Einen signifikanten Anstieg des Book-to-Bill-Verhältnisses (Book-to-Bill Ratio) in Asien stellt Johann Weber fest, Vorstandsvorsitzender von Zollner Elektronik. In Europa sei dies noch nicht erkennbar. »Aktuell ist die Versorgungssituation zum größten Teil gegeben«, meint Weber. »Die Lieferzeiten sind 2019 ständig gefallen, aber in den letzten vier bis fünf Monaten ist nur noch eine Seitwärtsbewegung zu beobachten und es sieht so aus, als ob sich Ende 2020, Anfang 2021 die Verfügbarkeit wieder verschlechtern könnte.« Neben passiven Bauteilen legt Weber das Augenmerk auch auf diskrete Komponenten – speziell bei Power-Bauteilen wie MOSFETs. Durch den Bedarf der Elektromobilität und den Kapazitätsabbau bei Herstellern könne es in diesem Bereich eng werden.
Michael Geirhos, Leiter Materialgruppeneinkauf von BMK, bezeichnet die Verfügbarkeitslage als »täuschend ruhig«, auch wenn es seinen Worten zufolge derzeit nur wenige Störfaktoren in puncto Verfügbarkeit gebe. »Während in Europa bei vielen noch die Lager voll sind, ziehen bei den Bauteilherstellern die Lieferzeiten und auch die Preise schon wieder an. Uns wurde mitgeteilt, dass das Personal in den asiatischen Fabriken teilweise bis zu 30 Prozent abgebaut wurde, wodurch die gestiegenen Bedarfe mit reduziertem Personal schwer zu stemmen sind. Wenn die Lager in Europa wieder abgebaut sind und neue Bestellungen platziert werden, kann dies die Lieferzeiten noch einmal nach oben puschen und die neu bestellten Bedarfe müssen sich erst einmal hinten anstellen«, gibt Geirhos zu bedenken.
Europa muss sich hinten anstellen
Die Berichte der großen EMS aus der Markt&Technik-Umfrage: Zollner, Neways und BMK deuten auf den Kern des Problems hin – die Nachfrage in Asien beeinflusst maßgeblich die weltweite Supply Chain. Große OEMs aus China, auch den USA, dominieren die Nachfrage nach Halbleitern und passiven Bauteilen. So berichten große EMS-Firmen beispielsweise davon, dass in Allokationszeiten bei verschiedenen Herstellern die Mengen nach Regionen aufgeteilt werden und dabei stehe Europa längst nicht an erster Stelle. Der Knackpunkt einer immer wiederkehrenden Verknappung liegt demnach am Gesamtsystem. Europas KMU haben wenig Möglichkeiten, am großen Rad mitzudrehen. Sie können der Situation oft nur reaktiv begegnen. Eine Ausnahme bildet die europäische Automobilindustrie (noch).
Verknappung – die neue Normalität
»Leider sind die guten Lieferzeiten wie 2016 nicht wieder erreicht worden«, stellt Johann Weber fest. Und das dürfte sich auch in Zukunft nicht ändern. Das Management von komplexen und störanfälligen Lieferketten gehört für die Elektronikproduzenten dementsprechend inzwischen zum Alltag. »Wir haben immer wieder Bauteile, die z.B. aufgrund ihrer Technologie oder des komplexen Herstellungsprozesses als kritisch eingestuft werden müssen. Da ist es wichtig, auf Projektebene logistische Maßnahmen zu definieren, damit ein ungestörter Serienablauf gewährleistet ist«, unterstreicht Geirhos. Und Aufmerksamkeit und äußerste Sensibilität bei der Marktbeobachtung sowie eine enge Abstimmung mit dem Kunden in der Auftragsplanung sei schließlich für einen verantworungsbewussten EMS immer geboten, unterstreichen die EMS-Firmen einhellig.
Daneben nennt Michael Velmeden auch Multiple Sourcing in BOMs und die Qualifizierung von qualitativ hochwertigen New-Entry-Herstellern als Maßnahmen gegen Verfügbarkeitsengpässe. Des Weiteren empfehlen die befragten EMS-Firmen, unbedingt auf das EOL-Management (EOL: End of Life) der Komponenten zu achten und wo möglich eine Second oder sogar Third Source zu qualifzieren. »Gemeinsam mit unseren Kunden finden wir aber auch Alternativen oder unterstützen beim Downsizing. Das bedeutet, dass wir das kleinste verfügbare Teil aus der Produktpalette unserer Hersteller verwenden«, erläutert Eric Stodel. Auf die Notwendigkeit von Sicherheitslagern für besonders kritische Bauteile wie MLCCs weist indes Johann Weber hin: »Dies ist notwendig, um Schwankungen ausgleichen zu können.«
Auch den direkten Herstellerkontakt nennen einige größere EMS als Mittel der Wahl, um Probleme in der Lieferkette zu vermeiden. EMS aus dem KMU-Umfeld stoßen bei der Direktansprache von Herstellern allerdings an ihre Grenzen, weiß etwa Michael Velmeden.
Insgesamt scheint sich die Branche inzwischen an die Ups and Downs – sprich: Schweinezyklen – der Verfügbarkeit gewöhnt zu haben und reagiert besonnen auf eine unter Umständen mögliche neuerliche Verknappung Ende des Jahres. Denn solche Situationen dürften künftig eher die Regel als die Ausnahme sein.