Professor Wolfgang Ecker, Senior Principal Engineer bei Infineon Technologies und Mitglied der Enquete-Kommission »Künstliche Intelligenz« des Deutschen Bundestages:
Statement zu PwC: Für den Bereich KI-Training, also bei der Entwicklung von Modellen, werden Halbleiter neuester Prozesstechnologie eingesetzt. Diese werden in High-End-Halbleiterfabriken der letzten Generation gefertigt, wie sie heute TSMC, Intel oder Samsung betreiben. Für einen einzelnen europäischen Halbleiterhersteller rechnet sich die damit verbundene Investition nicht. Er könnte die Fab schlichtweg nicht auslasten. Will man High-End-Halbleitertechnologie in Europa fertigen, wäre das gegebenenfalls in Form einer Foundry vorstellbar, die weltweit ihren Service anbietet. Europa verfügt mit Instituten wie Leti, Imec und Fraunhofer sowohl über Technologie Know-How als auch über Know-How im Bereich Ausrüstung mit Unternehmen wie ASML, Trumpf, einschließlich EUV-Expertise. Grob geschätzt würde es etwa zehn Jahren dauern, bis Europa in diesem Bereich überhaupt konkurrenzfähig sein könnte. Ein langer Atem, politischer Wille und viel Geld wären vonnöten.
Beim Thema Quantencomputing sollte Deutschland bzw. Europa an vorderster Front dabeibleiben. Denn Amerika ist hier bereits sehr aktiv. Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass uns Quantencomputing dazu verhelfen wird, mit einem Schlag aufzuholen und uns damit einen Ausweg liefert. Auch sind Quantencomputer nur für bestimmte Aufgaben einsetzbar und schwer ins „Edge“ zu portieren. Wie bei Rechnern auf Halbleiterbasis ist es bei Quantencomputern nicht nur notwendig, die Quantentechnologie zu beherrschen. Vielmehr muss auch die Methode beherrscht werden, Quantencomputer zu bauen und zu programmieren.
Bei den meisten Anwendungen geschieht die Inferenz an der Edge und nicht in der Cloud, wie in der PwC-Studie beschrieben. Dafür wird wesentlich weniger Rechenleistung als für das Training benötigt. In den Vordergrund rückt die Optimierung hinsichtlich Stromverbrauch und Speicherbedarf. Die Auswahl des Prozessknotens wird insbesondere in den Bereichen Smart Building, Industrial aber auch für Automotive bestimmt von der Integrierbarkeit analoger Schnittstellen zu Sensoren, Leistungselektronik für Aktuatoren und RF für die Verbindung zur Cloud. Und hier liegt die Chance Europas, »More than Moore«-Prozesse für KI zu befähigen.
Statement zu Emmanuel Sabonnadière: Europa hat wichtige Kernkompetenzen, die gerade für KI eine wesentliche Rolle spielen. Energieeffizienz ist eine, sichere und verlässliche Elektronik eine andere. Ebenso maßgebend ist der rechtliche Rahmen im Umgang mit sensiblen Daten, sei es im Verkehr, Medizin, Industrie oder anderen IOT-Anwendungen. Ausschlaggebend wird sein, KI von der Anwendung her zu denken. Gerade hier kann Europa seine Stärke ausspielen – und seine Expertise in Schlüsselbereichen wie Automotive, Engineering und Industrie in die spezifische KI-Lösungen einbringen. Unsere starken Kompetenzen gilt es um KI zu erweitern, sei es im Maschinenbau, in der Automatisierung und Maschinensteuerung, funktionalen Sicherheit oder IT-Sicherheit. Wir müssen maschinelles Lernen und KI sinnvoll in unsere Steuerungssysteme integrieren.
Unsere Chance ist die Edge bzw. Embedded KI. Denn ihre Nähe zu den Anwendungen ist unsere potentielle Stärke. Dafür braucht man Halbleiterprozesse, die niedrige Standby Power insbesondere bei SRAM mit kostengünstigem, sicherem NVM wie etwa RRAM vereinen. Außerdem sollten diese Prozesse für analoge Lösungen und RF gut geeignet sein.
Der KI-Hype wurde vor allem von der postulierten unendlichen Mächtigkeit der Algorithmen angetrieben, im Sinne einer »super human AI«. Was dabei immer wieder geflissentlich ignoriert wird, ist der dafür notwendigen Ressourcen-Bedarf, vor allem mit Blick auf die Stromaufnahme. Ein wichtiger Teil der europäischen KI-Strategie besteht deshalb darin, die Technologie von den verfügbaren Ressourcen her zu denken – vor allem bei der Stromaufnahme.
Edge-Computing spielt dabei eine wachsende Rolle. Und hier ist Europa nicht zu spät, da stimme ich Emmanuel Sabonnadière zu. Gerade der Bereich »tiny-ML« befindet sich noch in den Kinderschuhen. Er wird »always-on«, batteriegetriebene Anwendungen weiter vorantreiben, die auf Sensor-Analytics beruhen, gespeist von beispielsweise Audio-, Video- oder Radardaten. Die Kombination von Sensorik und KI wird eine ganze Reihe neuer Anwendungen ermöglichen. Hier können und sollten wir die Zusammenarbeit mit den internationalen Internet-Giganten nicht scheuen. Für diese ist europäische Technologie und Qualität bereits heute essentiell. Auch der Datenschutz entwickelt sich im internationalen Vergleich immer mehr zu einem wichtigen »Differentiator« für uns Europäer.
Europa verfügt sicherlich über eine sehr gute Forschungslandschaft. Beim BMBF sind einige KI-Aktivitäten angestoßen worden, und man versucht, neue Wege zu gehen. Wir brauchen allerdings mehr Tempo, sei es beim Aufbau eines europäischen KI-Netzwerks oder auch bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in konkrete Anwendungen. Deutschland und Frankreich müssen hier die Rolle als Lokomotiven übernehmen. Denn ein wahrhaft europäischer Ansatz, idealerweise auch mit der Schweiz und Norwegen, ist leider nicht in Sicht. Der angestrebte Brexit macht es auch nicht leichter. An Spitzenunis in Großbritannien wird sehr erfolgreich an KI geforscht. Wir sollten auch hier weiter eine Zusammenarbeit anstreben.
Gerade bei der Umsetzung von KI-Forschung in sinnvolle Anwendungen, sehe ich noch großes Potenzial. Das sollte meines Erachtens auch implizieren, Modelle bzw. Frameworks zu finden, die die Datennutzung übergreifend ermöglichen, auch für klein- und mittelständische Unternehmen im Einklang mit unserem Europäischen Datenschutzverständnis. Erst durch die eigentlichen Anwendungen, die dem Menschen dienen müssen, können wir das Versprechen von KI einlösen. Sie kann uns nicht zuletzt helfen, die vorhandenen, begrenzten Ressourcen besser zu nutzen und damit »mehr aus weniger« zu schaffen.
Statement zu Eigenentwicklungen: Wir gehen davon aus, dass es verschiedene Ansätze und Architekturen für KI-Chips geben wird. Plattformen werden unterschiedlich stark skalierbar sein. Einen klaren Trend sehen wir jedoch in spezifischen, ressourcenoptimierten Lösungen für konkrete Anwendungen. Ob es besser ist, eine Lösung selbst zu entwickeln oder AI-IP zu kaufen, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Die IP allein zu erwerben, reicht allerdings nicht aus. Man braucht gleichfalls die komplette Entwicklungsumgebung mit Trainingsstrukturen, vortrainierten Netzen und gegebenenfalls Trainingsdaten. Es gibt sicherlich noch viel Entwicklungsbedarf bei der Entwicklung von »Edge KI«. Die wichtigste Kenngröße ist dabei der Energieverbrauch sowohl im »Standby« als auch im aktiven Betrieb. Von entscheidender Bedeutung ist es, die optimalen volatilen und non-volatilen Speichertechnologien einzusetzen, Speicher und Recheneinheit möglichst eng zu koppeln und die Hardwarearchitektur möglichst genau mit den Neuronalen Netzwerkarchitekturen abzustimmen. Nicht zu vernachlässigen ist dabei das Tooling, um trainierte KI-Modelle auf die Inferenzplattform zu portieren und dafür zu optimieren.