Gegen die Bologna-Reform formierte sich anfangs viel Widerstand. Sie brachte zwar Rekordmengen an Studienanfängern, aber den Dipl.-Ing. als klassischen Abschluss zum Verschwinden. Wie ist die Lage heute?
Die Bologna-Erklärung wurde am 19. Juni 1999 von Bildungsministern führender Europäischer Staaten in der Universität Bologna unterzeichnet. Bis die Kultusminister in Deutschland per Gesetz festgelegt hatten, dass die Abschlüsse der Universitäten und der Fachhochschulen gleichwertig sein sollten, dauerte es noch bis 2003.
Die Reform brachte zwar Massen an Studienanfängern, aber vor allem Technische Universitäten auf die Palme. Sie sahen ihr Renommee gefährdet, sorgten sich um die Grundlagenforschung und den Abstand zu den Fachhochschulen. Sie wollten aus Qualitätsgründen keinen Bachelor-Abschluss an ihren Forschungsuniversitäten. Ihr Argument: nach nur drei Jahren könne man an einer Forschungsuniversität noch kein vollwertiger Ingenieur sein. Der VDE sekundierte und sah die technische Tiefe und den Wissenschaftsstandort in Deutschland in Gefahr.
Die Sorge vor »Schmalspur-Ingenieuren«, einem »Dipl.-Ing. light«, als die der Bachelor (als erster akademischer Grad und berufsqualifizierender Abschluss eines zweistufigen Studienmodells) auf den Arbeitsmarkt entlassen werden würde, war auch unter Wissenschaftsvertretern groß. Sie sparten damals nicht mit Kritik, genauso wie frisch gebackene Diplom-Ingenieure von den FHs, die plötzlich tariflich auf Höhe des neu geschaffenen Bachelor (mit 2-3 Semestern weniger) eingestuft wurden.
Personaler fürchteten die vielen, unterschiedlichen Schwerpunkte und Vertiefungen, die die Kombination aus Bachelor und Master nun möglich machte: Wo ist Ingenieur drin, wo doch keiner mehr draufsteht?
Der damalige TU9-Präsident Prof. Ernst Schmachtenberg von der RWTH Aachen sagte 2010 im Markt&Technik-Interview: »Genau genommen könnten Sie die Bezeichnung Bachelor und Master wie eine Mengenbezeichnung sehen, also etwa die 1l und die 2l-Flasche. Sie sagt aber nichts dazu aus, was drin ist, Milch oder Wein etwa.«
Zeigt sich die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft vbw zum 25. Jahrestag zufrieden mit Bologna.
Die Studiengänge seien durchlässiger und vergleichbarer, zahlreiche Studierende kämen früher auf den Arbeitsmarkt. »Davon profitieren unsere bayerischen Unternehmen auf der Suche nach akademisch qualifizierten Fachkräften«, lobt Chef Bertram Brossardt. Der altehrwürdige Abschluss »Diplom-Ingenieur« ist nur noch an vereinzelten HAWs im Osten möglich, die allermeisten Universitäten und Hochschulen verleihen Bachelor- und Master-Abschlüsse.
Ausbaufähig ist - im Sinn der Wirtschaft - die Menge an Absolventen, die als Bachelor ins Berufsleben einsteigen. Von den erhofften 80 Prozent für den Arbeitsmarkt ist man offenbar noch entfernt: Brossardt zufolge werde noch häufig der Master angehängt. »Dadurch ist die Zahl erwerbstätiger Bachelor-Absolventen noch nicht so hoch, wie wir uns das für die Fachkräftesicherung unserer Unternehmen wünschen.«
Zu weniger Abbruchquoten in den Ingenieurwissenschaften hat die Reform nicht geführt. Aktuell stellt der Landesrechnungshof Baden-Württemberg die Wirtschaftlichkeit »brotloser« Studiengänge in Frage. Er stellte bei einer Überprüfung von mehr als 700 Masterstudiengängen an Unis und anderen Hochschulen fest, dass es landesweit mehr als 120 Studiengänge (etwa Ägyptologie) gibt, für die sich jährlich jeweils weniger als zehn Personen einschreiben. Unter diesem Gesichtspunkt gelten aber inzwischen auch Studiengänge für Elektro- und Informationstechnik als gefährdet.
Ein Ziel von Bologna war ja, eine bessere Studierbarkeit zu erreichen«, erklärt VDE-Arbeitsmarktexperte Dr.-Ing. Michael Schanz. Schlimm findet er, dass der Ingenieurbegriff quasi entkoppelt worden sei vom Studium. »Ich kann mir gut vorstellen, dass viele unserer Studierenden nicht einmal mehr wissen, dass sie sich im Anschluss ans Studium Ingenieurin oder Ingenieur nennen dürfen.«