Revolution in der Diagnose

Ultraschalldiagnosen überall und für alle

2. Februar 2024, 10:15 Uhr | Heinz Arnold
Das Ultraschallgerät »iQ« von Butterfly ist so groß wie ein Rasierer. Das Bild wird auf einem Smartphone wiedergegeben.
© Butterfly Network

Auf Basis kostengünstiger, hochintegrierter Sensor-Arrays machen die Start-ups Butterfly Network und Exo Imaging Ultraschall-Diagnosen kostengünstig und höchst einfach.

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Wer kann sich einen Arzt ohne Stethoskop vorstellen? Viele Ärzte benötigen es so häufig, dass sie es ständig mit sich tragen. So ist es zum Symbol eines ganzen Berufsstandes geworden. Unverzichtbar für den Arzt, weil es kostengünstig ist und sehr einfach einsetzbar – und doch erlaubt, in den Patienten »hineinzuhören« und daraus wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Und sei es nur, das Problem eingrenzen zu können und weitere diagnostische Verfahren einzuleiten, beispielsweise eine Röntgenaufnahme der Lunge zu veranlassen, um genauer zu sehen, was das Problem des Patienten sein könnte. 

Aber bisher gab es keine kostengünstigen, bildgebenden Verfahren, die überall einsetzbar wären. CTs, MRTs und Röntgenapparate scheiden von vorneherein aus, aber auch Ultraschallgeräte sind relativ aufwändig zu bedienen, relativ teuer und bei weitem nicht so portabel wie ein Stethoskop. 

Die Ultraschallsonde ersetzt das Stethoskop

Das könnte sich jetzt ändern. Der in Burlington/Massachusetts ansässige Start-up Butterfly Network und die in Santa Clara beheimatete Exo Imaging (Exo wird wie das englische »echo« ausgesprochen) wollen das Stethoskop durch ein kleines kostengünstiges Ultraschallgerät ersetzen. Gerade hat Butterfly für ihr neustes Gerät, das »iQ3«, die FDA-Zulassung erhalten. 

Ultraschallgeräte so groß wie ein Rasierer

Mit dem »iQ« hatte die 2011 gegründete Butterfly die erste Generation ihrer Ultraschallgeräte 2018 auf den Markt gebracht, die zweite Generation, das »iQ+«, im Jahr 2020. Das Interessante dabei: die Ultraschallsonden sind nicht größer als ein Rasierer und für die Untersuchung des gesamten Körpers geeignet. Der Arzt kann die Geräte also ständig bei sich tragen – wie bisher sein Stethoskop. Folglich werden die kleinen Point-of-Care Ultrasonic Systems (POCUS), so die Vision von Butterfly, die Stethoskope ablösen. Denn warum sollte der Arzt hören, wenn er doch bei relativ geringem Aufwand viel mehr sehen kann? Das Ultraschallbild selber kann er sich auf seinem Smartphone Display über eine App und eine Cloud-basierte Plattform darstellen lassen. Der Tricorder aus Star Trek lässt grüßen: Enterprise-Arzt Leonard McCoy fährt mit seinem Diagnosegerät an einem Patienten entlang und sieht sofort, was ihm fehlt. 

8960 CMUTs hat Butterfly auf einem Sensor-Array integriert und auf dieser Basis nach eigenen Angaben das erste Ultrasound-System-on-Chip gebaut.
8960 CMUTs hat Butterfly auf einem Sensor-Array integriert und auf dieser Basis nach eigenen Angaben das erste Ultrasound-System-on-Chip gebaut. Neben den CMUTs sind darauf auch elektronische Funktionen wie die digitale Signalverarbeitung integriert. 
© Yole System Plus 2023

Denn das ist die Vision: Die Ultraschalltechnik zu demokratisieren. Das heißt, sie so preisgünstig und so einfach einsatzbar zu machen, dass sie nicht nur in Krankenhäusern und Arztpraxen Einzug halten, sondern dass sie sogar die Patienten selbst zu Hause anwenden können, so dass der Arzt auf Basis der übertragenen Bilder die Diagnose stellt, ohne zum Patienten kommen zu müssen. Vor allem aber will Butterfly die Ultraschalltechnik auch in Länder bringen, in denen die Bewohner bisher überhaupt keinen Zugang zu der Ultraschalltechnik, geschweige denn zu anderen bildgebenden Verfahren haben. 

1,5 Mrd. Dollar über SPAC-Deal

Ein potenzieller Markt von 8 Mrd. Dollar für die Produkte des Unternehmens und die Aussicht, mit auf Basis der Fortschritte der Halbleitertechnik alle zwei bis drei Jahre beutende technologische Durchbrüche erzielen zu können – mit dieser Vision überzeugte Butterfly die Investoren: Ende 2020 ging Butterfly im Rahmen eines SPAC-Deals (Special Purpose Acquisition Company) an die Börse und kam auf eine Bewertung von 1,5 Mrd. Dollar. Davor hatte das Unternehmen schon 400 Mio. Dollar an Investorengeldern eingesammelt, darunter von Baillie Gifford, der Bill and Melinda Gates Foundation und Fosun Industrial. Die Aktie ist allerdings von ihrem Höchstwert um 25 Dollar kurz nach dem SPAC-Deal auf zuletzt 90 Cents kontinuierlich gefallen. 

Die Bill & Melinda Gates Foundation war offenbar besonders von der Aussicht angetan, Ultraschalldiagnosen in Weltregionen bringen zu können, in denen die Menschen bisher kaum Zugang dazu haben. Beispielsweise unterstützte sie Butterfly im Frühjahr 2022 mit 5 Mio. Dollar, um jeweils 500 Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Kenia und in Südafrika mit der »iQ3+« auszustatten, um werdende Mütter und ihre ungeborenen Kinder untersuchen zu können.  

Sensor-Array mit 8960 CMUTs

Die Technik von Butterfly basiert auf CMUTs (Capacitive Micromachined Ultrasound Transducers), die den Schall erzeugen und das Echo des reflektierten Schalls aufnehmen. Dazu hat Butterfly 8960 CMUTs auf einem Sensor-Array integriert und auf dieser Basis nach eigenen Angaben das erste Ultrasound-System-on-Chip gebaut. Das ist mit Hilfe der »Ultrasound-on-Chip«-Technologie gelungen, die es ermöglicht, MEMS und elektronische Funktionen wie die digitale Signalverarbeitung auf einem Chip zu integrieren. Eine auf dieser Technik basierende Ultraschallsonde ist bereits für unter 2.000 Dollar zu haben. 

Im Herbst letzten Jahres hatte Butterfly ein auf fünf Jahre angelegtes Abkommen mit Forest Neurotech geschlossen, um gemeinsam einen implantierbaren Schnittstelle-IC zwischen menschlichem Gehirn und Elektronik zu entwickeln. 

Erst vor einigen Tagen hatte Elon Musk verkündet, dass die von ihm mitgegründete Firma Neuralink ein solches Implantat nun erstmals erfolgreich in einem Menschen eingesetzt habe. 

Butterfly und Forest Neurotech sind überzeugt, dass die Ultrasound-on-Chip-Technik von Butterfly exzellent geeignet sei, um ins Gehirn implantierbare Chips zu realisieren. 

Erst im Herbst vergangenen Jahres hatte Exo Imaging ihr neues Ultraschallsystem »Exo Iris« auf den Markt gebracht. Es basiert auf einem Sensor-Array, auf dem 4096 PMUTs integriert sind.
Erst im Herbst vergangenen Jahres hatte Exo Imaging ihr neues Ultraschallsystem »Exo Iris« auf den Markt gebracht. Es basiert auf einem Sensor-Array, auf dem 4096 PMUTs integriert sind.
© Exo Imaging

Exo Imaging setzt auf PMUTs

Mit einer ähnlichen Vision – künftig das Stethoskop des Arztes zu ersetzen – wurde 2015 Exo Imaging mit Sitz in Santa Clara gegründet, in die bisher mehr als 300 Mio. Dollar Venture Capital geflossen sind. Die Investoren sind unter anderem Applied Ventures, ein Venture-Fund von GlaxoSmithKline, Intel Capital und TDK Ventures. 

Anders als Butterfly setzt Exo auf PMUTs (Piezoelectric Micromachined Ultrasound Transducers) auf Basis von PZT. Damit ließe sich laut CEO und Mitgründer Sandeep Akkaraju für die Sensoren das beste Verhältnis aus hoher Leistungsfähigkeit, geringen Kosten und einer niedrigen Spannungsversorgung erreichen. Mit Hilfe dieser im eigenen Haus speziell für diesen Zweck entwickelten Technologie hat Exo den ersten integrierten PMUT-Transducer namens »Cello« realisiert. 4096 PMUTs sind darauf integriert. Mit »Cello« ließe sich eine sehr viel bessere Bildqualität erzielen und die Ärzte könnten tiefer in den Körper des Patienten sehen, als dies mit bisher auf dem Markt erhältlichen kleinen Ultraschallgeräten möglich sei. 

Integration in den Arbeitsablauf im Krankenhaus

Zudem lassen sich die Ultraschallgeräte über die Plattform »Exo Works« in das Managementsystem von Krankenhäusern einbinden. Auf die Plattform kann über ein Smartphone, ein Tablet oder einen Webbrowser zugegriffen werden. »Exo Works« lässt sich mit jedem POCUS-Gerät und mit den gängigen Bildarchivierungs- und Kommunikationssystemen (PACS) in Krankenhäusern integrieren. Ärzte können in Sekundenschnelle über die Plattform dokumentieren, prüfen, abrechnen und die Qualitätssicherung verwalten. Die Cloud-basierte Plattform umfasst Tools für die Echtzeit-Zusammenarbeit zwischen Pflegeteams, was die Effizienz steigert. Im vergangenen Jahr hatte die Business Intelligence Group »Exo Works« mit dem »BIG Innovation Award« ausgezeichnet. 

KI hilft bei der Diagnose

Die Echtzeit-KI »SweepAI« von Exo hilft den Mitarbeitern im Gesundheitswesen dabei, am Point of Care sehr schnell die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Im Herbst vergangenen Jahres hatte das Unternehmen »Exo Iris« vorgestellt. »Mit unserer neusten Gerätegeneration eine Ultraschallaufnahme zu erstellen ist nicht schwieriger als über das Handy ein Bild zu knipsen«, sagte Sandeep Akkaraju anlässlich der Markteinführung. Die Geräte können Bilder über ein 150°-Blickfeld aufnehmen und bis in eine Gewebetiefe von 30 cm vordringen. Damit lassen sich ganze Organe und sogar ein ungeborenes Kind im Mutterleib beobachten. Die von der FDA zugelassenen KI-Tools von Exo erkennen, ob die Organe normal arbeiten oder ob Probleme vorliegen, etwa ob der Herzschlag in Ordnung ist. Ebenfalls innerhalb von Sekunden kann das Blasenvolumen eines Patienten ermittelt werden, was ein erheblicher Fortschritt ist. 

»Exo Iris« kostet in den USA 3.500 Dollar. Für vergleichbare, bisher auf dem Markt erhältliche Geräte müssten die Anwender laut Exo bisher zwischen 5.000 und 200.000 Dollar bezahlen.  

Pilotprojekt mit den Sana Kliniken

Mitte vergangenen Jahres hatten die Sana Kliniken und Exo eine Kooperation bekannt gegeben, um den Weg in Richtung smarter Diagnostik in der Ultraschallbildgebung zu eröffnen. In Pilotprojekten an den Sana Kliniken in Berlin Lichtenberg und Woltersdorf sollen die cloudbasierte Software und die dazugehörige Ultraschallsonde auf Anwenderfreundlichkeit und Kompatibilität im klinischen Alltag getestet werden. »Unsere beiden Kliniken sind die ersten in Deutschland, die diese innovative Softwarelösung testen«, sagte Dr. Jens Schick, Chief Operating Officer der Sana Kliniken anlässlich der Bekanntgabe der Kooperation. »Unser medizinisches Fachpersonal soll damit Entscheidungen in der Ultraschalldiagnostik in Echtzeit treffen und Patienten gerade in kritischen Situationen schneller versorgen können.«


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