EMV/ESD

Simulationen für Highspeed-Elektronik

21. Oktober 2022, 13:20 Uhr | Nicole Wörner
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In mehreren Workshops vermittelte Cadfem Entwicklern bei Liebherr die Grundlagen der Elektroniksimulation. Die wichtigste Erkenntnis: Je komplexer die Aufgabenstellung, desto hilfreicher ist die Simulation zur Bestimmung der richtigen Messmethode.

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html" title="https://www.elektroniknet.de/anbieterkompass/cadfem-gmbh.39034169/index.html">Von Gerhard Friederici, CADFEM

Der Einstieg in die Elektroniksimulation begann in Lindau mit mehreren Simulations-Workshops, die von CADFEM, Spezialist für Simulationslösungen in der Produktentwicklung, organisiert wurden: »Wir haben viel gelernt, nicht nur über Simulation. Den erfahrenen Elektronikentwicklern wurden Wege aufgezeigt, um auch zukünftige Herausforderungen meistern zu können«, erklärt Lars Hummel, der bei Liebherr-Elektronik in Lindau Komponenten für die Luftfahrt entwickelt: »Aber auch die jüngeren beziehungsweise neueren Kollegen konnten einen guten Einstieg in die Welt der Elektroniksimulation finden und einige führten gleich im Anschluss erste Simulationen durch, meist mit thermischen Fragestellungen.«

Die Elektronik-Baugruppen und -Komponenten aus Lindau spielen in zahlreichen Maschinen der gesamten Firmengruppe eine entscheidende Rolle, zum Beispiel in Baumaschinen, in der Luftfahrt oder der Verkehrstechnik. Um das Wissen weiter zu vertiefen und das Nutzenpotenzial möglichst umfassend auszuschöpfen, entstanden im Elektronikbereich drei Simulations-Kompetenz-Center: Thermal-Management, Signalintegrität und Powerintegrität.

Sicherstellung der Signalintegrität bei hohen Frequenzen

Bei Highspeed-Projekten in der Elektronikentwicklung – bei Liebherr in Lindau werden unter anderem Systeme für die Klimatisierung von Flugzeugen sowie die Flug-, Klappen- und Fahrwerkssteuerungen entwickelt – ist die Simulation zwingend notwendig. Denn das Sicherstellen der Signalintegrität ist im hohen Frequenzbereich mit herkömmlichen Messmethoden kaum durchführbar, da die Messungen selbst schon zu erheblichen Verfälschungen des Signals führen können.

Augendiagramm: Grafische Darstellung der Signalintegrität
Augendiagramm: Grafische Darstellung der Signalintegrität
© Liebherr Elektronik

Dazu erläutert Lars Hummel: »In einem aktuellen Vorentwicklungsprojekt für Luftfahrtelektronik bereiten wir uns auf die Entwicklung unserer nächsten Generation von Digitalprodukten vor. Schwerpunkte in dem Vorentwicklungsprojekt sind die Highspeed-Verbindungen zwischen Multi-Core-Prozessor, Arbeitsspeicher, FPGAs und Schnittstellen, die sich teilweise bei den Herstellern selbst noch in der Entwicklungsphase befinden.« Damit die wesentlich höher taktenden Bauteile im System zuverlässig zusammenarbeiten, muss die Liebherr-Entwicklung jetzt neue Herausforderungen meistern, die sich von allen bisherigen gravierend unterscheiden.

Betrachtungsdetails für ein Highspeed-Signal bei einem Lagenwechsel
Betrachtungsdetails für ein Highspeed-Signal bei einem Lagenwechsel.
© Liebherr Elektronik

Dafür reicht es nicht wie bisher üblich aus, sich auf die vorhandenen Layout- und Hardwareerfahrungen zu verlassen. Immer öfter ist es zwingend erforderlich, die neuen kritischen Schaltungskomponenten schon in möglichst frühen Entwicklungsphasen zu simulieren. Dazu werden Entwicklungsschleifen – bestehend aus Simulations- und Optimierungsphasen – solange durchlaufen, bis die Simulationsergebnisse alle Anforderungen problemlos erfüllen. 

Neben der Signalintegrität (zum Beispiel die elektrische Signal-Form, -Pegel und -Jitter) sind auch die Power-Integrität (wie Pufferung und Anschlusswege der Versorgungsspannungen für die Bauteile) sowie das Thermal-Management auf Leiterplattenebene (unter anderem die Chip- und Gehäusetemperatur der Bauteile) wichtige Einsatzbereiche für die Simulation.

Signalintegrität mit Simulation sicherstellen

Mäanderförmiges Design einer Highspeed-Signalleitung zur Einhaltung der Signalintegrität
Mäanderförmiges Design einer Highspeed-Signalleitung zur Einhaltung der Signalintegrität.
© Liebherr Elektronik

Die Architektur eines aktuellen Vorentwicklungsprojekts, das primär auf Highspeed-Design ausgerichtet ist, sieht die Highspeed-Kommunikation zwischen Multi-Core-Prozessor mit FPGAs und zwischen den FPGAs untereinander über einen Highspeed-Datenbus vor. Dieser basiert auf einer seriellen Vollduplex-Punkt-zu-Punkt-Topologie, die aus einem Root-Baustein und mehreren Endpunktbausteinen bestehen. Die bauteilinternen Highspeed-Takt- und -Daten-Schnittstellen entsprechen dem HCSL-Standard (High Speed Current Steering Logic), der speziell für Hochgeschwindigkeits-Datenübertragung definiert wurde. Dabei werden die digitalen Signale differenziell und mit kleiner Spannung übertragen.

HCSL ist der Standard für verschiedene Highspeed-Express-Taktgeber und es handelt sich hier um einen offenen Emitter-Ausgang mit einer Stromquelle von 15 mA, der einen externen Widerstand von 50 Ω gegen Masse benötigt, damit der Ausgang schalten kann. HCSL ist für eine Impedanz von 50 Ω single-ended oder 100 Ω differenzial spezifiziert. Der implementierte Single-Lane-Highspeed-Link besteht aus einem differenziellen Sende- und Empfangspaar, die AC-gekoppelt sind. Die Sende- und Empfangsspuren sind unabhängig voneinander und der Empfänger gewinnt den Takt aus dem Datenstrom zurück. Die Daten sind 8b/10b-codiert und die Übertragungsrate beträgt 2,5 Gbits/s.

Augendiagramm gibt Auskunft über die Signalqualität

De-Emphasis kann am Sender angewandt werden, um Hochfrequenzsi-gnale zu verstärken, damit die Anforderungen an die Augenhöhe am Empfänger erfüllt werden. Mit ANSYS SI-Wave werden die relevanten Signalleitungen aus der ersten Layoutversion importiert und in die Simulation integriert. Neben zahlreichen Parametern kann anhand des Augendiagramms grafisch dargestellt werden, wie die Sendesignale den erforderlichen Werten der Empfängerseite entsprechen bzw. wie viel Jitter und Störabstand vorhanden ist.

Im Augendiagram zeigt die grüne Fläche in der Mitte, die vom Empfänger geforderten Signal-Grenzen (Pegel vs. Zeit). Die simulierten Signale sind hier blau dargestellt und zeigen den zu erwartenden Signalverlauf an, der sich durch diverse Optimierungen im Schaltungsdesign, im Layoutdesign oder auf Sender- bzw. auf Empfängerseite beeinflussen lässt.

TDR-Simulation einer Highspeed-Datenleitung mit kritischen Reflexionen
TDR-Simulation einer Highspeed-Datenleitung mit kritischen Reflexionen.
© Liebherr Elektronik

Um Störungen im Design zu finden, kann mit der SI-Wave-Simulation eine TDR-Antwort (Time Domain Reflectometry) simuliert werden, mit der die Position der Störstellen (großer Ausschlag der Reflexion) für die Übertragung sichtbar werden. Aus dieser TDR-Wellenform ist zu erkennen, dass es – aufgrund von Impedanzänderungen – starke Reflexionen auf der Leiterbahn gibt.

Der Unterschied zwischen den elektrischen Eigenschaften zweier Segmente ist im folgenden Layoutausschnitt die Ursache für eine der großen Reflexionen, die in der TDR-Welle zu sehen sind. Die Parameter der Übertragungsleitung des ersten Segments müssen angepasst werden, damit sie mit dem zweiten Segment übereinstimmen. Dies ist eine erste grobe Anpassung, der eine weitere Feinabstimmung folgen wird.

Mit Simulation lassen sich auch enge Zeitpläne einhalten

»Das Vorentwicklungsprojekt war für uns auch wichtig, um die Entwicklungs- und Simulationsprozesse besser kennenzulernen sowie eventuelle Stolpersteine aufzuspüren und aus dem Weg zu räumen«, betont Lars Hummel. »Wurde der Weg einmal gegangen und dokumentiert, ist es für die Nachfolgenden einfacher, ihn zu gehen und sie kommen viel schneller voran.« Die Simulation spielt auch verstärkt eine Rolle, wenn es darum geht, enge Zeitpläne einzuhalten. Ebenso ist die Simulation ein starkes Argument, wenn es gilt, den Kunden zu überzeugen, dass Liebherr der richtige Entwicklungspartner für die Produkte der nächsten Generation ist. Denn Liebherr kann sowohl das erforderliche Know-how als auch die notwendigen effizienten Werkzeuge präsentieren.

Speziell in der Flugzeugindustrie ist die Zuverlässigkeit der gelieferten Produkte entscheidend, zum Beispiel bei der Signalintegrität. Dazu muss nicht nur die gewünschte Form der Signale geliefert werden, sondern für die geforderten Kennwerte sind auch ausreichende Sicherheitspuffer zu berücksichtigen, um ein robustes System zu erhalten. Das ist mit Simulationen einfacher zu bewerkstelligen. »Früher haben wir oft externe Spezialisten mit Berechnungen beauftragt, konnten aber nur sehr begrenzte Erkenntnisse aus der Simulation ziehen«, berichtet Lars Hummel. »Teils war es schwer die Ergebnisse im Detail zu verstehen und richtig einzuordnen. Außerdem mussten wir, wenn kleine Modifikationen am Simulationsmodell notwendig waren, eine erneute Beauftragung veranlassen. Das war langwierig und aufwendig. Dadurch, dass wir die Simulationen jetzt eigenständig durchführen, erlangen wir das erforderliche Detailverständnis und sind wesentlich flexibler geworden. So werden wir unserem Ingenieursanspruch in vollem Umfang gerecht und erhalten in kurzer Zeit mit der Simulation eine optimale Lösung.«

Mit der Simulation kann schon in der Konzeptphase betrachtet werden, ob die Signalintegrität den jeweiligen Anforderungen entspricht und der gewählte Weg prinzipiell begehbar ist. Mit den in Ansys HFSS durchgeführten Machbarkeitsstudien lassen sich schon viele grundsätzliche Fragen beantworten, beispielsweise: Wie soll die Architektur der elektronischen Steuerungen gestaltet werden? Wie wird mit den Signalen verfahren, wo werden die Verbindungen auf der Leiterplatte platziert? Wo sind Flachbandkabel erforderlich und welche Steckertypen lassen sich verwenden?

Wichtiges Kriterium bei der Powerintegrität ist es, ausreichend Versorgungsleistung zu den einzelnen ICs zu bringen. Mit Simulationen kann analysiert werden, ob der Strom durch alle angebotenen VIAs fließt. Sie zeigt, durch welche Modifikationen eine möglichst gleichmäßige Auslastung erreichbar ist: mit wenigen sehr leistungsfähigen VIAs oder eher mehreren Standard-VIAs in spezieller Anordnung? Bei solchen Fragen liefert die Simulation sehr aufschlussreiche Erkenntnisse für die Auslegung eines robusten Designs, die mit Tests nicht so einfach oder gar nicht erzielbar sind.

Steigende Anforderung und Komplexität mit Simulation meistern

Bisher sind die Layouts basierend auf den umfassenden Erfahrungen der Entwickler bei Liebherr entstanden. Aber mit steigender Anforderung und Komplexität reichen die traditionellen Methoden teilweise nicht mehr aus. Die umfassenden Erfahrungen der Entwicklung und die in der Vergangenheit aufgestellten eigenen Regeln (Guidelines) werden durch den schrittweisen Ausbau der Simulation sinnvoll unterstützt.

»Unsere Erfahrungen zeigen, dass wir das Verhalten der einzelnen Bauteile mit Simulationen detailliert analysieren und dadurch auch das gesamte System besser verstehen und entwickeln können«, erläutert Lars Hummel. »Indem wir unsere eigenen hohen Qualitätskriterien erfüllen, garantieren wir auch unseren Kunden die versprochene Sicherheit bezüglich der Funktionalität der Produkte.

 

Der Autor

 

Gerhard Friederici von Liebherr Elektronik
Gerhard Friederici von Liebherr Elektronik.
© Liebherr Elektronik

Gerhard Friederici

Nach über 20 Jahren als Redakteur im Engineering-Bereich ist Gerhard Friederici seit mehr als zwölf Jahren bei CADFEM im Marketing tätig.


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