Neue industrielle Revolution nach I4.0

Bei Industrie 5.0 soll der Mensch im Mittelpunkt stehen

3. Juni 2024, 15:00 Uhr | Andreas Knoll
Prof. Oliver Riedel, Fraunhofer IAO / Institut für Steuerungstechnik der Universität Stuttgart: »Nötig sind Filter, um die Komplexität auf das richtige Maß zu reduzieren.«
© Fraunhofer IAO

Bei den bisherigen vier industriellen Revolutionen ging es vor allem um Effizienzsteigerung und Kostensenkung. Im Rahmen von Industrie 5.0 rücken erstmals die Bedürfnisse von Mensch und Planet in den Mittelpunkt. Der Verbindungstechnik-Hersteller Lapp arbeitet daran, Industrie 5.0 umzusetzen.

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Industrie 4.0 ist noch nicht durchgängig Realität, da kommt schon die nächste industrielle Revolution daher: Industrie 5.0. Tatsächlich soll sie einen Paradigmenwechsel markieren. Was damit gemeint ist, erläutert Prof. Oliver Riedel, der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und Leiter des Universitäts-Instituts für Steuerungstechnik in Stuttgart, mit einer Anekdote. Vor einigen Jahren hatte ihn ein Freund aus Japan gefragt: »Was ist Industrie 4.0?« Riedel erzählte von der Vernetzung von Dingen und Cyber-Physical Systems, so wie es sich die Plattform Industrie 4.0 ausgedacht hatte, als sie den Begriff 2011 in der Öffentlichkeit lancierte und damit zunächst einen Hype und dann einen Trend auslöste. Der Freund ließ nicht locker: »Und wo bleibt da der Mensch?« Riedel musste eingestehen: In Deutschland habe man sich viel damit befasst, wie Maschinen untereinander kommunizierten, aber nicht, wie sie mit Menschen kommunizierten und überhaupt, was das den Menschen bringe. Wobei das IAO schon früh die Lücke erkannt hatte. Mit dem Leitspruch Mensch-Technik-Organisation legte das Institut bereits 1981 die Basis für das, was nun als Weiterentwicklung von Industrie 4.0 – Industrie 5.0 – gesehen wird: Technik, die dem Menschen dient und mit sozialen Aspekten und nachhaltigem Wirtschaften verbunden ist.

Japan ist schon weiter

In Japan ist das nichts Neues. Im Jahr 2016 stellte die japanische Regierung das Konzept »Society 5.0« vor. Es handelt sich dabei um »eine auf den Menschen ausgerichtete Gesellschaft, die ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und der Lösung sozialer Herausforderungen durch ein System herstellt, das den Cyberspace und den physischen Raum stark integriert«. Industrie 5.0 will dies nun auch in Europa aufgreifen. Der Fokus liegt erstmals in der Historie der industriellen Revolutionen auf dem Wohl der Menschen und nicht mehr allein auf der Maximierung der Digitalisierung und Maschinenvernetzung zur weiteren Effizienzsteigerung, wie es bei Industrie 4.0 noch der Fall ist. Menschen sollen nicht mehr durch Maschinen ersetzt werden; sie sollen vielmehr befähigt werden, ihre Arbeit besser zu bewältigen. Wobei »besser« eben nicht wieder nur »effizienter« meint, sondern auch eine Arbeit, die als sinnstiftender empfunden wird und die den Schutz von physischer und psychischer Gesundheit zum Ziel hat.

Die Kehrseite: Damit nimmt die technische Komplexität in Fabriken weiter zu, und der Mensch hält kaum noch Schritt. Deshalb brauche es Filter, um die Komplexität auf das richtige Maß zu reduzieren, fordert Riedel. Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) könnten den Menschen unterstützen. Doch umgekehrt sei auch KI auf menschliche Unterstützung angewiesen. Mit den neuen KI-Studios, der Experimentalumgebung in der Modellfabrik und auch den themenzentrierten Innovations-Netzwerken habe das IAO Transformationsformate für die Industrie im Angebot.

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Familienunternehmen können Vorbild sein

Hubertus Breier, Vorstand für Technik und Innovation bei Lapp
Hubertus Breier, Lapp: »Wir legen in unserer Strategie den Fokus darauf, wie neue Technologien nicht nur effizient für unsere Produktion einsetzbar sind, sondern auch unsere Mitarbeitenden bestmöglich unterstützen können.«
© Lapp

Der Institutsleiter des IAO sieht Familienunternehmen wie Lapp gut gerüstet. »Weil unsere Mitarbeitenden der wichtigste Erfolgsfaktor für Lapp sind, legen wir in unserer Strategie den Fokus darauf, wie neue Technologien nicht nur effizient für unsere Produktion einsetzbar sind, sondern auch unsere Mitarbeitenden bestmöglich unterstützen können – also beispielsweise, wie Mensch und künstliche Intelligenz in Arbeitsprozessen zusammenarbeiten«, sagt Hubertus Breier, Vorstand für Technik und Innovation bei Lapp.

KI-Anwendungen erleichtern schon heute die Arbeit. Bei der elektronischen Kontoauszugsverarbeitung werden Kontoauszüge in der Nachbearbeitung bei Lapp vollautomatisch von der Cloud interpretiert. Auch das Supply Chain Management setzt bei der Suche nach neuen Lieferanten auf eine KI-Lösung: Die dort eingesetzte Software kann in Hochgeschwindigkeit das Internet durchforsten, findet Lieferanten auf der ganzen Welt, bewertet sie und generiert eine Liste mit den vielversprechendsten Unternehmen. Diese kann das Einkaufsteam dann gezielt ansprechen.

Verkürzte Laufwege

Dr. Susanne Krichel, Leiterin Innovation & Advanced Technology bei Lapp
Dr. Susanne Krichel, Lapp: »Unsere Technologie soll Komplexität reduzieren und den Menschen auch beim Kunden das Leben erleichtern.«
© Lapp

Ein weiteres Beispiel befindet sich im französischen Kabelproduktionswerk der Lapp-Gruppe, den Câbleries Lapp SARL im französischen Forbach. Dort wurde die Ader-Produktionslinie optimiert. Traditionell ist das Layout einer solchen Produktion in einer Linie aufgebaut. Das bedeutet lange Laufwege für die Mitarbeitenden. Der neue Aufbau ist in einer U-Form angeordnet, um die Menschen herum. Das verkürzt die Laufwege für die Mitarbeitenden um 96 Prozent, reduziert die Umrüstzeiten von zehn auf sechs Minuten, und die Maschine kann fast 50 Prozent schneller produzieren.

Eine Erleichterung für Kunden ist »Etherline Guard«, eine kleine Box, die anhand der Übertragungsqualität eines Datenkabels einschätzt, ob das Kabel demnächst ausgetauscht werden sollte. Oder der Health Check Service für Datennetze, der unter anderem EMV-Probleme aufspürt und Verbesserungen vorschlägt. Eine Neuerung aus dem Innovationsteam bei Lapp ist auch die smarte Kabeltrommel, die automatisch Nachschub bestellt, wenn das Kabel darauf zu Ende geht.

»Unsere Technologie soll Komplexität reduzieren und den Menschen auch beim Kunden das Leben erleichtern«, fasst Dr. Susanne Krichel, Leiterin Innovation & Advanced Technology bei Lapp, zusammen. »Während in Japan dieses Thema bereits ein alter Hut zu sein scheint, haben wir noch einiges aufzuholen. Dass dieser Ansatz nun auch bei uns in der Industrie so viel Gewichtung erhält, zeigt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und wir leisten einen Beitrag für eine lebenswertere Welt.«


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