Mit dem Erprobungsfahrzeug auf Basis einer teilautomatisierten S-Klasse wurden Testfahrten in Deutschland, China, Australien, Südafrika und den USA durchgeführt. Die Unterschiede in den Ländern geben einen kleinen Einblick in die Komplexität globaler Herausforderungen bei der Entwicklung von automatisierten und autonomen Fahrfunktionen. Insbesondere die landesspezifischen Besonderheiten bei Infrastruktur, Verkehrsregeln sowie dem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer stellen unterschiedliche Anforderungen an die Sensorik und die Algorithmen des Fahrzeugs. Zudem wird deutlich, wie wichtig hochauflösende Karten für die Entwicklung höherer Automatisierungsstufen werden könnten.
Allein bei Verkehrsschildern zur Geschwindigkeitsbegrenzung gibt es viele unterschiedliche Varianten. So haben sie beispielsweise in den USA eine grundlegend verschiedene Form und Größe als die in Europa und China üblichen runden Metallschilder. In Australien werden zunehmend elektronische Displays mit variablen Geschwindigkeitsbegrenzungen eingesetzt. Dabei weisen spezielle Anzeigen auf das aktuell geltende Tempolimit hin. Sie sind mit leuchtend weißen LEDs, einem roten LED-Ring und einer gelben LED-Warnleuchte ausgestattet und können neben Geschwindigkeitsbegrenzungen auch einfache Symbole und Buchstaben abbilden. In einigen Fällen werden sie nacheinander positioniert und können ihre Anzeige innerhalb kurzer Zeit ändern. Dies erhöht die Anforderungen unter anderem an die Multi Purpose Camera (MPC) und die Qualität der digitalen Karten. Ebenso anspruchsvoll sind Tempolimits, die nur zu bestimmten Uhrzeiten oder sogar Daten gelten.
Ein prägnantes Beispiel für länderspezifische Verkehrszeichen und -regeln ist das Hook Turn-Schild im Stadtzentrum von Melbourne. Es regelt den Abbiegevorgang auf Straßen, die auch von Straßenbahnen befahren werden. Wer im dortigen Linksverkehr rechts über die Bahngleise hinweg abbiegen will, muss auf die äußerste linke Spur wechseln und zunächst den Geradeausverkehr und die Straßenbahn passieren lassen, bevor er rechts abbiegen darf. Die Kreuzung kann erst überquert werden, wenn die eigene Ampel auf Rot und die des Querverkehrs auf Grün umschaltet. Die Sensoren und Algorithmen eines automatisierten und autonomen Fahrzeugs müssen in der Lage sein, dieses Schild zu erkennen, den Kontext des komplexen Abbiegevorgangs zu verstehen und andere Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen.
Auch Fahrbahn- und Spurmarkierungen sind weltweit nicht standardisiert. Der Zebrastreifen hat zum Beispiel in China eine doppelte Bedeutung. In der Stadt markiert er einen Fußgängerüberweg, auf der Autobahn zeigt er dagegen den Mindestabstand zwischen hintereinander fahrenden Fahrzeugen an. Auf mehrspurigen Interstates und Freeways in den USA existieren häufig eigene Fahrspuren für Fahrgemeinschaften ab mindestens zwei Personen. Sie können sowohl durch zwei gelbe, durchgezogene Linien als auch durch Metallplanken von den anderen Spuren getrennt sein. Für die Fahrzeugsensorik ist es unter Umständen schwer, sie als spezielle Fahrspuren zu erkennen und richtig zu interpretieren. Darüber hinaus gibt es in den USA die sogenannten Botts‘ Dots. Diese Punkte zur Spurmarkierung aus Kunststoff oder Keramik stellen ebenfalls besondere Anforderungen an die Spurerkennung. Daher plant Kalifornien als erster Bundesstaat, die Botts‘ Dots abzuschaffen und die Spurmarkierungen für das zukünftige autonome Fahren zu vereinheitlichen.
Erschwerend kommt hinzu, dass in manchen Ländern Beschilderungen und Fahrbahnmarkierungen teilweise fehlen. So ist es selbst für routinierte Fahrer an einigen Mega-Kreuzungen und in mehrspurigen Kreisverkehren in der chinesischen Metropole Shanghai schwierig, ohne Fahrbahnmarkierungen die richtige Spur zum Abbiegen auszuwählen. In Südafrika stellen fehlende Stopp- oder Warnschilder vor Bodenschwellen zur Geschwindigkeitsbegrenzung Herausforderungen an die Leistungsfähigkeit der Sensorik sowie die Qualität digitaler Kartendaten dar.