Fraunhofer-Forschende haben ein System entwickelt, das die kognitive Belastung beim Steuern eines Autos mithilfe von Sensoren und KI überwacht. Wenn die Belastungsgrenze erreicht ist, könnten elektronische Systeme künftig den Menschen entlasten.
Autofahren erscheint so selbstverständlich, dass vielen kaum bewusst ist, welche enormen Informationsmengen der Mensch am Steuer verarbeiten muss. Das Display meldet Werte wie Geschwindigkeit, Drehzahl und Tankfüllung, das Navi zeigt die Route an. Ampeln, Straßenschilder und andere Verkehrsteilnehmer sind zu beachten. Hinzu kommen eventuell die Unterhaltung mit dem Beifahrer oder die Nachrichten im Autoradio. Gefährlich kann es werden, wenn der Fahrer die Grenze seiner kognitiven Belastungsfähigkeit erreicht – und dann in einer kritischen Verkehrssituation blitzschnell die richtige Entscheidung treffen muss.
Forschende des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen arbeiten an einem System, das Menschen bei komplexen Tätigkeiten in unterschiedlichen Anwendungen oder Situationen unterstützt und dabei ihre kognitive Belastungsgrenze berücksichtigt. Sie entwickeln hierfür zwei Technologien – einerseits ein Sensor-Netzwerk, das Biosignale wie Puls, Atemfrequenz oder Bewegungen misst, und andererseits KI-gesteuerte Algorithmen, die erkennen, wenn ein Mensch die Grenze seiner individuellen kognitiven Belastungsfähigkeit erreicht. Die Auswertung der Biosignale wurde mithilfe von Studien entwickelt, in denen der Zusammenhang zwischen Biosignalen und kognitiver Belastung bei Probandinnen und Probanden untersucht wurde.
Im praktischen Einsatz könnte das System beispielsweise dafür sorgen, dass die Fahrzeugelektronik dem Fahrer oder der Fahrerin bestimmte Aufgaben abnimmt und damit die Komplexität reduziert, oder einfach eine Pause an der nächsten Raststätte empfehlen.
Um das Konzept zu realisieren, haben die Fraunhofer-Forschenden das Sensor-Netzwerk maphera entwickelt. »Wir haben eine Vielzahl unterschiedlicher Sensoren in ein System integriert, das nicht nur im Labor funktioniert, sondern mobil und damit in verschiedensten Anwendungskontexten einsetzbar ist. Dementsprechend ist maphera modular aufgebaut.
Je nach Anwendung oder Bedarf kombinieren wir ganz unterschiedliche Sensoren miteinander«, betont Norman Pfeiffer, Gruppenleiter Medizinische Sensorsysteme am Fraunhofer IIS. Die Sensorsysteme lassen sich in Textilien oder in Armbänder und sogenannte Smart Patches einbauen – intelligente, meist hautaufklebbare Sensoren, die kontinuierlich Biosignale überwachen. Übertragen werden die Daten via Bluetooth Low Energy.
Was simpel klingt, birgt eine technische Herausforderung: Denn verschiedene Sensoren sind auch mit Mikrocontrollern ausgestattet, die jeweils Unterschiede in den Taktfrequenzen aufweisen. Bei einer Kurzzeitmessung ist das kein Problem. Doch bei einer Nutzung während einer Autofahrt oder im Bereich der Arbeitssicherheit laufen die Messungen häufig über mehrere Stunden. Die zeitlichen Drifts addieren sich, und die Biosignale werden asynchron, das heißt, sie lassen sich nicht mehr demselben Zeitpunkt zuordnen.
Den Fraunhofer-Forschenden ist es gelungen, die zeitlichen Drifts der Mikrocontroller beim Sammeln der Sensordaten einzuberechnen. »Bei unserem System sind die Daten mit einer Toleranz von nur 30 Mikrosekunden synchron«, sagt Pfeiffer. Deshalb wurde auch der Projektname maphera gewählt: Das Wort kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie »gleichzeitig übertragen«.
Der zweite Teil des Forschungsvorhabens konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen Biosignalen und kognitiver Belastung: Die Probandinnen und Probanden sitzen jeweils in einer Expositionskabine, in der sie ungestört von äußeren Einflüssen wie Temperaturänderungen, Zugluft oder Lärm sind.
Hier lösen sie Aufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Dazu dürfen die Versuchspersonen Computerspiele spielen. Als Koch oder Küchenkraft im Sushi-Restaurant nehmen sie Bestellungen auf und stellen ein Sushi-Gericht zusammen. Mit der Zeit steigen die Zahl der Bestellungen und die Komplexität der bestellten Gerichte. Währenddessen registrieren Sensoren die Biosignale des Körpers. Die so erfassten Daten werden gesammelt und mit dem sogenannten n-back-Test kombiniert, ein Standardtest der Psychologie, der kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Erinnerungsvermögen prüft. Im Anschluss an die Tests folgen individuelle Interviews mit den Versuchspersonen.
Dr. Nadine Lang-Richter, Gruppenleiterin Medizinische Datenanalyse am Fraunhofer IIS, sagt: »Im letzten Schritt führen wir alle Informationen zusammen und analysieren diese mithilfe von KI-Algorithmen, die wir selbst entwickelt haben. Damit erstellen wir ein individuelles kognitives Belastungsprofil des Menschen.«
Solche Systeme könnten Autofahrer mit Sensoren, darunter auch Kameras, beobachten und beim Erreichen der kognitiven Belastungsgrenze eingreifen. Automobilhersteller haben großes Interesse an der Technik, denn im Rahmen einer EU-Verordnung sind ab 2026 kamerabasierte Driver-Monitoring-Systeme in Neuwagen vorgeschrieben. Diese sollen prüfen, ob der Mensch am Steuer aufmerksam ist.
Weitere Einsatzgebiete für die Fraunhofer-Technologien sind im Flugverkehr denkbar. Bei Piloten könnte das individuelle Belastungsprofil die Ausbildung ergänzen und optimieren. In Zukunft wäre sogar ein Einsatz im Operationssaal denkbar. Gerade langwierige Operationen, die über viele Stunden Höchstleistung und Konzentration erfordern, könnten durch solche Monitoringsysteme sicherer werden.