Diese Überlegung führt zu einer weiteren Messmethode aus der Welt der Mikrowellen, die für Digitalkommunikation immer wichtiger wird: Es ist wesentlich, dass man bestimmen kann, wie ein Signal vom Sender über den Kanal zum Empfänger läuft und ob ein Signal am Empfänger in die Gegenrichtung reflektiert wird. Hat der Übertragungskanal eine Impedanz von 50 Ω, der Empfänger aber 60 Ω, so werden etwa 9 % des Pegels am Empfängereingang reflektiert. Reflexionen können nicht nur an den Enden, sondern auch im Verlauf des Übertragungsweges auftreten, beispielsweise bei Änderungen der Leiterbahnbreite, an Löchern oder Durchkontaktierungen, bei Änderungen des Dielektrikums. An jeder Stelle im Kanal, an der die Impedanz sich ändert, gibt es Reflexionen.
Um Reflexionen zu messen, verwendet der Mikrowelleningenieur wieder seinen Netzwerkanalysator. Hierbei gibt er ein Signal auf das Testobjekt, etwa ein Kabel oder eine integrierte Schaltung und koppelt die rückwärts laufenden Signale zwecks Beobachtung mittels eines Richtungskopplers aus. Die Amplitude des reflektierten Signals setzt er mit dem Eingangssignal in Beziehung und bezeichnet das Verhältnis als Rückflussdämpfung. Stimmt er das Eingangssignal über einen bestimmten Frequenzbereich durch, so misst er auf diese Weise die Rückflussdämpfung über der Frequenz. Typischerweise ist die Impedanz mit steigender Frequenz immer schlechter zu kontrollieren, also steigen die Reflexionen.
Im Zeitbereich gibt es eine ähnliche Messung. Sie arbeitet mit einem breitbandigen Oszilloskop, man nennt es Zeitbereich-Reflektometer (TDR, Time-Domain Reflectometer). Das Messgerät ist das gleiche wie oben bei der TDT-Messung. Jetzt misst man aber nicht, was von einem am einen Ende der Leitung eingespeisten Sprung auf der anderen Seite herauskommt, sondern man misst das reflektierte Signal am gleichen Anschluss, an dem man es eingespeist hatte. Der Netzwerkanalysator misst Reflexionen über der Frequenz, der TDR Reflexionen über der Zeit. Wenn man die Ausbreitungsgeschwindigkeit kennt, funktioniert ein TDR im Prinzip wie ein Radargerät. Aus der Zeit zwischen Signal und Reflexion (Echo) kann man genau die Stelle bestimmen, an der das Signal reflektiert worden ist. Die Amplitude der Reflexion hängt direkt von der Impedanzänderung ab. Also zeigt das TDR den Impedanzverlauf über die Strecke an.
Bild 6 zeigt das Ergebnis einer TDR-Messung an einer 50-Ω-Übertragungsleitung, in deren Verlauf die Impedanz auf 33 Ω fällt, dann wieder auf 50 Ω steigt, dann wieder auf 33 Ω fällt und schließlich wieder auf 50 Ω steigt.
Es ist aufschlussreich, eine Messung der Rückflussdämpfung mit dem Netzwerkanalysator mit einer Impedanzmessung mit dem TDR zu vergleichen, und zwar speziell dann, wenn das Signal an mehreren Stellen reflektiert wird. Das TDR zeigt ein Impedanzprofil, auf dem jede Stelle zu erkennen ist, an der die Impedanz sich ändert. Geht die Kurve des TDR nach oben, bedeutet das, dass an dieser Stelle die Impedanz steigt. Geht sie nach unten, sinkt die Impedanz an dieser Stelle. Wie sieht dieses Testobjekt an einem Netzwerkanalysator aus, der Reflexion gegen Frequenz darstellt? Der Netzwerkanalysator gibt nicht an, wo genau Reflexionen auftreten, er gibt noch nicht einmal an, ob es mehr als eine Stelle ist, an der Reflexionen auftreten. Ob es nun eine oder mehrere Stellen mit Reflexionen sind: Der Netzwerkanalysator zeigt nur die gesamte reflektierte Energie gegen die Frequenz an. Bestehen auf dem Übertragungskanal zwei oder mehr Diskontinuitäten der Impedanz, die größer sind als andere, so resultiert daraus ein interessantes Phänomen: Bei zwei Reflexionsstellen laufen zwei Signale zurück.
Die räumliche Distanz zwischen beiden Stellen führt zu einem Phasenunterschied zwischen den beiden reflektierten Signalen. Die beiden reflektierten Signale überlagern sich dann, gleichphasig, gegenphasig oder mit einem Phasenunterschied irgendwo dazwischen. Die Phasenbeziehung hängt vom Abstand der Reflexionsstellen ab, von der Ausbreitungsgeschwindigkeit und der Frequenz der Signale. Weil die Frequenz des Testsignals typischerweise über einen großen Frequenzbereich durchgestimmt wird (vielleicht von 50 MHz bis 20 GHz), wird sich der Phasenwinkel zwischen beiden Reflexionen mit sich ändernder Frequenz ständig ändern. Sind beide gegenphasig, wird das Gesamtsignal sehr klein (0 bei identischen Amplituden der Reflexionen). Sind sie aber gleichphasig, wird die Gesamtamplitude der reflektierten Signale maximal. Der resultierende Graph der Rückflussdämpfung wird sich mit der Frequenz also ständig ändern (Bild 7).
Obwohl der Netzwerkanalysator das Bestehen mehrerer Reflexionspunkte nicht direkt anzeigen kann, ist die typische Form des Frequenzgangs ein deutliches Zeichen dafür, dass mindestens zwei dominierende Reflexionsstellen vorhanden sind.
Die y-Achse des Netzwerkanalysators ist in dB skaliert. An der schlechtesten Stelle liegt das reflektierte Signal lediglich 5 dB unter dem übertragenen Signal, das heißt: 32 % seiner Energie wurden reflektiert. Der Pegel des reflektierten Signals liegt bei mehr als der Hälfte des übertragenen Signals. An dieser Stelle überlagern sich zwei reflektierte Signale gleichphasig, also addieren sie sich. Die Vermeidung von Impedanzsprüngen ist bei Digitalkommunikation im Interesse einer niedrigen BER also enorm wichtig! Überlagern sich zwei reflektierte Signale hingegen gegenphasig, liegt die Gesamtenergie der Reflexionen 30 dB unter dem übertragenen Signal (0,1 % der Energie), der reflektierte Pegel beträgt 3 % des Ursprungspegels. Die Fourier-Transformation ermöglicht dem Netzwerkanalysator die Anzeige des Messergebnisses im Zeitbereich (ähnlich der nativen Messung des TDR) und dem TDR die Anzeige des Frequenzgangs ähnlich der nativen Messung des Netzwerkanalysators.
Der Jitter und die Bitfehlerrate
Treten Flanken eines Bitstroms nicht an den erwarteten Stellen auf, sondern etwas früher oder später, so nennt man das „Jitter“. Mit steigenden Datenraten ist es eines der größten Probleme, sicherzustellen, dass der Empfänger seine logische Entscheidung nicht ausgerechnet zu dem Zeitpunkt trifft, an dem das Signal gerade seinen Zustand ändert. Liegt dieser Zeitpunkt zu nah an einer Flanke, steigt die BER. Jitter verschlechtert also die BER. Wie entsteht Jitter? Es gibt eine Reihe von Ursachen für Jitter, und wieder führen einige Erkenntnisse aus der Welt der Mikrowellen weiter. Die Frequenz, mit der ein Sender Bits sendet, wird normalerweise von einem Referenztakt vorgegeben. Wenn dieser Taktgeber nicht genau auf einer bestimmten Frequenz arbeitet, sendet der Sender die Daten mit variierender Datenrate. Der Digitalingenieur nennt das Jitter, der HF-Ingenieur sagt dazu Phasen- oder Frequenzmodulation. In diesem Fall ist eine Modulation aber unerwünscht. Der HF-Ingenieur würde in-stinktiv das Spektrum des Oszillators untersuchen. Weiter oben wurde dargestellt, dass man im Spektrum nur eine einzige Frequenz sehen könnte, wenn dieser Takt ein reiner Sinus wäre. Wäre der Takt ein Rechteck, sähe man die Grundfrequenz und seine ungeraden Harmonischen. Was wäre aber, wenn der Takt ein Sinus wäre, der leicht seine Frequenz verändert? Dann hat man nicht etwa die Linie einer Einzelfrequenz im Spektrum, sondern ein mehr oder weniger breites Frequenzband. Das kommt in der Realität übrigens häufig vor.
Kein Oszillator kann einen wirklich reinen Ton erzeugen. In elektronischen Schaltungen gibt es immer etwas Rauschen, und dieses Rauschen sorgt für eine zufällige Änderung der Oszillatorfrequenz. Man erkennt diese zufälligen Frequenzänderungen an einer Verbreiterung des Spektrums mit der Nennfrequenz in der Mitte. Der HF-Ingenieur würde „Phasenrauschen“ dazu sagen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Phase (Frequenz) ändert, ist zufällig.
Der Digitalingenieur schaut sich seine Signale immer erst mit dem Oszilloskop an. Dort sieht er Flanken, die ohne erkennbare Systematik an falschen Zeitpunkten auftauchen. Er bezeichnet dieses Phänomen nicht als Phasenrauschen, sondern als zufälligen Jitter. Beide Sichtweisen beschreiben aber das gleiche Phänomen, die eine aus Sicht des Zeitbereichs, die andere aus Sicht des Frequenzbereichs. Jitter kann auch systematisch auftreten. Die oben beschriebene Intersymbolinterferenz beispielsweise ist auch ein Jittermechanismus: Sie sorgt für eine Verbreiterung von Impulsen; damit wandern die Flanken von ihren idealen Positionen nach außen und bewirken so, dass Impulse sich überlappen. Energie gerät somit fälschlich in die nächste Bitzeit. Es gibt auch periodischen Jitter. Ist beispielsweise das Schaltnetzteil des Senderoszillators nicht vernünftig stabilisiert, kann die Oszillatorfrequenz mit der Schaltfrequenz des Netzteils moduliert sein. Im Zeitbereich ist das periodischer Jitter, im Frequenzbereich ist das Frequenzmodulation. Im Zeitbereich kann man das schwer erkennen, weil sich der Effekt über tausende oder Millionen von Bits verteilt. Im Frequenzbereich fällt er einem sofort ins Auge. Bei einem frequenzmodulierten Signal sieht man die Seitenbänder sofort, symme-trisch zur Mittenfrequenz, im Abstand der Modulationsfrequenz (hier der Schaltfrequenz des Netzteils). Letztlich folgt aus allen Ausführungen: Wenn man High-speed-Signale sowohl im Zeitbereich als auch im Frequenzbereich bezüglich der wichtisgten Parameter gründlich untersuchen kann, gewinnt man dadurch wertvolle Einsichten in die Ursachen von guter und schlechter Leistung. Jede Sichtweise hat ihre spezifischen Stärken und Schwächen; zusammen eingesetzt, ergänzen sie sich.
Die Autoren
Greg LeCheminant und Tomas Lange |
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sind bei Keysight Technologies als Applikations-Spezialisten tätig. |