Großer Andrang, ein erfolgreiches Plugfest, praxisnahe Workshops und zahlreiche Expertenvorträge – der (inzwischen neunte) Automotive Ethernet Congress hat sich als beliebter Branchentreff etabliert.
Für einen technischen Kongress wählte Thomas Königseder (Technica Engineering) am Ende seiner Keynote eher ungewöhnliche Worte: »We are family.« Dabei sprengte der diesjährige Automotive Ethernet Congress (AEC) mit deutlich mehr als 1000 Teilnehmern allein schon von der Größe her den Rahmen eines üblichen Familientreffens. Zudem sind viele der dort vertretenen Unternehmen häufig in erster Linie Wettbewerber. Doch für Königseder, der vor gut 15 Jahren in seiner damaligen Position bei BMW maßgeblich zur Einführung von Automotive Ethernet beigetragen hat, hängt der Erfolg dieser Technologie ganz wesentlich mit der Bildung von strategischen Allianzen und der Kultivierung eines gemeinsamen Ökosystems zusammen – ein quasi familiärer Zusammenhalt also. Allerdings mit einem klaren wirtschaftlichen Ziel: Durch den konsequenten Einsatz von Standards proprietäre Ansätze und die damit einhergehende unnötige Komplexität zu vermeiden.
Dass er mit dieser Sichtweise nicht allein dasteht, zeigte sich direkt im Anschluss bei der zweiten Keynote von Thomas Alferink (John Deere). Der weltweit größte Landmaschinenhersteller setzt ebenfalls auf Automotive Ethernet, u. a. für die Anbindung von bis zu 20 Kameras bei intelligenten Pflanzenschutz-Sprühmaschinen, die zwischen Unkraut und Nutzpflanzen unterscheiden können. Alferink plädierte für eine »Across Domain Collaboration«, also die gemeinsame Entwicklung von sowohl im Agrar- als auch Automotive-Bereich nutzbaren Komponenten sowie die Berücksichtigung spezieller landwirtschaftlicher Use-Cases bei zukünftigen Technologien. Mit anderen Worten: »Wir wollen auch zur Familie gehören.«
Inhaltlich ging es beim AEC allerdings weiterhin vor allem um die technischen Herausforderungen beim Einsatz von Automotive Ethernet. So wies etwa Königseder auf die ambivalente Rolle von Time-Sensitive Networking hin: »TSN stellt zwar sehr viele Werkzeuge für zeitkritische Anwendungen bereit, doch es ist nicht einfach, die jeweils am besten geeigneten Tools zu finden und richtig einzusetzen.« Der AEC wurde deshalb erstmals um ein spezielles TSN-Training am Vortag ergänzt. Mit Lars Völker, Stefan Lachner (beide Technica) und Max Turner (Ethernovia) vermittelten gleich drei ausgewiesene TSN-Experten, was man für den praktischen Einsatz der wichtigsten Tools u. a. zum Shaping, zur Stream-Identification und zum Policing wissen sollte.
Ein anderes Thema, dessen Bedeutung von Jahr zu Jahr wächst, ist die Datensicherheit. Gerade für höhere Geschwindigkeiten im Bereich von 10 Gbit/s bietet sich das MACsec-Verfahren (Media-Access-Control Security) an. Für den Einsatz im Automotive-Bereich sind allerdings einige Anpassungen erforderlich, insbesondere bei der Schlüsselaushandlung (MACsec Key-Agreement, MKA), die in der »Normalversion« bis zu 6 Sekunden und damit viel zu lang dauern kann.
Den Anstoß für die Gründung eines Technical Committee (TC17) innerhalb der OPEN Alliance zur Erstellung eines eigenen Automotive-Profils für MACsec habe der Automotive Ethernet Congress im vergangenen Jahr gegeben, berichtete Oliver Creighton (BMW). Und John Moore (Ford) ergänzte: »Die Arbeitsgruppe ist fantastisch, ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell vorankommen.«
So konnte bereits auf dem diesjährigen AEC ein MACsec-Plugfest durchgeführt werden, an dem sich Keysight, Technica, TI, NXP, Broadcom und Marvell beteiligten. Mit großem Erfolg: In vier Testrunden erwiesen sich die Produkte aller Hersteller als kompatibel untereinander – und das trotz des noch sehr frühen Entwicklungsstadiums. In der Timeline des TC17 werden erste Engineering-Samples auf Basis des offiziellen Automotive-Profils von MACsec für Ende 2025 erwartet, finale Samples 2027 und ein erster Einsatz in Serienfahrzeugen (SOP) für 2029. Allerdings wurde auch nicht ausgeschlossen, dass OEM-spezifische MACsec-Versionen bereits deutlich früher zum Einsatz kommen könnten. Wie ausgereift die Technik schon ist, hat das Plugfest ja gerade erst bewiesen.
Für Hochgeschwindigkeitsnetze, etwa zur Anbindung von Kameras, stehen aktuell unterschiedliche Technologien zur Verfügung. Kirsten Matheus und Christoph Gollub (beide BMW) verglichen in einer direkten Gegenüberstellung die Eigenschaften von Ethernet (IEEE 802.3ch/cy/cz) und der ASA-ML-Technik der Automotive SerDes Alliance.
Fazit: Beide erfüllen die Anforderungen eines im Fahrzeug integrierten Video-Netzwerks. Zudem zeigte BMW in der begleitenden Ausstellung mit einem Proof of Concept, wie sich die Techniken im praktischen Einsatz nutzen lassen. Konkret wurden dafür mehrere Kameras und Displays mit ASA-Motion-Link-Technologie und IEEE-802.3ch-Ethernet über einen Ethernet-Backbone verbunden. Für die ASA-Motion-Link-Kommunikation kamen sowohl Shielded Twisted Pair (STP) als auch Koaxialkabel zum Einsatz. Die verwendete Hardware für den ASA-Motion-Link stammt von Aviva und VSI; Broadcom und Microchip steuerten die IEEE-802.3-Produkte bei.
In weiteren Vorträgen ging es auf dem AEC darüber hinaus auch um die Themenfelder Fahrzeugarchitektur, Test & Tools, TSN sowie Middleware/Software für Automotive-Ethernet-Anwendungen – hier herrschte erwartungsgemäß eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Doch in den Pausen und erst recht beim entspannten und geselligen Get-Together am Abend des ersten Veranstaltungstags fühlte sich der Automotive Ethernet Congress tatsächlich wie ein großes Familientreffen an. Weitere Impressionen vom AEC 2023 sind hier zu finden.