Dass 2019 viel schlechter lief als erwartet, hat für ihn neben den bereits erwähnten Gründen aber auch folgenden: Viele Themen – wie elektrisches Fahren oder autonomes Fahren – wurden im letzten Jahr noch stark überschätzt, jetzt sind die Themen in der Realität angekommen. Adlkofer: »Vor zehn Jahren hat jeder gedacht, dass wir in fünf Jahren alle nur noch elektrisch fahren; vor fünf Jahren dachten alle, dass wir bald autonom fahren würden. Da ist aber eine Komplexität dahinter, die jetzt von der Realität eingeholt wurde, und das ist gut so, denn wir haben auch eine Verantwortung übernommen. Aber wir werden trotzdem sehen, dass diese Wachstumstreiber intakt sind, sprich: die Elektrifizierung wird kommen und assistiertes Fahren wird kommen. Wann wir voll autonom fahren, ist für die Halbleiterunternehmen nicht entscheidend.«
Adlkofer abschließend: »Eigentlich gibt es viele positive Anzeichen, die die Wirtschaft beflügeln müssten. Beispielsweise herrscht in England und den USA die niedrigste Arbeitslosigkeit seit Jahren. Das sind eigentlich Indikatoren, die dafür sprechen würden, dass der Konsument jetzt richtig loslegen wird. Aber das tut er nicht, auch hier zeigt sich eine Zurückhaltung. Das liegt an der Unsicherheit, das spiegelt sich auch im Kaufverhalten ganz klar wider.«
An die 5,8 Prozent für 2020 glaubt keiner
Bröckelmann: »Wir sehen diese Wachstumsrate nicht, 2020 wird zumindest am Anfang noch schwierig werden.« Und den von IHS ausgemachten Treiber 5G erteilt er auch eine Absage, zumindest für die hiesige Region. »Gerade in Europa wird in diesem Bereich nicht viel passieren.« Derzeit würde verstärkt Messtechnik für 5G auf den Markt kommen, aber »der Messtechnik-Bereich ist typischerweise immer vorher dran. Bis im breiten Markt Basisstationen aufgebaut werden, das kommt im nächsten Jahr noch nicht. Da müssen erstmal viele Standorte gefunden werden und hier ist jetzt schon mit Widerstand in der Bevölkerung zu rechnen.«
Adlkofer stimmt Bröckelmann in beiden Punkten zu. Zum einen sieht er keine Möglichkeit, dass der Halbleitermarkt im nächsten Jahr um 5,8 Prozent zulegen wird. Wenn es gut laufe, werden es vielleicht 4Prozent. Zum anderen hält er 5G auch nicht für den Treiber, der die 5,8 Prozent Umsatzwachstum auf dem Halbleitermarkt generieren könnte. »5G kann nicht den ganzen Markt treiben«, so Adlkofer weiter.
Aus der Sicht von Rothhaupt ist es überhaupt fraglich, ob sich heute jemand ein neues Mobiltelefon kauft, weil es 5G unterstützt. Die Zeiten, in denen die Leute vor den Apple-Stores stundenlang standen, um sich das neueste Mobiltelefon zu holen, »die sind definitiv vorbei«, glaubt auch Bröckelmann. Dass der Umstieg trotzdem kommen wird, steht aber auch außer Frage. Wiese: »Spätestens wenn das 4G-Netz voll ist, steigen die Leute auf 5G-Handys um, alles also nur eine Frage der Zeit.« Und Westmeyer: »Ich glaube nicht, dass sich irgendeiner ein Telefon wegen 5G kaufen wird. Aber die High-End-Telefone, die auf den Markt kommen, die haben 5G standardmäßig integriert und damit werden diese Geräte in den Markt hineingespült. Das ist vom Käufer nicht unbedingt gefordert, aber es passiert einfach.« Und das ist genau der Unterschied zu früher, denn früher haben neue Mobiltelefongenerationen wahre Anstürme auf die Hersteller ausgelöst, weil Funktionen integriert waren, die es vorher nicht gab; heute »bringen neue Modelle keinen Boost mehr, es handelt sich nur noch um einen Ersatz«, so Rothhaupt.
Dass 5G die Nachfrage nach neuen Mobiltelefonen nicht in die Höhe treibt, ist das eine, aber 5G hat noch weitere Aspekte: »Für mich ist 5G eher ein Frontalangriff auf jede Kommunikationsverbindung, für die heute noch ein Kabel gelegt werden muss. Es wird die bedrahtete Kommunikation in Zukunft, sicherlich aber nicht nächstes Jahr ablösen. Deshalb ist es für Industrie 4.0 auch ein Thema«, so Adlkofer. Und Wiese merkt noch an, dass 5G in Unternehmen in naher Zukunft die Telefonanlagen ablösen wird, das heißt: Telefonanlage und Drahttelefone raus, 5G und Mobiltelefone rein. Dazu kommen noch die Campus-Lizenzen, auf die Derpmanns hinweist und die für ihn eine komplette Strukturwandlung mit sich bringen.
Diese Aspekte werden die Halbleiternachfrage anheizen, allerdings sicherlich nicht im nächsten Jahr, da sind sich alle einig, und auch nicht so, wie das der eine oder andere Analyst glaubt. Also fehlt dieser Antriebsfaktor für 2020, aber mit Blick auf den Automobilmarkt sind sich alle einig: Der Halbleiterumsatz in diesem Absatzmarkt wird auch im kommenden Jahr steigen; um wie viel Prozent, das wird sich zeigen.