MEMS-Transducer

Revolution in der medizinischen Ultraschalltechnik

2. Februar 2024, 10:45 Uhr | Heinz Arnold
Sehen statt hören: Mit ihren neuen Ultraschallgeräten auf Basis von Micromachined Ultrasound Transducers (MUTs) wollen Butterfly und Exo die altbekannten Stethoskope ersetzen.
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Fortschritte in der MEMS-Technik ermöglichen es, sehr kleine und kostengünstige Ultraschallgeräte zu entwickeln, die neue Diagnoseverfahren ermöglichen und in neue Märkte vorstoßen.

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Viele werden sich noch an Leonard McCoy aus der Star-Trek-Serie erinnern. Er ist Arzt auf dem Raumschiff Enterprise und untersucht seine Patienten mit seinem Diagnosegerät »Tricoder«. Damit scannt er seine Patienten nicht nur ab, der Tricoder zeichnet die Daten auch auf und analysiert sie. Dr. McCoy kann augenblicklich die Diagnose stellen. 

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So etwas schwebt den Start-up-Unternehmen Butterfly Network und Exo Imaging (gesprochen wie das englische »echo«) auch vor. Ihre Geräte funktionieren mit Ultraschall. Doch sie sehen etwas anders aus als die Ultraschallgeräte, die Sie von Ihren Arztbesuchen kennen. Sie sind bei Weitem nicht so klobig und unbeweglich – im Gegenteil, sie sind nicht größer als ein Rasierer und können überall hin mitgenommen werden.

Ultraschallsonde statt Stethoskop

Die Vision: Statt einem Stethoskop – das Gerät, das seit Jahrzehnten ikonisch für den Beruf des Arztes steht – werden die Mediziner künftig nur noch ihre Ultraschallsonde in der Tasche tragen. Doch wo sehen sie das Bild? Dazu genügt ein Smartphone, das über eine App mit der Cloud-Plattform der Unternehmen verbunden ist. Zudem lassen sich diese Geräte nahtlos in den Arbeitsablauf des Krankenhauses einfügen. 

So hatte Mitte vergangenen Jahres Exo mit den Sana-Kliniken eine Kooperation bekannt gegeben, um den Weg in Richtung smarter Diagnostik in der Ultraschallbildgebung zu eröffnen. In Pilotprojekten an den Sana-Kliniken in Berlin-Lichtenberg und Woltersdorf sollen die cloudbasierte Software und die dazugehörige Ultraschallsonde auf Anwenderfreundlichkeit und Kompatibilität im klinischen Alltag getestet werden. Das medizinische Fachpersonal soll damit Entscheidungen in der Ultraschalldiagnostik in Echtzeit treffen und Patienten in kritischen Situationen schneller versorgen können.

Einfache Bedienbarkeit – scannen ohne Fachkräfte 

Die Vision geht aber noch weiter: Die Systeme auf Basis der Ultraschallsonden werden so einfach bedienbar sein, dass Ärzte oder Fachpersonal dafür nicht mehr erforderlich sind. Patienten könnten sich zu Hause sogar selber scannen – das Bild wird zum Arzt gesendet, der dann die endgültige Diagnose stellen kann, von der KI der Systeme unterstützt. 

Ultraschalldiagnosen für alle

Weil die Systeme vergleichsweise sehr kostengünstig sind – statt 15.000 bis mehrere 100.000 Dollar müssen die Anwender zwischen 2.000 und 3.500 Dollar bezahlen – können die Ultraschalluntersuchungen nun auch in Regionen vordringen, in denen die Menschen bisher keinen Zugang zu derartigem Luxus haben – und das sind nach Schätzungen von Experten rund 75 Prozent der Weltbevölkerung. 

Das hat offenbar auch die Bill & Melinda Gates Foundation überzeugt, einen der Investoren von Butterfly. Beispielsweise unterstützte sie Butterfly im Frühjahr 2022 mit 5 Mio. Dollar, um jeweils 500 Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Kenia und in Südafrika mit der »iQ3+« von Butterfly auszustatten. Hebammen können damit werdende Mütter und ihre ungeborenen Kinder untersuchen.

Das bedeutet aber auch: Der potenzielle Markt ist riesig. Das zieht Investorengelder an. Die 2011 geründete Butterfly konnte 400 Mio. Dollar einsammeln; nach dem Gang an die Börse wurde das Unternehmen mit 1,5 Mrd. Dollar bewertet. 

Woher die Euphorie kommt

Butterfly und Exo haben hochintegrierte Sensor-Arrays entwickelt, die an der Front ihrer Ultraschallsensoren sitzen. Auf diese Arrays sind nicht nur elektronische Funktionen wie DSP, sondern auch Tausende von sogenannten Micromachined Ultrasound Transducers (MUTs) integriert, die den Schall erzeugen und ihn empfangen. Aus den Daten der reflektierten Schallwellen errechnet das System schlussendlich die Ultraschallbilder, die auf den Smartphones erscheinen. KI hilft dabei, die richtigen Schlüsse aus den Bildern zu ziehen. 

CMUTs und PMUTs ersetzen Bulk-Wandler

Dass dies gelingen konnte, ist den Fortschritten in der Halbleitertechnik, im Bereich der MEMS und insbesondere der MUTs sowie Fortschritten im Sektor der Materialien und der Fertigungstechnik zu danken. 

Um zu verstehten, wie sie funktionieren, ein kurzer Ausflug in die technischen Details der MUTs: Micromachined Ultrasound Transducer (MUTs) gibt es schon seit Jahrzehnten. Doch haben sie über die vergangenen Jahre noch einmal einen großen Aufschwung genommen, weil sie sich sehr klein fertigen lassen und auch in Geräten Anwendung finden können, bei denen es auf eine möglichst geringe Energieaufnahme ankommt. Deshalb stehen die Chancen gut, dass sie die traditionellen Bulk-Wandler in Ultraschallwandlern ersetzen. Sie lassen sich grob in zwei Klassen unterteilen, die kapazitiven und die piezoelektrischen MUTs, kurz: CMUTs und PMUTs.   

So funktionieren CMUTs und PMUTs

Ihr Grundprinzip: Über einer Aussparung wird eine dünne Membran angebracht. Unter Schalldruck schwingt die Membran. Bei CMUTs wird die Auslenkung der Membran gegenüber eine Rückplatte über die Änderung der Kapazität gemessen. 

Die PMUTs dagegen machen sich den piezoelektrischen Effekt zunutze. Ihre Membran ist aus einem Sandwich verschiedener Schichten aufgebaut, darunter eine dünne Schicht aus piezoelektrischem Material. Verbiegt sich die Schicht unter Schalldruck, dann erzeugt die piezoelektrische Schicht eine elektrische Ladung. Umgekehrt kann die Membran durch das Anlegen eines Wechselstroms schwingen und Schall erzeugen.  

Sowohl die CMUTs als auch die PMUTs haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Während Butterfly auf CMUTs setzt, hat Exo ihr »Cello«-Array auf Basis von PMUTs aufgebaut. 

Auf die Piezotechnik setzen übrigens auch MEMS-Design-Spezialist AMFitzgerald und die MEMS-Foundry MEMS Infinity, eine Tochter von Sumitomo Precision Products. Kürzlich haben sie eine Partnerschaft geschlossen, um piezoelektrische MEMS wie PMUTs künftig schneller und kostengünstiger auf den Markt bringen zu können. Denn sie sehen für die PZT-PMUTs einen schnell wachsenden Markt und neue Anwendungsmöglichkeiten voraus. 

Neue Technologien – neue Perspektiven
    
»Mit unseren kapazitiven und piezoelektrischen Membranen und Freiträgern haben wir den Vorteil, dass wir die Frequenzen über die Geometrie einstellen können«, sagt Dr. Chris Stöckel, Gruppenleiter »MEMS/NEMS Technologien« am Fraunhofer ENAS. Weil die MUTs über Lithografie strukturiert werden, können sie sehr flexibel gestaltet und skalierbar vervielfältigt werden. 

Das eröffnet den MUTs jetzt neue Perspektiven. Bisher war der Markt vor allem für Firmen interessant, die die MUTs für Märkte entwickeln, wo sehr hohe Stückzahlen gebraucht werden.

Die Einmalkosten sinken drastisch

Jetzt ist Chris Stöckel überzeugt, dass die Fraunhofer-Gesellschaft dank seiner flexiblen Fertigungsmethoden eine neue Ära einläuten kann: »Weil wir die akustischen Wandler in geometrischen, elektrischen und akustischen Eigenschaften in einem breiten Anwendungsbereich frei gestalten können, ist es möglich, kundenspezifische Änderungen mit einem minimalen Einsatz von Einmalkosten durchzuführen. Die Reduktion der Einmalkosten wurde durch die Einführung von adaptiven MUT-Technologieplattformen auf Basis von Siliziumwafern ermöglicht. Diese Ultraschallwandler werden über lithografische Fertigungsverfahren hoch präzise und zuverlässig auf Wafern parallel gefertigt, was die Kosten pro Stück für Klein- und Mittelserien bei höchster Reproduzierbarkeit stark senkt. In einem Zusammenschluss aus drei Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft haben wir es geschafft, für CMUTs und PMUTs Technologieplattformen in Frequenzbereichen von rund 20 Hz – 20 MHz für die Forschung und Entwicklung kundenspezifischer Schall- und Ultraschallsysteme zu etablieren.«

Alles spricht also dafür, dass die PMUTs und die CMUTs für einen gewaltigen Fortschritt im Sektor der Ultraschallgeräte und der Diagnostik sorgen werden. 

Die nächste Revolution: Laser plus Ultraschall

Doch sie könnten künftig auch den Weg für eine geradezu revolutionäre neue Technologie öffnen, die gerade auf dem Sprung von der Forschung in die praktische Anwendung ist und ganz neue Diagnoseverfahren auf Basis einer nichtinvasiven und für den Patienten schonenden Technik möglich macht.
Dahinter steht das deutsche Start-up-Unternehmen iThera. Das neue Verfahren der Münchner beruht auf dem photoakustischen Effekt. Hier werden Lasertechnik und Ultraschalltechnik kombiniert: Ein Laser sendet Lichtpulse im Bereich von Nanosekunden auf das zu untersuchende Gewebe. Dort, wo das Licht vom Gewebe absorbiert wird, findet eine thermoelastische Expansion statt, aufgrund derer eine sphärische Ultraschallwelle entsteht, die durch das Gewebe zum Detektor propagiert. Oder kurz formuliert: »Licht rein, Ultraschall raus.« Daraus rekonstruiert das Gerät ein Bild mit optischem Kontrast, das es erlaubt, verschiedene Krankheitsprozesse zu erkennen und Diagnosen zu stellen. Multispektrale optoakustische Tomografie (MSOT) nennt iThera dieses Verfahren. 

Diagnosen frühzeitig, nichtinvasiv und in Echtzeit

»Im Unterschied zu etablierten bildgebenden Verfahren können auf Basis des optischen Kontrasts erstmals anatomische, funktionale und molekuläre Gewebeinformationen hochaufgelöst in mehreren Zentimetern Tiefe dargestellt werden. Das ermöglicht es Ärzten, Diagnosen frühzeitig, nichtinvasiv und in Echtzeit zu erstellen, beispielsweise bei entzündlichen, fibrotischen, kardiovaskulären und Tumorerkrankungen«, erklärt Christian Wiest.

Allerdings handelt es sich bei den Detektoren in den Geräten derzeit um speziell angefertigte Typen. »Die Entwicklung von PMUTs oder CMUTs ist für uns aufgrund der hohen Einmalkosten eine Herausforderung«, sagt Christian Wiest, CEO und Mitgründer von iThera Medical. Was nicht heißt, dass er sich nicht vorstellen könnte, später einmal Arrays einzusetzen, die auf PMUTs oder CMUTs basieren. Mit dem Fraunhofer ENAS besteht bereits eine Zusammenarbeit mit dem Ziel, PMUTs oder CMUTs mit integrierten Vorverstärkern zu entwickeln. Besonders schön wäre es, wenn die Transducer auch noch lichtdurchlässig wären. »Dann könnten wir mit den Lasern durch sie hindurch leuchten und müssten nicht auf seitliche Beleuchtung ausweichen«, sagt Christian Wiest. Vor allem aber wäre es eine Möglichkeit, die Kosten für die Geräte weiter zu senken, den erreichbaren Markt zu erweitern – und neue Einsatzgebiete zu erschließen.  

Fazit: Leonard McCoys Tricorder haben wir zwar noch nicht ganz, aber PMUTs und CMUTs bringen uns auf dem Weg dorthin ein gutes Stück weiter. 

 


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