Munich Quantum Valley

Auf dem Weg zum bayerischen Quantencomputer

27. Februar 2025, 15:07 Uhr | Heinz Arnold
Dr. Sascha Mehlhase, Munich Quantum Valley: »Denn selbst den besten digitalen Supercomputern ist es unmöglich, eine hinreichend gut verschlüsselte RSA-Nachricht in endlicher Zeit zu entschlüsseln. Ausreichend leistungsfähige Quantencomputer könnten diese Aufgabe in Zukunft in wenigen Minuten oder sogar Sekunden erledigen.«
© Munich Quantum Valley

Im Interview mit Markt&Technik erklärt Dr. Sascha Mehlhase vom Munich Quantum Valley (MQV), wie Quantencomputer rechnen und auf welche Technologie-Plattformen das MQV setzt.

Diesen Artikel anhören

Markt&Technik: Das Munich Quantum Valley soll Forschung, Industrie und Forschungsförderung zusammenführen, um Quantencomputer zu entwickeln. Nun gibt es zahlreiche Ansätze, um Quantencomputer auf Basis verschiedener Technologien für Quantenprozessoren (QPU) zu realisieren. Auf welche Hardware-Plattformen setzt das MQV?

Dr. Sascha Mehlhase: Es gibt drei Technologien, die innerhalb des MQV aufgrund der Mitgliedsstruktur eine große Rolle spielen: Die supraleitenden Qubits und Qubits basierend auf gefangenen Ionen bzw. neutralen Atomen. Jede dieser Technologien hat ihre Vor- und Nachteile. Eventuell wird sich schlussendlich nicht die eine Plattform durchsetzen, sondern es werden verschiedene Plattformen parallel nebeneinander existieren, weil es unterschiedliche Aufgaben gibt, für die sich eine bestimmte Plattform jeweils besonders gut eignet.

MQV auf der World of Quantum

Mehr zum Thema Quantentechnologien und den Aktivitäten des Munich Quantum Valley erfahren Sie im internationalen Jahr der Quantenphysik 2025 auf der World of Quantum vom 24. bis 27. Juni in München: Bereits zum dritten Mal ist München der Treffpunkt der internationalen Quantencommunity. Auf der weltweit größten Fachmesse für Quantentechnologie präsentieren und diskutieren führende Akteure aus Industrie und Forschung die wichtigsten Trends, Innovationen und Visionen dieser wegweisenden Zukunftstechnologie. Parallel finden die Laser World of Photonics, der World of Photonics Congress sowie die automatica statt.

 

Zu Anfang schienen die supraleitenden Qubits die Nase vorne zu haben. Ist das immer noch so?

Wie gesagt, die eine Technologie wird es voraussichtlich nicht geben. Es stimmt, an den supraleitenden Qubits auf Basis der Josephson-Junctions wird mit am längsten und speziell auf industrieller Seite intensiv gearbeitet, deshalb haben sie einen Vorsprung. Im Gegensatz zu Qubits basierend auf Ionenfallen und neutralen Atomen weisen die supraleitenden Qubits eine Besonderheit auf: Es handelt sich um »künstliche Atome«, die die Quantenzustände einnehmen, es sind also keine wirklichen Atome. Das führt zu einem Nachteil: Die wirklichen Atome sind immer gleich, die künstlichen Atome sind es nicht, ihre Eigenschaften sind prozessabhängig und streuen deshalb. Es ist also u. a. erforderlich, diese im Detail zu verstehen und zu verbessern, um möglichst uniforme supraleitende Qubits mit wenig Streuung realisieren zu können.

Wie werden die supraleitenden Qubits manipuliert und gesteuert?

Zur Steuerung werden Mikrowellen eingesetzt. Jedes Qubit muss mit anderen Eigenfrequenzen angesteuert werden. Ein großer Vorteil ist, dass die Mikrowellen im GHz-Bereich arbeiten, genauso wie das aus der Kommunikationstechnik schon lange bekannt ist. Die zugrundeliegende Technik existiert also bereits, da muss nichts grundlegend Neues erfunden und entwickelt werden. Allerdings ist u. a. das parallele Ansprechen einer großen Zahl von Qubits auf der QPU weiterhin eine Herausforderung.

Wie gelingt es, die supraleitenden Qubits zu verschränken?

Das funktioniert über sogenannte Koppler, die zwischen den Qubits vermitteln. Im verschränkten Zustand verhalten sich die Qubits ähnlich wie gekoppelte Schwingungen. Dabei sitzen die supraleitenden Qubits fest an einem Ort, sie sind nicht beweglich, gewissermaßen sind sie »fest verdrahtet«.

Wie verhält sich das bei den Ionenfallen und neutralen Atomen?

Neutrale Atome werden über Laserlicht eingefangen und manipuliert. Außerdem müssen sie gekühlt werden, so dass sie sich kaum noch aufgrund der Temperatur bewegen. Man benötigt also mehrere Laser-Systeme, u. a. für die Kühlung sowie für die Manipulation und Steuerung. Die Atome sitzen in einem Glasquader, in dem ein Vakuum vorherrscht, und sind dort frei schwebend in einem optischen Gitter gefangen. Mit sogenannten optischen Pinzetten lassen sich die Atome bewegen, wenn auch langsam. Theoretisch lässt sich also sehr flexibel mit ihnen umgehen, anders als das mit supraleitenden Qubits möglich ist.

Wie können neutrale Atome verschränkt werden?

Gesteuert werden die neutralen Atome über Laserlicht. Dazu werden leistungsfähige und präzise Laser benötigt. Bei sogenannten Rydberg-Atomen können die äußersten Elektronen mit Hilfe von Lasern derart angeregt werden, dass benachbarte Atome stark miteinander wechselwirken und es zur Verschränkung im Systen kommt.

Wie verhält es sich bei den Ionenfallen?

Hier werden die Ionen ebenfalls über Laserlicht angeregt.

Zurück zu den Qubit-Gattern: Unabhängig davon, auf welcher Technologie-Plattform sie realisiert werden, es gibt Single Qubits, also etwa ein einziges neutrales Atom, in dem ein Qubit aufgrund der Superposition sämtliche Positionen auf der Bloch-Kugel einnehmen kann. Dann gibt es zudem den Zustand der Verschränkung. Dazu sind mindestens zwei Qubits (Dual Qubits) nötig, die sich miteinander verschränken lassen. Lässt sich mit beiden Qubit-Typen rechnen?

Zum Rechnen verwenden wir verschiedene Gatter, mit denen sich beliebige logische Verknüpfungen erstellen lassen, ähnlich sich wie in der Digitaltechnik aus NAND-Gattern beliebige logische Verknüpfungen erstellen lassen.

Gerechnet werden kann sowohl mit Gattern, die auf jeweils einem Qubit operieren, und mit solchen, die auf verschränkten Qubits, also mindestens auf zweien, operieren. Man kann einen Algorithmus mit nur Single-Qubit-Gattern implementieren, für einen sinnvollen Algorithmus wird man aber wenigstens Zwei-Qubit-Gatter benötigen. Der sogenannte Grover-Algorithmus zur Suche in einer unsortierten Datenbank funktioniert beispielsweise mit 3-Qubit-Gattern. Ein Gate-Set ist eine Kenngröße eines Quantencomputers und gibt den Satz an möglichen Einzel-Qubit-, Zwei-Qubit- oder eben Multi-Qubit-Gates an.

Kann man sich Qubit-Gatter ungefähr so vorstellen wie klassische Gatter aus Transistoren?

Quantengatter können mit elektronischen Gattern verglichen werden, die die elementaren Operationen eines klassischen Computers ausführen, sind aber typischerweise keine physikalischen Bauelemente wie Transistoren. Sie sind vielmehr zeitlich kontrollierbare Wechselwirkungen der Qubits untereinander oder mit ihrer Umgebung, die ein System von Qubits von einem klar definierten Anfangszustand in einen neuen, am Ende auslesbaren Zustand überführen.

Während der gesamten Prozedur darf das Qubit durch äußere Einwirkungen und durch Manipulationen nicht aus dem überlagerten bzw. verschränkten Zustand zurückfallen, sonst ist der gesamte Vorgang verloren?

Die Zustände der Qubits dürfen nicht durch äußere Störungen beeinflusst werden. Die Kohärenzzeit, die je nach Bauart heute im Mikro- bis Millisekundenbereich liegt, gibt an, wie lange ein Qubit bzw. ein Quantencomputer (für eine Rechnung) einsatzfähig ist. Bei Ionenfallen liegt die Kohärenzzeit höher als etwa bei supraleitenden Qubits. Das wäre ein Vorteil für die Ionenfallen. Dafür dauert es bei den Ionenfallen aber länger, die Quantengatter zu verschalten, das ist ein Nachteil.

Es reicht also nicht, nur die Hardware-Plattform zu betrachten, es kommt auf alle Elemente an, aus denen sich das Gesamtsystem zusammensetzt?

Ja, ausgehend von der Hardware über die Steuerung bis hin zu den Algorithmen und der Software muss alles optimiert und aufeinander abgestimmt werden, wir sprechen vom Full-Stack-Ansatz. Durch die Optimierung von Algorithmen kann z. B. die Anzahl der benötigten Qubits oder Rechenschritte je nach Plattform reduziert werden.

Oft heißt es, in digitalen Prozessoren wird mit 0 und 1 gerechnet, Qubits dagegen würden nicht nur den Zustand 0 und 1 einnehmen, sondern unendlich viele Zustände, und deshalb ginge alles schneller. Das erklärt auf den ersten Blick nicht viel – wie wird denn mit Qubits in der Realität gerechnet?

In Algorithmen definierte Quantengatter führen Operationen auf einzelnen oder mehreren Qubits aus und überführen einen Anfangszustand in einen neuen Zustand, ohne jedoch den tatsächlichen Zustand selbst zu messen. So können mit Hilfe von Überlagerungszuständen und Verschränkung komplexe Zusammenhänge abgebildet werden, bis bei einer abschließenden Messung jedes Qubit wieder nur den Zustand 0 oder 1 annehmen kann (man spricht vom Kollabieren der Wellenfunktion).

Die berühmte Wellenfunktion kollabiert also – und es kommt ein klassisches Bit heraus, entweder 1 oder 0. Was hat man davon?

Nachdem der Zustand gemessen wurde, tritt der »richtige Zustand« mit einer theoretisch nach den Gesetzen der Quantenmechanik ermittelten gewissen Wahrscheinlichkeit auf. Deshalb muss diese Operation mehrfach wiederholt werden. Geschieht dies oft genug, so setzt sich das richtige Ergebnis mit einer statistisch signifikanten Wahrscheinlichkeit durch. Das dauert zwar seine Zeit. Aber im klassischen Computer müssten tatsächlich alle möglichen Zustände, die eintreten können, durchgespielt werden, um den richtigen zu finden. Das dauert bei komplexen Systemen mit sehr vielen Möglichkeiten selbst mit Supercomputern unter Umständen viele Jahre.

Die Quantencomputer können also ihre Überlegenheit nur bei bestimmten Problemklassen mit hoher Komplexität ausspielen?

Ja, ein gutes Beispiel dafür ist, wie ein Quantencomputer die RSA-Verschlüsselung knackt. Denn selbst den besten digitalen Supercomputern ist es unmöglich, eine hinreichend gut verschlüsselte RSA-Nachricht in endlicher Zeit zu entschlüsseln. Ausreichend leistungsfähige Quantencomputer könnten diese Aufgabe in Zukunft in wenigen Minuten oder sogar Sekunden erledigen. In diesem Sinne erklärt man gerne, dass die klassischen Computer mit 0 und 1 rechnen – also mit nur zwei Zuständen –, während in Qubits gleichzeitig alle möglichen Zustände zwischen 0 und 1 überlagert sind, und man deshalb in gewissem Sinne auch mehrere Möglichkeiten »gleichzeitig« rechnen kann. Man muss den Vorgang aber so oft wiederholen, bis sich das richtige Ergebnis statistisch heraushebt.

Häufig wird die Zahl der Qubits als das wichtige Kriterium angegeben: Je höher sie ist, umso besser wäre ein Quantencomputer dafür geeignet, wirklich sinnvolle Aufgaben zu lösen und sie tatsächlich deutlich schneller zu lösen, als das selbst die besten herkömmlichen digitalen Supercomputer könnten, um schließlich die Quantum Supremacy bzw. die Quantenüberlegenheit zu erreichen. Aber es gibt noch einige weitere Parameter, die hineinspielen, die Zahl der Qubits allein sagt nicht viel aus?

Es kommt auch auf die Zahl der Qubits an, aber bei weitem nicht nur. Eine große Rolle spielt die Qualität der Qubits und Quantengatter, auch Fidelity genannt. Und es kommt darauf an, wie die Qubits verknüpft sind (Connectivity) und wie sie verschränkt werden können. Das alles ist von Plattform zu Plattform unterschiedlich.


Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu elektroniknet

Weitere Artikel zu Halbleiterfertigung

Weitere Artikel zu Mikroprozessoren

Weitere Artikel zu KI-Prozessoren