Wie kann die Distribution die künstliche Intelligenz im Unternehmen einsetzen? Viele Distributoren reagieren auf die Frage noch verhalten oder halten sich bedeckt. Doch auch von konkreten Anwendungen wird berichtet.
Als Vertriebspartner müssen bzw. dürfen sich die Distributoren vielschichtig mit der KI befassen: als Channel und technischer Ansprechpartner für die KI-Produkte ihrer Hersteller und mit dem Blick auf die hauseigenen Prozesse, das Online-Angebot und die Schnittstellen zum Kunden. Hier sehen Experten jede Menge Potenzial, etwa bei der Forecast-Analyse und den Lieferketten.
Von den großen Volumendistributoren nahmen Arrow und Rutronik Stellung zu der Frage, inwieweit sie sich mit KI beschäftigen bzw. in welchen Bereichen dort KI bereits eingesetzt wird. So berichtet Andreas Mangler, Director Strategic Marketing von Rutronik, dass Rutronik schon seit einigen Jahren KI- und ML-Tools einsetzt: »Dabei unterscheiden wir grundsätzlich zwei Anwendungsfelder. Zum einen sind es interne KI-Tools, die zur Prozessanalyse, Effizienzsteigerung und Prozessoptimierung im Anwendungsfeld CRM, SCM sowie ERP dienen, und zum anderen sind es ML-Tools, die in unseren Rutronik-System-Solutions-Boards auf der Embedded-Ebene implementiert sind – im Anwendungsfeld Embedded-Edge-Intelligence mit oder ohne Cloud-basierte Daten. Hier können unsere Kunden direkt von unseren Proof-of-Concepts und den ML-Tools profitieren. Unsere neueste ML-basierte Entwicklung ist die sogenannte Elektronische Nase zur Bestimmung von flüchtigen organischen und gemischt anorganischen Stoffen.«
Jörg Strughold, President EMEA Components von Arrow, ist der Ansicht, »dass KI langfristig einen großen Einfluss auf unsere Industrie haben wird, aber wir stehen noch am Anfang. Der Hype-Zyklus beginnt sich zu beruhigen. Unternehmen, die KI-Anwendungen in Betracht ziehen, befassen sich nun mit der praktischen Realität. Von den neuen Chips für schnellere Rechenleistung über Energiemanagement-Lösungen bis hin zu den qualifizierten Daten, die für eine zuverlässige generative KI erforderlich sind, befindet sich ein ganzes Ökosystem in der Entwicklung.« Für Arrow unterscheide sich die Sicht auf KI aber nicht von der Sicht auf die vielen anderen technologischen Durchbrüche, die der KI vorausgingen. »Die Einführung neuer Technologien wird immer durch eine Reihe anderer Technologien unterstützt. Während sich das KI-Ökosystem weiterentwickelt, wird Arrow seinen Kunden stets dabei helfen, die zugehörigen Technologien auf praktische Weise zusammenzuführen«, so Strughold.
KI-gesteuerte Tools spielen bei den Online-Distributoren insbesondere für die Finessen der Website bereits eine große Rolle, wie Conrad, DigiKey und Mouser bestätigen. DigiKey setzt künstliche Intelligenz in verschiedenen internen Anwendungen ein, insbesondere bei der Pflege der Website, bei Suchfunktionen und bei der Datenautomatisierung. »Wir beobachten auch die sich wandelnden Marktanforderungen, da der Bedarf an Technologien, die mit der Entwicklung Schritt halten, steigt, einschließlich Supercomputern und KI-Chips«, erklärt Hermann Reiter, Senior Director für EMEA Supplier Business Development von DigiKey. Auch beobachte man laut Reiter die Zunahme des maschinellen Lernens und der KI in immer mehr Anwendungen und sehe dies als ebenso wichtig an, um das Innovationstempo zu beschleunigen. »Die Nutzung von ML und KI im Edge-Bereich führt zu weniger Datenübertragung, weniger Sicherheitsrisiken, schnelleren Reaktionszeiten und geringerem Stromverbrauch. Wir stellen fest, dass die Anwendungen für Edge-Computing immer zugänglicher werden und zu robusteren und wirkungsvolleren Lösungen führen«, so Reiter weiter.
Nach den Worten von Mark Burr-Lonnon, Senior Vice President of Global Service & EMEA and APAC Business bei Mouser Electronics, prüft jede Abteilung, wie sich KI am Arbeitsplatz am besten nutzen lässt. Darüber hinaus kommt KI insbesondere für die Webseiten von Mouser zum Einsatz. Die Online-Ressourcen und Nachrichten sind in einer Vielzahl von Sprachen verfügbar. KI-gesteuerte Tools dienen laut Burr-Lonnon dazu, die ersten Phasen des Übersetzungsprozesses zu unterstützen und schnelle Übersetzungen zu ermöglichen: »Wir wissen, wie wichtig es ist, dass unsere Informationen für alle zugänglich sind, und stellen gleichzeitig sicher, dass die Branchenterminologie prägnant und lokalisiert ist. Zur Qualitätskontrolle setzen wir Muttersprachler ein, die sicherstellen, dass die bereitgestellten Informationen klar und präzise sind.«
»Unser aller Ziel ist es, unseren Kunden und Partnern bestmöglichen Service zu bieten und Prozesse zu optimieren. Der Einsatz von KI hat in diesem Zusammenhang höchste Priorität, und natürlich nutzen wir sie – beispielsweise in Form eines Prognosetools im Rahmen der Personalplanung in unserer Logistik«, schildert Ralf Bühler, CEO von Conrad. Den Sellern auf dem Conrad Marketplace stellt der Distributor außerdem KI-unterstützte Dashboards zur Verfügung, und auch die Anzeige von Alternativprodukten im Conrad-Online-Shop wäre ohne KI nicht möglich. »Entscheidend ist jedoch, dass künstliche Intelligenz kein Selbstzweck ist, sondern nur dann genutzt werden sollte, wenn sie einen echten Mehrwert bringt. In diesem Fall kann sie uns allen den Rücken freihalten und uns mehr Zeit für das einräumen, was nur wir Menschen können: den direkten und persönlichen zwischenmenschlichen Kontakt.«
Auch bei RS läuft nach Auskunft von Ralf Hellwig, Managing Director DACH von RS, ein unternehmensinternes Programm, um die Potenziale von KI auszuloten. »Gleichwohl gelten für uns hohe Standards in puncto Qualität, Service und Zuverlässigkeit. Sie dürfen bei allen zukünftigen Lösungen keinesfalls in Mitleidenschaft gezogen werden«, stellt Hellwig klar.
Auch bei den Spezialdistributoren macht man sich Gedanken über den Einsatz von KI, wägt aber auch genau ab, wo in Zukunft investiert werden soll. Michael Denner, Geschäftsführer von Gudeco, kann sich beispielsweise das Einrichten einer API-Schnittstelle vorstellen, »um unseren Kunden den täglichen Austausch unserer und deren Daten zu ermöglichen«.
Potenzial sieht auch Thomas Gerhardt, Geschäftsführer von Glyn, in der KI: »Zum Entwickeln von Texten wird bereits sehr häufig ChatGPT eingesetzt. Die Rohtexte kann man oft schon sehr gut gebrauchen. Natürlich muss dann noch ein kompetenter Mensch die Fakten überprüfen und den Feinschliff machen. Ich glaube nicht, dass die künstliche Intelligenz Arbeitsplätze ersetzt. Vermutlich wird eher ein Mensch mit KI einen anderen Menschen ohne KI ersetzen, und zusätzlich werden viele neue, hochinteressante Jobs entstehen.« Auch im Bereich Softwareentwicklung für Glyns internes System verwendet der Distributor erste KI-Tools. Das erleichtere die Dokumentation von Quelltexten und helfe auch beim Schreiben von Code. »Wir halten die Augen offen, ob es noch andere konkrete Anwendungsfälle gibt. Bei Stamm- und Bewegungsdaten ist sicher auch noch einiges denkbar. Allerdings haben wir als Spezialist nicht die riesigen Datenmengen wie andere. Bei uns ist es übersichtlicher, und deshalb geht das Meiste – vermutlich sogar besser – mit natürlicher Intelligenz, Menschlichkeit und Kreativität. Irgendwie zeichnet uns das ja auch als Gegenentwurf zur kompletten Automatisierung ganz besonders aus«, resümiert Gerhardt.