nach meinem Eindruck ständig wachsende Zahl an Ingenieuren, die per Arbeitnehmerüberlassung versuchen einen Job zu ergattern. Ein Niederlassungsleiter von Brunel erzählte mir im Bewerbungsgespräch, dass er zukünftig von starkem Wachstum seines Unternehmens ausgehe.
Mit Sicherheit gehört es einfach zum Image eines Konzerns, ständig viele offene Stellen zu präsentieren. Ich befürchte, dass bei der Erhebung der offenen Stellen auf diese »offiziellen« Zahlen zurückgegriffen wird und deshalb die Statistiken sehr verzerrt sind. Nirgendwo konnte ich bisher nachlesen, wie denn diese Zahlen erhoben werden!? Dadurch dass ich durch das MBA-Studium mit vielen Ingenieuren in Kontakt stehe, die sich aktuell beruflich verändern wollen, zeichnet sich ein Gesamtbild, dass nicht mit dem ständig propagierten »Ingenieurmangel« übereinstimmt.
Ein weiteres Problem sehe ich bei den Entscheidungsträgern im Personalbereich und im Fachbereich. Die Spezialisierung nimmt unter den Ingenieuren weiter zu und macht es schwieriger zu entscheiden, ob der Kandidat geeignet ist oder nicht. Es ist viel fachliche Erfahrung im Personalgespräch notwendig um herauszufinden, ob der Bewerber geeignet ist!
Für viel wichtiger als die Passung auf den ersten Blick halte ich Bewerbereigenschaften wie ständige Lernbereitschaft, ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstkritik, übergreifendes Denken und einen breiten fachübergreifenden Erfahrungsschatz. Diese zu erkennen und die Entscheidung für einen Bewerber intern zu vertreten, erfordert seitens der Entscheidungsträger jedoch einiges an Kompetenz. Nicht gerade leichter macht es die Tatsache, dass das »sich verkaufen können« eine Fähigkeit ist, die viele Bewerber heutzutage sehr gut beherrschen.
Wenn ich auf alle Bewerbungsgespräche, die ich in meinem Berufsleben hatte, zurückblicke, gibt es sehr wenige Entscheider die gut vorbereitet in das Bewerbungsgespräch gingen. Ich verstehe das nicht, schließlich kauft man etwas ein, was das Unternehmen jedes Jahr ca. 100.000 Euro kostet.