Echtzeit-Computing aus der Cloud

Game Changer für die Entwicklung von Prototypen

17. Juni 2024, 9:00 Uhr | Autor: Bertrand Boisseau, Redaktion: Irina Hübner
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Echtzeit-Computing in einer Cloud-Umgebung klingt wie ein Widerspruch, kann aber Prozesse optimieren sowie Entwicklungskosten und die Zeit bis zur Markteinführung verringern. Ein Game Changer für die Automobilindustrie.

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Softwareentwickler in der Automobilindustrie sehen sich beim Bereitstellen ihrer Software auf dem Zielsystem mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Probleme entstehen beispielsweise, wenn sich mehrere Teams begrenzte Hardwareressourcen und Prototypen-Werkbänke teilen müssen. Lieferschwierigkeiten – beispielsweise bei Halbleitern – können es nochmals erschweren, Hardware zum Testen oder Debuggen von Software zu bekommen.

Fortschritte im Cloud Computing können da helfen: Ein Großteil der Entwicklung kann dank hochleistungsfähiger Rechenkapazitäten und Möglichkeiten zur Kooperation remote erfolgen. Bei der Entwicklung in der Cloud haben Ingenieure Zugang zu Funktionen, die diejenigen von eingebetteten Systemen bei Weitem übertreffen.

Wenn auf der Zielhardware ein schlechtes Ergebnis erzielt wird, kann dies mehrere Gründe haben. So kann es beispielsweise daran liegen, dass die Fahrzeugschnittstellen überlastet sind oder es Unterschiede in der Speicherverwaltung gibt. Bei der Entwicklung in der Cloud müssen die Softwareingenieure denn auch die Einschränkungen des Zielsystems berücksichtigen.

An dieser Stelle kommt der Ansatz der Umgebungsparität ins Spiel. Er kann helfen, die beschriebenen Herausforderungen durch die Simulation der Zielhardware und der sie umgebenden Systeme und Komponenten zu lösen.

Was ist Umgebungsparität?

Das Konzept der Umgebungsparität beschreibt die Entwicklung in einer Cloud-Umgebung, die den Eigenschaften der Komponenten im Fahrzeug so nahe wie möglich kommt. Dadurch wird es möglich, Code auf eine sehr genaue Art und Weise zu testen und zu validieren, die dem nahe kommt, was in der realen Welt passieren würde.

Die physikalischen Eigenschaften exakt virtuell nachzubilden, ist schwierig. Deswegen kommt es darauf an, die erforderlichen Einschränkungen für die angestrebten Anwendungsfälle vorher – zum Beispiel Echtzeitanalyse für autonomes Fahren – zu kennen.

Die Umgebungsparität verbessert die Softwarevalidierungsschritte in einer Cloud-Umgebung und trägt so zu einer Verkürzung der Entwicklungszeit bei. Nach den Test- und Validierungsphasen kann die Software direkt auf die Zielhardware aufgespielt werden, sei es auf den Prototyp oder direkt im Fahrzeug.

Der virtualisierte Ansatz abstrahiert potenzielle Hardwarekomplexität und ermutigt Teams, sich den Konzepten für softwaredefinierte Fahrzeuge (SDV) anzunähern. Mithilfe von Cloud-Native- und SDV-Ansätzen können Ingenieure die Flexibilität ihrer Software erhöhen und sie auf unterschiedlichen Hardwareplattformen einsetzen, solange diese bestimmten Abstraktionsprinzipien für Hardware folgen.

Zunächst in der Cloud entwickeln und validieren, später auf der Straße ausprobieren – das ist die Zukunft der Softwareentwicklung in der Automobilindustrie. Diese Arbeitsweise wird auch die Verwendung von digitalen Zwillingen beschleunigen, die zuverlässiger und näher am Endprodukt sind und realitätsnähere Ergebnisse liefern.

Echtzeit in der Cloud als Game Changer

Wozu sollte jemand ein Echtzeitbetriebssystem auf einer Cloud-Plattform verwenden? Wie bereits erwähnt, haben Unternehmen oft Schwierigkeiten, eine ausreichende Zahl von Hardwareplattformen für ihre Entwickler bereitzustellen. Deshalb suchen sie nach leistungsstarken und zuverlässigen Tools, um Hardwarebeschränkungen zu überwinden.

Das beschriebene Konzept der Umgebungsparität ermöglicht es Softwareingenieuren, eingebettete Software-Stacks in der Cloud auszuführen und effizienter zu arbeiten, ohne dafür auf Hardware angewiesen zu sein. Neben anderen Vorteilen erweist sich besonders die schnellere Markteinführungszeit für OEMs als starkes Argument.

Verschiedene Bereiche der Automobilsoftware benötigen Echtzeitfähigkeiten für eine vorrangige Ausführung ihrer Anweisungen. So erfordern beispielsweise autonomes Fahren und fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme die latenzarme und deterministische Ausführung ihrer Prozesse in Echtzeit für die Steuerung des Antriebsstrangs, für Bremsen und für Kollisionsvermeidungssysteme.

Für Aufgaben mit diesen Einschränkungen bestanden bisher nur sehr wenige Realisierungsmöglichkeiten. Eine Entwicklungs- und Testumgebung, die ihr physisches Ziel genau widerspiegelt, verändert das. Mit Echtzeit-Linux auf Hyperscalern wie AWS können Entwickler ihre Software schnell validieren und optimieren, bevor sie sie auf echter Hardware implementieren.

Echtzeit-Computing in einer Cloud-Umgebung wird so zum Game Changer und eröffnet der Automobilindustrie neue Möglichkeiten. Gleichzeitig optimiert es Prozesse, reduziert Entwicklungskosten und Markteinführungszeiten.

 

Bertrand Boisseau ist Automotive Sector Lead bei Canonical
Bertrand Boisseau ist Automotive Sector Lead bei Canonical.
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Der Autor

Bertrand Boisseau
ist Automotive Sector Lead bei Canonical.


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