Neben der sehr genauen Lokalisierung durch die Zustandsschätzung ist es durch die Schätzung der Fahrzeugorientierung, Geschwindigkeit und Position möglich, ein nahezu reales Abbild der Strecke zu generieren. Dadurch kann im weiteren Rennverlauf die Ideallinie und ein Geschwindigkeitsprofil im Grenzbereich des Fahrzeugs definiert werden. Die Planung der optimalen Rennlinie setzt allerdings eine zuverlässige Erkennung einer geschlossenen Runde voraus, sodass anschließend von dem Startpunkt aus der Bewegungspfad geplant werden kann. Die Erkennung muss dabei sowohl sehr zuverlässig als auch sehr effizient ausgeführt werden. Durch die hohen Datenraten des OxTS RT4003 bei Position und Geschwindigkeit mit bis zu 200 Hz, kann das Ende der Runde genau und sehr schnell detektiert werden.
Eine Runde ist oftmals durch sehr enge Kurven mit großen lateralen Kräften auf einer Streckenlänge von bis zu 1 km gekennzeichnet. Trotz der Grenzbedingungen ist es mit dem genannten Messsystem möglich, über die gesamte Distanz sowohl eine exakte Positionierung als auch eine genaue Kartierung zu erhalten – was eine zuverlässige Erkennung des Rundenschlusses zulässt. Nach einer Initialisierungszeit von nur wenigen Stunden bewegt sich die geringe bis nicht spürbare Drift in der Position des Autos und der Kartenmerkmale über die gesamte Distanz im Bereich weniger Zentimeter.
Das unterscheidet die Lokalisierung des RT4003 von anderen Algorithmen, wie visuelle Lokalisierungs- und Kartierungsmethoden über LiDAR oder Stereokameras. Im Vergleich zu der äußerst komplexen, schwer zu parametrisierenden und rechenintensiven Klasse von Algorithmen erzielt die Messeinheit mit wenig Kalibrierungsaufwand und einfacher Handhabung bessere Ergebnisse (Bild 4).
Nachdem die Streckenkartierung und die Planung der Rennlinie abgeschlossen und die Rennstrecke bekannt ist, ist das Rennfahrzeug nicht mehr limitiert auf die Distanz des lokal erkannten Streckenabschnitts. Auf der einen Seite lässt sich so eine deutlich effizientere Rennlinie mit einem agileren Geschwindigkeitsprofil fahren, auf der anderen Seite erhöhen sich jedoch auch die Anforderungen an die Regelung und Lokalisierung.
Sobald die Rennstrecke bekannt ist, treten aufgrund der im fahrdynamischen Grenzbereich geplanten Trajektorie neue Anforderungen an den Regler des Fahrzeugs auf. Damit in hohen Geschwindigkeitsbereichen und Passagen mit großen lateralen Kräften das Fahrzeug weiterhin stabil auf den geplanten Bewegungspfad bleibt, ist die Optimierung eines klassischen PID (Proportional Integral Derivative Controller)-Ansatzes nicht ausreichend. Der Regler des Fahrzeugs bezieht die Geschwindigkeit, Schwimmwinkel und die lateralen und longitudinalen Kräfte auf das Fahrzeug mit in die Berechnung des neuen Lenkwinkels in der aktuellen Position ein. Dazu ist eine umfangreiche und hochpräzise Schätzung der Eingangsgrößen erforderlich. Das RT4003 vereinheitlicht dazu effektiv die Berechnung und die Bereitstellung der Größen für die autonome Software und stellt gleichzeitig eine enorme Präzision der Werte sicher. Die Genauigkeit ermöglicht es, am theoretisch geplanten und berechneten Limit des Fahrzeugs auf der Rennlinie zu fahren. Außerdem kann auf der Ideallinie durch die präzisen Schätzungen mit einem geringeren Sicherheitsabstand in der Trajektorie geplant werden, da in der Erfassung der Eingangsgrößen eine größere Sicherheit als mit anderen Sensoren kalkuliert werden kann. Insgesamt resultiert das in einem stabileren Regler und gleichzeitig in einer schnelleren Rennlinie.
Durch die diversen Eingangsgrößen ist es möglich, softwareseitig eine aktive Dämpfung der Lenkwinkelkorrektur durch Geschwindigkeitsschätzung in den Regler zu integrieren. Das macht ihn robuster gegen das typisch oszillierende Verhalten eines konventionellen PID-Reglers. Des Weiteren kann durch die Schätzung des Schwimmwinkels der Grenzbereich der Reifen optimal ausgenutzt werden und somit noch mehr Seitenkraft auf die Strecke übertragen werden – resultiert gerade bei sehr kurvigen Rennstrecken in einer deutlich verbesserten Rundenzeit.
Neben der Präzision diverser Sensorgrößen, die als Eingangswerte für den Regler dienen, müssen die Werte zudem in sehr hoher Frequenz zur Verfügung gestellt werden. Nur durch die sehr hohe Ausgaberate von 200 Schätzungen pro Sekunde, kann der »db019« von der recheneffizienten Implementierung des Reglers profitieren, da in jedem Berechnungsschritt der 200 Regelbefehle pro Sekunde neue Schätzungen für alle relevanten Messgrößen vorliegen. Das lässt das Rennauto noch stabiler auf dem Bewegungspfad fahren und sehr agil kleine Regelfehler korrigieren.
Die Validierung des Gesamtsystems in allen Subsystemen ist eine äußerst komplexe Herausforderung. Es ist oft sehr zeitaufwendig oder nicht mit ausreichender Genauigkeit realisierbar, die zugrundeliegenden Lokalisierungen und Positionierungen von Streckengrenzen und der Fahrzeugposition für jeden Zeitpunkt bereitzustellen.
Durch die Positionsgenauigkeit des OxTS RT4003 eignet es sich sowohl als aktiver Teil des autonomen Systems als auch um einzelne Algorithmen, ganze Subsysteme und deren Einfluss aufeinander zu validieren. So können beispielsweise laterale und longitudinale Regelfehler, Kartierungsgenauigkeiten von visuellen Lokalisierungsverfahren und Erkennungsgenauigkeiten der Umgebungswahrnehmung überprüft werden, die auf Machine-Learning-Methoden basieren.
Insgesamt lässt sich das Messequipment sehr vielseitig einsetzen, das sich neben sehr recheneffizienten und sehr schnellen Ausgabefunktionen vor allem auch durch die hohe Genauigkeit in allen bereitgestellten Messgrößen und deren zuverlässige und einfache Integration auszeichnet.
Eva Herrmann
ist Team Manager TUfast Racing Team 2019. Frau Herrmann studiert Maschinenwesen im Bachelor an der TU München und übernahm im Oktober 2018 die Projektleitung und das Management des TUfast Racing Teams.
Julius Rückin
ist Technical Director des autonomen Rennwagens »db019«. Herr Rückin studiert Mathematics in Data Sciences im Master an der TU München. Zu Beginn des Jahres 2019 übernahm er die technische Leitung des Projekts »db019«.