Die Nachfrage nach auch für die Halbleiterindustrie besonders relevanten Berufen ist innerhalb des letzten Jahres stark angestiegen. Immer mehr Stellen können laut einer Studie des IW nicht besetzt werden. Dr. Michael Schanz vom VDE hat die Zahlen ausgewertet und zieht ein Fazit: »düster«. Warum?
Bereits vor einem Jahr zweifelte der Arbeitsmarktexperte Dr. Michael Schanz vom VDE, ob der geplante Personalaufbau im Osten zu stemmen sein würde. Denn die Konkurrenz um Mikroelektronik-Spezialisten ist - weltweit - riesig: Energiewende, Digitalisierung, Elektromobilität oder Industrie 4.0 – für all das sei die Mikroelektronik nun mal die Schlüsseltechnik.
Die Zweifel erhalten jetzt neue Nahrung durch ein Gutachten des IW. Für den BDI und den ZVEI hatte das arbeitgebernahe Institut 117 Berufe identifiziert, die für Fachkräfteversorgung der Halbleiterindustrie besonders relevant sind. Eine neue Studie des IW zeigt nun, dass der Fachkräftebedarf in Deutschland zuletzt sehr rasch gewachsen ist. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Stellen, die bundesweit nicht durch passend qualifizierte Arbeitslose besetzt werden können, in diesem Jahr um 30 Prozent auf eine Lücke von 82.000 gestiegen. Ohne »große zusätzliche Anstrengungen«, so die IW-Analystin Sabine Köhne-Finster, könne der Bedarf nicht gedeckt werden kann. Auf absehbare Zeit reiche der Nachwuchs aus Ausbildung und Studium nicht aus und der demographische Wandel gehe derweil ungebremst weiter. In Berufen der Halbleiterindustrie liegt der Anteil älterer Beschäftigter (55 Jahre und älter) bereits bei 23 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
In der Gruppe der beruflich qualifizierten Fachkräfte für die Halbleiterindustrie fehlen aktuell 40.000 Bewerber, ein Plus von 49 Prozent gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2021/22.
Aus der aktuellen IW-Untersuchung könne man herauslesen, wie dringend eine bestimmte Berufsgruppe von der Chipindustrie gesucht sei. Doch es werben ja auch andere Branchen, wie etwa die die Energiewirtschaft um die »Fachkraft Elektrische Betriebstechnik«.
Der Blick auf den akademischen Bereich offenbare zudem ein Nachfrageplus bei den E-Technikern, so Schanz: »Während im Jahresvergleich der Indikator für Experten mit Diplom- oder Masterabschluss in Elektro- und Informationstechnik von 9.602 auf sage und schreibe 13.942 anstieg, ist er bei den Experten für Softwareentwicklung – in der Regel Masterabschluss Informatik - von 6.536 auf 5.880 zurückgegangen. Mit anderen Worten: der Bedarf an E-Technik Ingenieuren ist in dieser Zeit um 45 Prozent angestiegen, während der Bedarf an Softwareentwicklern auf akademischem Niveau zwar immer noch recht hoch ist, aber um 10 Prozent gesunken ist«. Damit liege das Bedarfsverhältnis zwischen den beiden Berufsgruppen bei 2,4 zu 1.
Für die Chipindustrie bedeute die aktuelle Auswertung daher tatsächlich nichts Gutes, Schanz bezeichnet die Lage als »düster«: »In so gut wie allen für die Branche relevanten Berufen (außer Softwareentwicklung) ist der Indikator angestiegen. Das bedroht die Verwirklichung der Ziele des EU Chips Acts, den Marktanteil der EU an der weltweiten Halbleiterproduktion bis zum Jahr 2030 von 10 auf 20 Prozent zu verdoppeln, massiv.«
Eine Lösung ist für Schanz »kaum in Sicht«; er verweist auf die stagnierenden Erstsemesterzahlen in der Elektro- und Informationstechnik, die auch 2023 »weiterhin auf sehr niedrigem Niveau« stagnierten. »Wir haben aktuell keine Chance, den Bedarf im Lande mit eigenen ausgebildeten E-Technik Ingenieurinnen und Ingenieuren zu decken.«