Charakterisierung von Schirmmaterialien

So lässt sich die Schutzwirkung bewerten

20. August 2023, 8:30 Uhr | Nicole Wörner
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Abschirmmaterialien sollen empfindliche Elektronik vor elektromagnetischer Strahlung schützen und Störstrahlung verhindern. Für die richtige Wahl sollten die Wirkmechanismen und wirklich relevanten Materialparameter bekannt sein.

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Von Gunter Langer und Amirali Taghavi, Langer EMV-Technik

Die Wirksamkeit feiner Schirmung wird mit den inneren spezifischen Materialparametern R‘, L‘ und C‘ und deren stofflicher Struktur (Gewebe) bestimmt. Die Wirksamkeit eines massiven, nicht ferromagnetischen Metallschirmes ist von der Leitfähigkeit, vom Skineffekt, der Frequenz und der Materialdicke abhängig. Massive metallische Schirme wirken gut, sind aufgrund der fehlenden Flexibilität aber für viele Anwendungen nicht geeignet. Es werden deshalb Schirme aus leitfähigen Fasern verwendet. Bei diesen sind die inneren, schirmenden Wirkzusammenhänge jedoch wesentlich komplexer.

Geschirmte Kabel werden mit der Transferimpedanz ZT beurteilt. Dabei wird nicht im Einzelnen das Schirmmaterial beurteilt. Denn die Transferimpedanz hängt nicht allein vom Schirmmaterial ab, sondern auch vom Kabelaufbau und vom Aufbau der Messanordnung. Es gilt jedoch, Parameter zu finden, die nur allein das Schirmmaterial charakterisieren.

Die Schirmdämpfung as beschreibt die Dämpfungseigenschaften des Schirmmaterials. Aus as lassen sich materialinterne elektrische Parameter (R‘, L‘ und C‘) und die stoffliche Struktur (Faserstruktur) nicht ermitteln.

Die Aufgabe ist es nun, Parameter und Messsysteme zu entwickeln, mit denen sich die inneren Wirkmechanismen und Materialeigenschaften von Schirmmaterial beschreiben lassen.

Beschreibung der magnetischen Schirmdurchdringung

 Wirkprinzip der Magnetfeldkopplung – dargestellt unter Vernachlässigung des Skineffekts
Bild 1. Wirkprinzip der Magnetfeldkopplung – dargestellt unter Vernachlässigung des Skineffekts
© Langer EMV-Technik

Im Folgenden wird beschrieben, wie ein magnetischer Fluss (Φ) Schirme durchdringen kann. Die Durchdringung folgt frequenzabhängig unterschiedlichen Wirkmechanismen.
 
Auf der Unterseite des Schirmmaterials (Bild 1) wird ein linienförmiger Strom i1 gespeist. Der vom Strom erzeugte magnetische Fluss Φ1 (Gleichung 1, Bild 1) durchdringt frequenzabhängig das Schirmmaterial. Auf der Oberfläche der Oberseite des Schirmmaterials wird die Spannung u2 (Gleichung 2) induziert.

capital phi subscript 1 equals L subscript 12 times space i subscript 1 space space space space space space space space space space space space space space space space space space space space left parenthesis 1 right parenthesis
space u subscript 2 equals omega times space L subscript 12 times space i subscript 1 space space space space space space space space space space space space space left parenthesis 2 right parenthesis space space space

Die Induktivität L12 stellt die Verbindung vom Strom i1 zur Spannung u2 her. Die Induktivität L12 ist infolge des Skineffekts frequenzabhängig. Ihr Verlauf beschreibt die Wirkung des Skineffekts und somit die magnetischen Eigenschaften des Schirmmaterials. Die Spannung u2 kann hinter der Schirmung weitere Störgrößen wie Ströme, Magnetfelder und elektrische Felder auslösen.

Messanordnung mit  treifenleitungen und Messkammer
Bild 2 .Messanordnung mit treifenleitungen und Messkammer.
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Als Nächstes wird die Frequenz- und Strukturabhängigkeit dieses Wirkmechanismus betrachtet. Zur Messung der Induktivität L12 kommt eine spezielle Messkammer zum Einsatz. Bild 2 zeigt den Aufbau der Messkammer. Das Schirmmaterial wird in das metallisch geschlossene Gehäuse der Messkammer eingelegt. Unterhalb des Schirmmaterials befindet sich die 50-Ohm-Streifenleitung 1, deren Strom i1 als Rückstrom durch das Schirmmaterial fließt

 Frequenzgang und induktive Verkopplung der Messkammer ohne Schirmmaterial (i1 = konstant)
Bild 3. Frequenzgang und induktive Verkopplung der Messkammer ohne Schirmmaterial (i1 = konstant).
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Das vom Strom i1 erzeugte Magnetfeld durchdringt entsprechend der Schirmwirkung das Schirmmaterial. Auf der Oberseite des Schirmmaterials befindet sich die 50-Ohm-Streifenleitung 2. In ihr wird durch den magnetischen Fluss Φ1 die Spannung u2 induziert.

Die Induktivität L12 (Gleichung 3) beschreibt, wie viel magnetischer Fluss Φ1 vom Schirmmaterial durchgelassen wird, der dann die Spannung u2 induzieren kann.

L subscript 12 equals u subscript 2 divided by left parenthesis w times i subscript 1 right parenthesis space space space space left parenthesis 3 right parenthesis

Wenn kein Schirmmaterial in der Messkammer liegt (Bild 2), erhält man die Leerlaufinduktivität L12 der Messanordnung (Bild 3). Die Induktivität L12 ist im weiten Bereich konstant. Bei 1 GHz ist das Ende des linearen Frequenzgangs der Messkammer erreicht.

Wirkmechanismen der Magnetfeldschirmung

Abgriff der Spannung u2 mit einer Streifenleitung
Bild 4. Abgriff der Spannung u2 mit einer Streifenleitung.
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Die vom Magnetfeld induzierte Spannung u2 (Bild 4) wird vom Streifenleiter als u‘2 abgegriffen. Sie ist etwas kleiner als die Spannung u2 auf der Oberfläche des Schirmes, da auch Magnetfeld zwischen dem Streifenleiter und dem Schirmmaterial durchdringt. Dieser Effekt wird im Weiteren vernachläs- sigt, dafür wird das Symbol u2 verwendet.

Die im Streifenleiter induzierte Spannung u2 (Bild 5) hängt von der Wirksamkeit der magnetischen Schirmung des Schirmmaterials ab. Die dazugehörige frequenzabhängige Induktivität L12 beschreibt die magnetische Durchdringung des Schirmmaterials. Bild 5 zeigt die induzierte Spannung u2 und die Induktivität L12 für das Schirmmaterial »S10« (Bild 6). Die leitfähigen Fasern des Vlieses bilden kurzgeschlossene Maschen. Aus den Metallkörpern der Fasern wird das Magnetfeld mit steigender Frequenz verdrängt (500 kHz bis 200 MHz).

Wirkmechanismen der Magnetfeldschirmung, Bilder 5-8

Induktive Durchdringung des Schirmmaterials »S10« – einem flexiblen metallisierten Vlies
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Flexibles Schirmmaterial bestehend aus metallisierten Fasern
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Induktive Durchdringung des Schirmmaterials im unteren Frequenzbereich ohne Skineffekt
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Im unteren Frequenzbereich (<1 MHz) besitzt das Schirmmaterial keine dämpfende Wirkung (Bild 5). Die im Streifenleiter induzierte Spannung u2 und die Induktivität L12 entsprechen der leeren Messkammer. Ab ca. 0,5 MHz bleibt die Induktivität der leeren Messkammer konstant bei -169,8 dBH (3,23 nH). Unterhalb 400 kHz steigt die Induktivität scheinbar an. Das hat wahrscheinlich seine hauptsächliche Ursache in einem steigenden Anteil u2, der durch den Einfluss des elektrischen Feldes der Streifenleitung 2 entsteht (wird getrennt betrachtet).

Erstes induktives Wirkprinzip

Schirmmaterials bemerkbar (Bild 7). Die Spannung u2 und die Induktivität L12 nimmt progressiv ab (Bild 5). Die induzierte Spannung erreicht ihren kleinsten Wert bei 200 MHz. Dort beginnt ein neuer Wirkmechanismus der sich der Feld- verdrängung im Metall der Fasern überordnet (Bild 8).


  1. So lässt sich die Schutzwirkung bewerten
  2. Zweites induktives Wirkprinzip

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