Leser Udo P.: »Ich bin auch einer, der dieses Gejammer der Industrie nicht mehr hören oder lesen kann.«
Ich bin 51 und über 15 Jahren als Freiberufler tätig. Seit etwa 1 1/2 Jahren bewerbe ich mich immer wieder mal auf Stellen, für die ich sogar meine Selbstständigkeit aufgeben würde. Wenn man die Anforderungen hernimmt, die an einen Bewerber gestellt werden und diese mit den Gehaltsvorstellungen vergleicht, wird man ganz schnell feststellen, dass die Vorstellungen der Industrie sich sehr stark von den Forderungen unterscheiden. Man muss nicht mal überzogene Gehaltsvorstellungen haben, wie im Artikel "Fachkräftemangel: Sind die Zahlen übertrieben?" geschrieben.
Ich hatte mich auf eine Stelle "Softwareentwicklung Flugsimulator" in Aachen beworben, bei der "C/C++, FORTRAN und Ada, sowie mehrjährige Berufserfahrung in Design, Programmierung und Test von Software" gefordert ist. Dort war ich mit meiner Vorstellung von 60.000 Mark (!)
Jahresgehalt "weit über den Vorstellungen" des Arbeitgebers hinaus. Ich denke mal, wenn man Personal mit Wissen haben möchte, muss man auch dafür bezahlen, dass die Person sich dieses Wissen angeeignet hat. Als Selbstständiger muss ich mir mein Wissen selber erarbeiten und meine Seminare selber bezahlen. Da hat mir kein Arbeit- oder Auftraggeber geholfen.
Aus meinen Erfahrungen ist der beste Arbeitnehmer für eine Firma der, der
- 30 Jahre Berufserfahrung hat,
- 25 Jahre internationale Erfahrung in verschiedenen Großunternehmen
gesammelt hat,
- das Studium in 2 Jahren mit der Jahrgangsbestnote absolviert hat,
- 5 Muttersprachen spricht
- und höchstens 22 Jahre alt ist.
Ich stimme da eher der Meinung der "Interessengemeinschaft der Ingenieure" aus dem genannten Bericht zu, dass dieses Gejammer eher dazu dient, Gehälter drücken zu können, als der Tatsache, dass es an Ingenieuren fehlt.
Das sind zumindest meine eigenen Erfahrungen. Da ich mir eine Stelle aussuchen kann, die mir gefällt und zusagt, weil ich ja noch weiterhin als Freiberufler mein Einkommen habe, kann ich eher mal nein sagen. Ich stelle mir es schlimmer für die Leute vor, die nach dem Studium auf der Suche sind und ständig vom Ingenieurmangel hören und lesen und auf der anderen Seite ständig die Absagen ins Haus flattern. Sowohl Ingenieure als auch Firmen müßen lernen, dass es nur mit Gegenseitigkeit gehen kann. Für Wissen muss gezahlt werden und für gute Bezahlung muss ich auch entsprechend gute Arbeit leisten.