Mit der Elektrifizierung von Fahrzeugen ist es nicht getan: Soll sich die Mobilität grundlegend ändern und umwelt- sowie klimafreundlicher werden, sind dafür neue Technologien nötig, um den knappen Verkehrsraum in Städten effektiver und effizienter zu nutzen und den ÖPNV auf dem Land zu verbessern.
Am 1. Januar 2024 waren in Deutschland 49,1 Millionen PKW angemeldet, und damit die höchste Anzahl an Pkw aller Zeiten. Damit bleibt die Bundesrepublik Deutschland ihrem Ruf als Autoland treu. Doch auch hierzulande setzt ein Umdenken ein. In Städten wird bereits seit langem nach Alternativen zum motorisierten Individualverkehr gesucht und der ÖPNV sowie die Fahrradwegeinfrastruktur werden gezielt ausgebaut und gefördert.
Doch damit kommt es auch zu neuen Herausforderungen: Die Verkehrsflächen müssen zwischen Fußgängern, Radfahrern, Autofahrern, Bussen und Bahnen sinnvoll aufgeteilt werden, ohne dass eine Gruppe benachteiligt wird. Mit immer mehr elektrischen Fahrzeugen auf den Straßen gewinnt zudem der Ausbau der Ladeinfrastruktur immer mehr an Bedeutung.
Digital Twins sind in der Industrie bereits ein weit verbreitetes Konzept und helfen unter anderem dabei, den Betrieb und die Wartung von Maschinen zu optimieren. In größerem Maßstab kann das Konzept aber auch ganze Städte abbilden. Diesen Weg hat beispielsweise München eingeschlagen. Die bayerische Landeshauptstadt nutzt ein digitales Abbild, um Analysen vorzunehmen und verschiedene Verkehrsszenarien virtuell durchzuspielen.
Durch diese Methode können Stadtplaner Erkenntnisse gewinnen, wie sich Veränderungen auf den Straßen auf den Verkehrsfluss auswirken. So lassen sich die Auswirkungen von Sperrungen, neuen Ampeln, Kreisverkehren oder Fahrradspuren besser prognostizieren. Auch eines der größten Probleme des innerstädtischen Verkehrs, die Parkplatzsuche, soll damit angegangen werden. Anhand eines digitalen Zwillings können neue Verkehrsführungen und Parkleitsysteme risikofrei und ohne negative Auswirkungen auf den realen Verkehr erprobt werden. Das Zusammenspiel zwischen Individualverkehr und ÖPNV lässt sich so in verschiedenen Szenarien durchspielen und optimieren – beispielsweise bei Park-and-Ride-Parkplätzen in Stadtrandlage.
Damit der digitale Zwilling entstehen und hilfreiche Ergebnisse liefern kann, ist zunächst eine umfassende Datengrundlage notwendig. Städte und Verkehrsunternehmen benötigen also leistungsfähige Lösungen, um diese Daten zu erheben und zu verarbeiten. Dazu gehören Sensoren und Kameras an neuralgischen Punkten, die den Verkehrsfluss erfassen sowie die Integration bestehender Systeme, wie beispielsweise der Ampelsteuerung.
Der Weg zu einem echten digitalen Zwilling einer Stadt wird letztlich über offene Plattformen führen, in die Daten aus den verschiedensten Quellen einfließen können: Sensordaten, Informationen von vernetzten Fahrzeugen aber auch von Handys der Fußgänger und Radfahrer. Je mehr Daten aus unterschiedlichen Quellen einfließen, desto realistischer wird das Abbild der Stadt. Damit steigt allerdings auch der Bedarf an Big-Data-Infrastruktur und die Einbindung von künstlicher Intelligenz wird notwendig werden, um die Komplexität in den Griff zu bekommen.
Doch Verkehr endet nicht an den Stadtgrenzen. Vielmehr kommt dieser Schnittstelle eine wichtige Bedeutung zu, unter anderem durch Berufspendler, Schüler und andere Gruppen, die sich regelmäßig zwischen ländlichem und urbanem Raum bewegen. Der öffentliche Nahverkehr auf dem Land ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen und es wird nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht, um die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren.
Der Ausbau des Nahverkehrs auf dem Land stellt jedoch eine komplexe Herausforderung dar. Schließlich sollen die Angebote für Betreiber und Kunden gleichermaßen attraktiv sein. Linien sollen möglichst regelmäßig verkehren, aber auch gut ausgelastet sein, damit sie für die Betreiber nicht unwirtschaftlich werden. Um diesen Ausgleich herzustellen, sollten Verkehrsplaner ebenfalls belastbare Datenmodelle nutzen.
Auf dieser Basis können sie zum Beispiel analysieren, zu welchen Uhrzeiten und an welchen Orten der Bedarf an ÖPNV-Verbindungen hoch ist – Betriebe, deren Mitarbeiter im Schichtdienst arbeiten, oder Schulen können hierauf Einfluss haben. In Simulationen können auch die Standorte von Haltestellen verlegt werden und geänderte Linienführungen analysiert werden.
Zeigen die Simulationen, dass das erwartete Fahrgastaufkommen zwar regelmäßig, aber gering ausfällt, sollten Verkehrsunternehmen auch über Alternativen zum klassischen Omnibus nachdenken, wie beispielsweise Kleinbusse. Inzwischen kommen auch immer häufiger autonome Fahrzeuge für den Transport von Personen zum Einsatz. Sie sind zwar aktuell noch in Kapazität und Radius beschränkt, könnten aber zukünftig auch für kürzere Überlandverbindungen in Frage kommen. Diese Form des Transports adressiert außerdem das Problem des Fahrermangels. Autonome Fahrzeuge müssen allerdings in eine solide Datenstruktur eingebettet sein, da sie unentwegt mit der Umwelt kommunizieren müssen.
Innovative digitale Technologien spielen eine entscheidende Rolle für die Energiewende – sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Kommunen und Verkehrsunternehmen sollten die Möglichkeiten, die ihnen Big Data und digitale Zwillinge bieten, nutzen, um einen effizienteren ÖPNV zu schaffen und die verschiedenen Arten des Verkehrs besser in Einklang zu bringen. Sollen zukünftig auch vermehrt autonome Fahrzeuge eingesetzt werden, ist eine solide Dateninfrastruktur ohnehin Pflicht.
Madeleine Samios
ist European Head of Automotive & Mobility Delivery bei Endava. Sie blickt auf viele Jahre Berufserfahrung in der Verwaltung komplexer Webportallösungen, mobiler Apps und E-Commerce-Anwendungen zurück und leitete zuvor Projektmanagement- und Entwicklungsteams bei Exozet.